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Sadiqu Al-Moussllie über Islamfeindlichkeit
"Misstrauen und Schuldzuweisungen haben zugenommen"

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Sadiqu Al-Mousslie, beklagt mit Blick auf den Anschlag in London auch in Deutschland eine Zunahme von Übergriffen auf Muslimen. Die Stimmung ändere sich, sagte er im Dlf. Ein Grund dafür sei der Aufstieg rechter Ideologien in Deutschland. So sei etwa die AfD von Anfang an gegen Muslime vorgegangen.

Sadiqu Al-Mousslie im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Sadiqu Al-Mousllie im schwarzen Sakko und weißem Hemd vor einem Türeingang mit arabischen Schriftzügen. Er blickt in die Kamera.
    Der aus Syrien stammende Zahnarzt Sadiqu Al-Mousllie, aufgenommen am 12.04.2014 in der Iqra-Moschee in Braunschweig. Er ist Mitglied des oppositionellen Syrischen Nationalrats. (dpa / Stefan Jaitner)
    Sarah Zerback: Auch in diesem Fall hat es unschuldige Menschen getroffen. Es war eine gezielte Attacke auf Muslime. Darüber kann ich jetzt sprechen mit Sadiqu Al-Mousllie, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Niedersachsen und auch Mitglied im Bundesvorstand. Guten Abend!
    Sadiqu Al-Mousllie: Guten Abend, Frau Zerback.
    Zerback: Herr Al-Mousllie, reiht sich dieser Terroranschlag ein in die Taten der vergangenen Monate, oder fällt er aus der Reihe?
    Al-Mousllie: Terror fällt nie aus der Reihe. Terror ist Terror, egal gegen wen, egal gegen welche Gemeinschaft, religiöse oder nicht religiöse, ob es jetzt gegen Christen oder Muslime oder Juden geht. Terror hat keine Religion aus unserer Sicht.
    Zerback: Wurde – diese Vorwürfe gab es ja -, wurde dieser Terroranschlag denn von Polizei und Politik anders behandelt als die vorherigen in Manchester oder Westminster? Wie nehmen Sie das wahr?
    Al-Mousllie: Zu Anfang vielleicht etwas zögerlich, das sofort als einen möglichen terroristischen Anschlag zu bezeichnen. Aber sowohl von britischen Politikern als auch von anderen europäischen Politikern hört man, dass sie sich mehr darauf einlassen, weil sie wahrscheinlich mehr daran gewöhnt sind, dass das nur aus einer Ecke kommt, zumindest gefühlt so. Aber wir wissen und sehen, dass es wahrheitsgemäß so ist, dass alle davon betroffen sind und nicht nur Nichtmuslime, sondern auch hier in diesem Fall konkret Muslime.
    "Schuldzuweisungen und Misstrauen haben zugenommen"
    Zerback: Tatsächlich sprechen Sie da ja einen wichtigen Punkt an. In der Vergangenheit war es ja so, dass Terroristen sich immer wieder auf den Islam berufen, den Glauben für ihre extremistischen Taten missbrauchen. Haben Sie da Sorge, dass jetzt Muslime gezielt zum Opfer von Anschlägen werden?
    Al-Mousllie: Wir merken in den letzten Jahren, dass die Schuldzuweisungen, das Misstrauen gegenüber Muslimen zugenommen hat. Früher gab es auch eine etwas andere Reaktion auf Menschen, wenn Anschläge passiert sind. Das zeigt natürlich, wenn da öfter solche Anschläge passieren, dann rücken auch diese Anschläge durch Rechtsextremisten oder Übergriffe durch Rechtsextremisten, die auch durchaus in Europa passieren gegen Muslime und Nichtmuslime, nicht so in den Vordergrund. Dadurch natürlich reagieren die Menschen auch etwas anders. Aber das darf man nicht nur aus der Ecke der Angst sehen, sondern es gibt auch eine Ideologie. Genauso wie eine Ideologie von Daesh in diesem Fall, von diesen extremistischen Muslimen, gibt es auch eine rechte Ideologie, die auch für so was wirbt, und das ist das Gefährliche.
    Zerback: Wie groß sehen Sie denn die Gefahr, dass das auch in Deutschland passiert?
    Al-Mousllie: Ich hoffe nicht, dass wir das so in Deutschland erleben, zumindest nicht in diesem Ausmaß. Aber wir merken in den letzten Jahren, dass das kontinuierlich zugenommen hat, Übergriffe, verbale Übergriffe, Übergriffe auf Moscheen, dass die Stimmung sich ändert, und natürlich durch den Aufstieg bestimmter rechter Ideologien, die auch durchaus in den Medien leider Gottes verdeckt vielleicht hofiert werden, nicht mit Absicht, aber die Rechten haben sich entwickelt und sie versuchen, ihr Gedankengut so in die Schlafzimmer der Menschen anders reinzubringen, und sie verpacken das Ganze, und das ist das Gefährliche an der ganzen Sache.
