Christoph Reimann: "You could be the next big thing" - "Du könntest das nächste große Ding sein". Das singen Sie auf Ihrem neuen Album. Wie ist das denn zu verstehen, als eine Art Mantra in Hinblick auf Ihre eigene Popkarriere vielleicht?
Nina Graf: Tatsächlich ist das Ganze ein bisschen ironischer gemeint, weil ich für mich die Erfahrung gemacht habe oder auch in meinem Umfeld von Musikern, dass von der Industrie gerne so etwas verlangt wird wie: Ja, du kannst das nächste tolle Ding sein, aber ändere bitte alles und auch deinen Charakter.
Reimann: Haben Sie das selbst erlebt?
Graf: Doch. Also ich sehe das ja schon, dass man größere Erfolgschancen zum Beispiel in Deutschland hat, wenn man eher so Singer/Songwriter-Deutschpop macht. Und das mache ich halt nicht, weil es nicht mein Ding ist. Das heißt, für mich sind bezüglich sehr großer Plattenfirmen und großer Bookings tatsächlich erst mal ganz viele Steine in den Weg gelegt. Und das geht vielen anderen Kollegen auch so.
Entscheidung zwischen Erfolg oder Liebe zur Musik
Reimann: Und Sie haben sich dann entschlossen, Ihren eigenen Weg zu gehen. War das von vornherein klar? Man überlegt doch auch, man will doch vielleicht auch einen Karriere machen, man will doch auch gehört werden.
Graf: Ich glaube, das ist eine Grundsatzentscheidung. Will man Musik machen, weil man eine bestimmte Art von Musik gerne mag und sie einem Spaß macht, Musik in einer bestimmten Hinsicht liebt? Oder will man das wegen des Erfolges oder wegen der persönlichen Karriere machen? Und ich glaube, da gibt es sozusagen nicht so richtig einen Mittelweg. Entweder man hat Glück und das, was man macht, ist zum Beispiel auch mega angesagt gerade. Oder man muss sich halt extrem anpassen. Und da muss man dann schauen, wie glücklich man mit welcher Entscheidung ist. Und ich glaube, ich wäre nicht besonders glücklich, wenn ich am Ende musikalisch etwas machen müsste, wo ich überhaupt nicht hinter stehe. Und deswegen war das eher eine Bauchentscheidung, die sich ganz intuitiv ergeben hat als wirklich eine Überlegung.
Reimann: Geld verdienen mit Popmusik - ist das für Sie tatsächlich dann der große Widerspruch?
Graf: Nee, überhaupt nicht. Ich finde es völlig legitim und mache das ja auch selber, mit Musik Geld zu verdienen. Ich finde, es wird halt immer dann kritisch, wenn man seine Musikschreibe und alles, was man macht, so daraufhin auslegt, dass man halt irgendwie möglichst viel Geld damit verdient und viele Leute damit erreicht und die Musik dabei in den Hintergrund rückt.
Reimann: Sie leben von der Musik, aber offenbar nicht nur von der Musik als Miu.
Graf: Nee, genau. Das ist zum Beispiel nicht so richtig möglich. Bin ich auch immer ganz ehrlich.
Silbermond ist tabu
Reimann: Ich habe ergooglet, dass man Sie als Sängerin für Hochzeiten buchen kann. Was wollen die Leute hören auf Hochzeiten?
Graf: Das ist etwas, was natürlich viele Sänger ab und zu machen, das hebt man nicht so richtig doll in den Vordergrund, aber irgendwo taucht man da auch mit auf. Was die Leute hören wollen - wahrscheinlich auch viele Klassiker. Das kann von Etta James sein, aber manchmal auch so Silbermond-Sachen. Das mache ich tatsächlich nicht. Ich habe irgendwann für mich, Gott sei Dank, den Stand gehabt, dass ich nicht alles singen muss, wo ich der Meinung bin, dass das überhaupt auch gar nicht zu mir passt.
Und mittlerweile ist es so, dass viele Leute auf mich zukommen, weil sie mich dann doch irgendwo mal auf einer Bühne gesehen haben und finden, dass ich meine eigene Musik gut klinge und frage dann halt höflich an, ob ich irgendwie auch auf ihrer Hochzeit singen könnte. Und da dachte ich: warum eigentlich nicht?
