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Sängerin Amparo Sánchez
Das Mädchen und der Wolf

2014 veröffentlichte die andalusische Sängerin Amparo Sánchez den autobiografischen Roman „La Niña y el Lobo“, in dem sie schonungslos von Einschüchterung und häuslicher Gewalt erzählt. Ihr aktuelles, gleichnamiges Album ist der Soundtrack zu dieser, ihren weiteren Lebensweg stark bestimmenden harten Zeit.

Von Anke Behlert | 03.07.2020
    Eine Frau mit schwarzen kurzen Haaren lehnt sich an die Schulter eines Mannes. Im Hintergrund steht ein Mann mit Gitarre.
    Spielt, wie Manu Chao, Mestizo-Musik: Amparo Sánchez, die ihre Solokarriere 2008 startete. (Racel López)
    Musik: Amparo Sánchez - "Corazón De La Realidad"
    Amparo Sánchez wird am 24. September 1969 in der Nähe von Granada in Spanien geboren. Musik ist ihr nicht in die Wiege gelegt, der Vater arbeitet, die Mutter bleibt zu Hause und kümmert sich um die Kinder.
    Amparo Sánchez: "Als ich angefangen habe, Musik zu machen, war das schon ein bisschen merkwürdig für meine Familie. Musik war natürlich Teil unseres Lebens in Andalusien, bei großen Feiern wurde gesungen und getanzt. Manchmal bin ich nach der Sonntagsmesse mit meinem Vater in eines der Cafés gegangen, dort lief immer Flamenco-Musik. Ich habe dann in einer Band gesungen, die hieß Correcamino. Wir haben Rock'n'Roll und Rockabilly gespielt und auch ein paar Songs aufgenommen. Dann habe ich angefangen auch Jazz und Blues zu singen. Nachdem ich nach Madrid umgezogen bin, habe ich meine Band Amparanoia gegründet. Damit bin ich bekannt geworden. Aber Musik habe ich schon geliebt, als ich noch klein war."
    Musik: Amparanoia - "Hacer dinero"
    1997 erscheint Amparanoias Debütalbum "El poder de machin" und ist eines der ersten im sogenannten Mestizo-Stil. In den 90er-Jahren kamen viele Musiker aus Argentinien, Mexiko, Kuba oder Venezuela nach Madrid und Barcelona und brachten ihre jeweils typische Musik mit. Bei Amparanoia flossen traditionelle Folklore mit Ska, Reggae, Rumba, Cumbia, Flamenco, Elektronik und Rock zusammen. Aus diesen "Verschmelzungen" - auf Spanisch: mestizaje - entstand die Mestizo-Musik. Neben Amparanoia hat unter anderem auch der französische Sänger Manu Chao diesen Stil populär gemacht. Nicht verwunderlich also, dass er und Amparanoia gemeinsam einen Song geschrieben haben, der auf "El poder de machin" und später unter anderem Namen auch auf dem ersten Manu Chao-Album landete.
    Musik: Amparanoia - "Buen rollito"
    Musik: Amparanoia - "Dolor, dolor"
    Nach zwölf Jahren mit Amparanoia löst Amparo Sánchez ihre Band 2008 auf und widmet sich ihrer Solokarriere.
    Amparo Sánchez: "Das war eine schwierige Zeit für mich, ich hatte mich gerade scheiden lassen. Mein erstes Soloalbum war ein Weg, mit dieser Situation umzugehen. Das hätte ich mit Amparanoia nicht machen können, bei der Band ging es um Party und Tanzen. Aber diese Songs waren sehr emotional, deswegen habe ich es unter meinem eigenen Namen veröffentlicht. Ich habe das Album mit Joey Burns und John Convertino von Calexico aufgenommen und man hört die Einflüsse in den Songs."
    Der Titel "Tucson-Habana" steht für die Orte, an denen das Album entstanden ist, und für eine Reise durch Amparos Gefühlswelt, erinnert sich Joey Burns.
    Joey Burns: "2009 ist Amparo nach Tucson gekommen, um ein paar Songs für das Album aufzunehmen. Sie hatte sich gerade von ihrem Partner getrennt, die Songs waren also ziemlich traurig. Sie ist dann nach Mexiko gereist und weiter nach Havanna. Dort hat sie ein Konzert gespielt und anschließend ihre Gitarre gespendet. Sie hat mich und John angerufen und gesagt: Ich möchte, dass ihr nach Kuba kommt. Ich habe ein paar neue Songs und die sind hoffnungsvoll, denn ich habe mich verliebt! Das Album spiegelt also diese Reise ihres Herzens wider. Es war eine großartige Erfahrung."
    Unter diesen hoffnungsvollen Stücken ist auch der Song "La Parrandita de las Santas", den Sánchez gemeinsam mit der legendären kubanischen Sängerin Omara Portuondo singt.