    "Wir wissen, wie die AfD gegen Muslime vorgegangen ist"
    Zerback: Wenn Sie das vielleicht noch mal kurz erklären. Wie meinen Sie das, in den Medien hofiert? Was kritisieren Sie da genau?
    Al-Mousllie: Beispielsweise die Parteien wie die AfD. Wir wissen von Anfang an als Muslime, wie die auch gegen Muslime vorgegangen sind. Sicherlich haben sie dann versucht, demokratisch dann vorzugehen, letztendlich mit ihren Statements, öffentlichen Statements und auch unterschiedliche Kooperationen mit bestimmten Bewegungen wie die Identitäre Bewegung oder auch andere, NPD und so weiter. Dieses Konstrukt in Deutschland beispielsweise ist kein Konstrukt, das jetzt so spontan entstanden ist, sondern die suchen sich gezielt und versuchen auch, eine gewisse Mehrheit für sich zu schaffen, und das macht uns Sorgen.
    Zerback: Jetzt ist ja in Großbritannien die Reaktion, dass die Sicherheit in muslimischen Gemeinden in den kommenden Tagen erhöht wird. Ist das richtig? Sollten wir das auch bei uns in Deutschland überdenken?
    Al-Mousllie: Wissen Sie, der Zentralrat der Muslime stand auf einer Liste, auf einer Todesliste von Franco A., und wir wissen auch, dass wir Drohungen erhalten als Funktionäre. Auch in einem Verband erhalten wir Drohungen. Das ist für uns auch eine Sache, die natürlich mit den Behörden zu besprechen ist. Aber wir versuchen, eine moderate Reaktion darauf zu machen. Wir wollen keine Panik hier verbreiten. Aber betroffen sind wir durchaus stark.
    "Die normalste Reaktion, die ich von einem Imam erwarte"
    Zerback: Jetzt haben wir gerade auch in dem Bericht noch mal gehört, dass in London ja der Imam tatsächlich verhindert hat, dass die Menge in der Nacht den Täter attackiert, ihn umbringt vielleicht. Wie wichtig war das, nicht nur rein menschlich gesehen, sondern auch, damit die Debatte in Zukunft sich nicht weiter verschärft?
    Al-Mousllie: Wissen Sie, das ist die normalste Reaktion, die ich von einem Imam oder von irgendeinem Moslem in so einer autoritären beziehungsweise in einer leitenden Stelle, besser gesagt, erwarte. Wenn der Imam so nicht gehandelt hätte, hätte mich das gewundert, denn damit hat er ein Beispiel gezeigt, dass man nicht Auge um Auge oder Zahn um Zahn hier handelt, sondern hier gilt die Vernunft. Hier gibt es einen Rechtsstaat und wir müssen auch uns darauf verlassen und das Vertrauen auch in diesen Rechtsstaat aussprechen. Das ist für mich ein Paradebeispiel, wie man sich verhalten sollte.
    "Wir lehnen es ab, dass unsere Religion missbraucht wird"
    Zerback: Darüber Zeichen zu setzen, darüber gibt es ja auch bei uns in Deutschland in den vergangenen ein, zwei Wochen verstärkt eine Debatte. Ein Zeichen setzen wollten Sie ja auch mit der Demo in Köln am Wochenende. Sie waren dort offizieller Vertreter des Zentralrats der Muslime, waren dabei. Da ging es ja darum, inwiefern Muslime sich vom Terror distanzieren sollen, müssen, können. Dann ist tatsächlich kaum einer hingegangen am Wochenende. War das eine vertane Chance?
    Al-Mousllie: Es ging nicht um die Distanzierung, denn die Distanzierung setzt ja eine Nähe voraus und die meisten Muslime sagen, wir fühlen uns nicht nah, damit wir uns da distanzieren. Es ging darum, ein Zeichen zu setzen, damit diejenigen Menschen in Deutschland, die Öffentlichkeit, die noch nicht unsere Stimme wirklich gehört hat, die unsere Stimme auch nicht erreicht hat, dass wir auch mit dieser Demo noch medial Aufmerksamkeit erfahren haben, um so noch mehr die Stimme sie erreicht. Das war für uns das Wichtige. Wir wollten ein Zeichen setzen. Und es ist für mich nicht die Zahl ausschlaggebend, sondern das Zeichen, was wir gesetzt haben. In den letzten Jahren, Wochen und Monaten haben wir immer wieder andere Aktionen gemacht und als Muslime laut geschrien, haben gesagt, das ist nicht unsere Religion, wir lehnen es ab, dass unsere Religion missbraucht wird von Extremisten und von Kriminellen.
    Zerback: … sagt Sadiqu Al-Mousllie vom Zentralrat der Muslime. Vielen Dank für das Gespräch.
    Al-Mousllie: Bitte schön, Frau Zerback.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.