Reimann: Sie haben es ja gerade schon gesagt: Es gibt viele Musiker, die eben auch noch solchen Jobs nachgehen, zum Beispiel auf Hochzeiten singen. Ein Bespiel ist das zum Beispiel der Schwede Jens Lekman, der auch einen Song draus gemacht hat. Beeinflussen denn diese Hochzeitsgigs auch Ihr eigenes Songwriting?
Graf: Nee, überhaupt nicht. Also das sehe ich ganz klar als Job. Und da bereite ich mich vernünftig drauf vor. Und die Sachen kann ich auch entsprechend interpretieren und auch mit Seele singen. Es sei denn, man hat irgendwie ein ganz tolles Lied mal dabei, das man singen darf. Dann kann das einen Schreibe beeinflussen. Aber ehrlich gesagt nicht, das ist tatsächlich so ein Broterwerbsding.
Ganz viele musikalische Einflüsse
Reimann: Kommen wir mal auf das neue Album "Leaf" zu sprechen. Das ist ja mehr Upbeat als getragen, so zwischen Soul, 70er-Jahre-Pop und großer Geste. Entspricht das auch Ihrem Naturell, der Musik, die Sie mögen, das Schnelle, Ihrer Art zu leben?
Graf: Ja, ich habe auch in den letzten zwei, drei Jahren ein relativ unstetes Leben gehabt, weil gerade auch, wenn man Musik macht, ganz viel passiert und auch nicht so richtig viel planbar ist. Auf eine Art und Weise plant man halt immer ein nächstes Album oder seine nächsten Songs, die man schreiben möchte. Aber in der Zwischenzeit kann man gar nicht immer so viel planen. Und natürlich greift das Album ganz viele Einflüsse auf, die ich gerne mag, oder die ich schön finde, die wir dann mit der Band auch so umgesetzt haben.
Reimann: Was heißt das, unstetes Leben?
Graf: Dass man als Freiberufler, und das geht bestimmt auch anderen Branchen so, dass man gar nicht immer weiß, wie der nächste Monat aussieht. Also ich kann das nicht immer unbedingt planen. Gigs kommen oft relativ zeitig rein, dass man da gar nicht so richtig Vorlaufzeiten hat. Und deswegen ist man da schon ein bisschen am Puls seiner eigenen Zeit, manchmal.
Reimann: Warum bleiben Sie trotzdem bei der Musik?
Graf: Weil es total Spaß macht. Ich finde das ja auch überhaupt nicht schlimm, dass man unstet lebt. Also, Musikmachen ist ja auch so mit das Schönste, was es gibt, und das Schönste, womit man sich die ganze Zeit beschäftigen kann.
"Ich bin mit dem Musikmachen total happy"
Reimann: Sie könnten ja auch wieder zurückgehen in die Werbebranche. Da haben Sie ja, glaube ich, gelernt, wenn ich das richtig im Kopf habe.
Graf: Genau, da habe ich gelernt. Und ja, da würde ich aber gar nicht zurückgehen wollen. Das war eine ganz gute Schule für mich, um mich als Künstlerin aufzubauen und so ein paar Sachen für mich zu durchschauen oder auch zu verstehen, wie man ein Leben als Musiker aufbauen kann. Und ich bin auch absolut im Guten gegangen mit meinen alten Agenturleuten, habe auch immer noch Kontakt zu denen. Aber ich bin mit dem Musikmachen total happy.
Reimann: Und dann ging es nach New York zum Musikmachen, oder war das vorher? Es gibt ja diese Geschichte, dass Sie Ihre ersten Auftritte in einem kleinen New Yorker Club absolviert haben.
Graf: Genau. Das war tatsächlich vorher. Da habe ich noch ganz normal in der Werbung gearbeitet.
Reimann: Wie alt waren Sie da ungefähr?