    Musik: Amparo Sánchez - "La Parrandita de las Santas"
    Musik: Amparo Sánchez - "El ultimo trago"
    Der Titel "El ultimo trago", interpretiert von Amparo Sánchez, geschrieben hat den Song der mexikanische Rancherakomponist und -Sänger José Alfredo Jiménez. Das Stück stammt von Sánchez' Album "Espiritu del Sol", das 2014 erschienen ist. Im selben Jahr hat die Musikerin ihren autobiografischen Roman "La Niña y el Lobo" veröffentlicht. Es ist die Geschichte eines 14-jährigen Mädchens, das sich in einen acht Jahre älteren Mann verliebt. Er eröffnete ihr eine Welt des Rock’n’Roll, der Drogen und allem, was damit zusammenhängt.
    Sánchez: "Das ist meine Geschichte. Es ist eine Liebesgeschichte und handelt von einer Beziehung, die schnell von Gewalt und Einschüchterung geprägt war. Ich wurde mit 16 schwanger und es war damals nicht einfach als junge Mutter. In den 80ern hat Spanien noch sehr unter den Nachwehen des Franco-Regimes gelitten. Mit dem Buch will ich meine Geschichte teilen. Vor allem mit anderen Frauen, die in einer ähnlichen Situation sind. "
    Jetzt ist das Album "La Niña y el Lobo" erschienen. Neun der zehn Songs sind Coverversionen, die den Soundtrack zu der im Buch beschriebenen Phase ihres Lebens bilden.
    Musik: Amparo Sánchez - "Mala Vida"
    Wenn man Amparo Sánchez heute auf der Bühne erlebt, ist es schwer vorstellbar, dass diese selbstbewusste und charismatische Frau einmal abhängig von einem gewalttätigen Mann war. Lange hatte sie diese Geschehnisse verdrängt. Erst nach dem Gespräch mit einer Freundin, die in einem Frauenhaus arbeitet, habe sie verstanden, dass es wichtig ist, solche Dinge nicht zu verschweigen. Das Buch und das Album, waren auch eine Art Therapie für sie selbst, sagt Sánchez.
    Eine Frau mit kurzen schwarzen Haaren und roten Lippen blickt in die Kamera.
    Calexico-Sänger Joey Burns und Amparo Sánchez verbindet eine langjährige Freundschaft (Racel López)
    Sánchez: "Die meisten dieser Songs handeln von Gewalt, physische oder psychische, beide Arten sind sehr grausam. Es geht um Liebe, aber auch Drogenmissbrauch, das war damals ein großes Problem in Spanien. Die Songs haben alle eine Bedeutung für mich: der erste "Adoro" handelt davon, dass man sich verliebt, aber bald verändert sich alles. Der letzte "Gracias a la vida" ist von Violetta Para. Ich habe ihn ausgewählt, weil ich damit sagen will: ich kann jetzt endlich mit diesen Ereignissen umgehen und dafür bin ich sehr dankbar."
    Musik: Amparo Sánchez - "Gracias a la Vida"
    Die Idee zum Album entstand 2019. Sánchez war gerade zurück nach Granada gezogen, um näher bei ihrer Mutter zu sein, die an Alzheimer litt. Nach deren Tod blieb sie in ihrer Heimat Andalusien und traf sich mit Weggefährten aus der Flamenco-Szene, wie den beiden Gitarristen Víctor Iniesta Iglesias und Eduardo Espín Pacheco. Mit ihnen hat sie die Songs auch aufgenommen. Die Arrangements sind reduziert und durchlässig: nur zwei Gitarren und Gesang. Der steht zweifellos im Mittelpunkt, aber auch die beiden Musiker zeigen, was sie an ihren Instrumenten können. Virtuos umkreisen sie Sánchez' charakteristische, ausdrucksstarke Stimme, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.
    Sánchez: "Ich wollte es so simpel und analog wie möglich halten, die Emotionen sollen für sich selbst sprechen. Die Arrangements sind nackt, denn ich möchte den Leuten das Gefühl vermitteln, als stünde ich direkt neben ihnen in ihrem Wohnzimmer. Die Songs sind emotional und liegen mir sehr am Herzen. Das wollte ich auch durch die Aufnahmetechnik zum Ausdruck bringen."
    Musik: Amparo Sánchez - "La pistola y el corazón"
    Sánchez ist es sehr wichtig, Frauen, die in einer ähnlichen Situation sind wie sie es war, zu unterstützen. Das macht sie durch Begegnungen und Workshops in Flüchtlingszentren und NGOs, die sich auf das Thema häusliche Gewalt spezialisiert haben.
    Sánchez: "Ich spreche häufig auf Konferenzen über mein Buch. Häusliche Gewalt ist ein großes Problem in Spanien. Ich spreche über die Anzeichen häuslicher Gewalt und wie man sie schon früh erkennt, damit anderen Frauen nicht das gleich widerfährt wie mir. Es ist enorm wichtig, dass darüber gesprochen wird. Außerdem ist es wichtig, dass die Frauen ihre Selbstliebe und Respekt behalten, vor allem in einer Beziehung. Das ist absolut fundamental. Sie verdienen Liebe und Respekt."
    Musik: Amparo Sánchez - "Han Caido los Dos"