Graf: 24, 23, irgendwie so in dem Dreh. Und da war meine Ausbildung gerade durch, und ich hatte das erste Mal so langsam ein Gehalt, wovon man sich mal etwas wegpacken konnte im Monat, damit man irgendwann mal vernünftig in den Urlaub fährt. Und ich wollte immer mal nach New York und habe das vorher nicht so richtig hingekriegt. Und dann bin ich dort hingeflogen und dort in einem Club namens The Bitter End gesungen, der relativ berühmt-berüchtigt für ganz viele berühmte Leute war, was ich vorher gar nicht so richtig wusste, dass da Baby Dylan gespielt hat, oder Joni Mitchell. Das war auch eine sehr, sehr unspektakuläre Singer/Songwriter-Session an sich. Aber das hat bei mir im Kopf halt viel geändert, weil ich nach Hause gekommen bin und dachte: Irgendwie ist es das doch mit der Musik und vielleicht bereust Du das irgendwann mal, wenn du alt bist, dass du das nicht vielleicht ernsthaft probiert hast.
Sehr verkopfte Texte
Reimann: Nach Hause gekommen, nach Hamburg gekommen. Diese Welt des angloamerikanischen Pop scheint ein Bezugspunkt für Ihre Musik zu sein. Wenn Kollegen über Sie schreiben, dann vergleichen die sie - na ja, auch mit der britischen Popmusik - auch mit Adele, mit Amy Winehouse oder mit dem Soul-Sänger Donny Hathaway. Dabei leben Sie ja in dieser Popgrübler-Stadt Hamburg. Meinen Sie, das Hanseatische schlägt sich auch irgendwie in Ihrer Musik nieder?
Graf: Ja, ich glaube, ich habe manchmal ein paar sehr verkopfte Texte dabei. Aber ansonsten von den Stilistiken, die die Musik dabei hat, bediene ich mich gerne den amerikanischen oder auch den englischen Strömungen, die da so sind. Einfach, weil das eine andere Popkultur ist, die sich da ein paar Jahrzehnte länger aufgebaut hat und das hier in Deutschland tatsächlich gar nicht so gang und gäbe ist. Das war immer die Musik, die ich gehört habe, immer die Musik, dich ich toll fand. Immer die, die ich auch immer machen wollte.
Reimann: Wenn wir mal bei den Texten bleiben: Auf diesem neuen Album, da gibt es einen Song, der heißt "Not Another Lovesong". Warum? Weil es davon schon genug gibt auf dieser Welt, von den Liebesliedern?
Graf: Man kann nie genug Liebeslieder schreiben. Aber ich habe das Lied vor allem auf diese Situation hin geschrieben, dass man gerne immer dann nervige Liebeslieder hört, wenn man sie gerade überhaupt nicht haben will, oder in Situationen, wo man sie überhaupt nicht ertragen kann.
Die Lieder an sich ranlassen
Reimann: Zum Beispiel? Also, was ist denn ein besonders nerviges Liebeslied, und in welcher Situation könnten sie das nicht ertragen?
Graf: Nervig nicht, aber ich glaube, wenn ich abends mit Leuten etwas trinken bin und eigentlich tendenziell eh schon schlechte Laune habe und leicht rührselig bin, dann muss ich nicht noch "Nothing Compares 2 U" hören.
Reimann: Weil es Sie dann auch traurig macht? Oder weil Sie denken: Nein, das ist irgendwie zu profan.
Graf: Ich glaube, es hätte halt... ja, es ist profan und hat eine absolut tragische Komik, glaube ich, in solchen Situationen. Und so was kam mir irgendwie so ein bisschen in den Kopf. Genauso eben auch, dass man... ich glaube, ich hatte das mal als Teenager. Da habe ich mich von meinem ersten Freund getrennt und fand Enrique Iglesias ganz, ganz schlimm. Und der hat, glaube ich, irgendein furchtbar schnulziges Liebeslied gerade draußen gehabt. Und ich habe wie ein Schlosshund wie zu Hause geweint. Da war ich vierzehn oder so. Und das war, glaube ich, so eine sehr typische Situation für dieses "Not Another Lovesong"-Ding, dass man selbst Lieder, die man furchtbar findet, dann doch ganz, ganz doll an sich dranlassen kann.
Reimann: Die sprechen dann plötzlich in solchen Momenten zu einem.
Graf: Ja, irgendwie schon.
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