Da schreibt ein Trainer einer Spielerin die Textnachricht: „Ich liebe dein sexy outfit“. Ein Turncoach greift der Athletin bei der Hilfestellung absichtlich an die Brust oder in den Intimbereich. Ein anderer brüllt einer Sportlerin ein „Halt die Fresse“ entgegen.
Übergriffe wie diese passieren tagtäglich. Im Leistungs- und Breitensport. Das belegen wissenschaftliche Studien und Gespräche mit Betroffenen.
Diese Taten sind strafrechtlich nicht relevant aber eine Form von psychischer oder verbaler sexualisierter Gewalt.
Diese Taten sind strafrechtlich nicht relevant aber eine Form von psychischer oder verbaler sexualisierter Gewalt.
„Es ist so, dass es tatsächlich spezielle Regelungen gegen diese Form von Gewalt noch nicht gegeben hat“, sagt Sportjurist Martin Nolte, der mit seiner Kollegin Caroline Bechtel den Code verfasst hat. „Und was auch fehlte, waren die spezifischen Rechtsfolgen, also Sanktionen, die sich gerade auf die Bekämpfung von interpersonaler Gewalt beziehen.“
Verbote und Sanktionen
Der Code schreibt für oben geschildertes Verhalten Sanktionen vor. Zum Beispiel: Vorläufige Suspendierung oder Platzverweis, ein Disziplinarverfahren des Verbandes. Im Anschluss etwa eine Verwarnung, Sperre, ein kompletter Lizenzentzug oder eines Vereinsausschluss. Das könnte auch für Verschweigen und Vertuschen gelten.
„Personen, die von Anhaltspunkten Kenntnis haben, dass interpersonale Gewalt vorliegt, sind verpflichtet, dann auch nach dem Code, diese Meldung weiterzugeben“, sagt Bechtel. Mit diesem Regelwerk will der Sport auch solche Verstöße rechtssicher ahnden können, die nicht strafrechtlich relevant sind.
Stephanie Gropp ist leitende Oberstaatsanwältin in Flensburg. Sie ist der Ansicht: wenn die Sportorganisationen ihn auch umsetzen, sendet der Safe Sport Code das Signal an Betroffene: „Dass ich als Organisation aufklären will. Dann, glaube ich, entwickelt sich eine Kultur, in der Betroffene den Mut finden, Straftaten zur Anzeige zu bringen. Ja, davon bin ich überzeugt.“
Rechtssichere Grundlage für mehr Schutz
Das alles klingt nach einem wichtigen Schritt: Eine rechtssichere Grundlage für mehr Schutz vor jeglicher Form von Gewalt unterhalb der Strafrechtsschwelle für die 27 Millionen Mitglieder in deutschen Sportvereinen, die im Deutschen Olympischen Sportbund organisiert sind.
Die evangelische und katholische Kirche haben solche Verbote und Gebote bereits vor fünf Jahren entwickelt. Nennen das Regelwerk „Gewaltschutzrichtline“ oder „Interventionsordnung“, das sie in den Strukturen implementieren und fortlaufend anpassen. Die katholische Kirche hat sogar eine Ordnung, die festlegt wie und in welcher Form Betroffene von Gewalt in ihren Strukturen entschädigt werden. Soweit ist der organisierte Sport noch längst nicht. Aber er macht sich mit dem Safe Sport Code auf den Weg.
Michaela Röhrbein vom Dachverband DOSB skizziert die kommenden Schritte mit dem Safe Sport Code: „Wir implementieren ihn jetzt innerhalb des DOSB. Und der zweite Schritt ist, dass unsere Mitgliedsorganisationen diesen Code bei sich implementieren und zur Abstimmung bringen bei ihren jeweiligen
Vollversammlungen. Und dann wiederum diejenigen Mitgliedsorganisationen, Organisation, also die Untergliederung, kaskadenmäßig dann bis zu den Sportvereinen.“
Vollversammlungen. Und dann wiederum diejenigen Mitgliedsorganisationen, Organisation, also die Untergliederung, kaskadenmäßig dann bis zu den Sportvereinen.“
Athleten Deutschland: „Großer Schritt nach vorn“
Bis der Code im gesamten deutschen Sport gilt, wird es Jahre dauern. Aber ein Anfang scheint gemacht und stößt auch bei denen, die der Code schützen soll, generell zunächst mal auf Zustimmung. Maximilian Klein von der Interessenvertretung Athleten Deutschland stellt fest, „dass das Neuland ist und auch ein großer Schritt nach vorne ist.“
Was ihm fehlt ist die Verknüpfung des Codes mit dem im Aufbau befindlichen unabhängigen Zentrum für Safe Sport. Diese auch von der Bundesregierung unterstützte Institution soll die Möglichkeit bieten, außerhalb der Sportstrukturen Übergriffe im Sport von unabhängiger Seite untersuchen zu können:
„Wenn die Sportorganisation einen Interessenkonflikt hat oder wenn die Sportorganisation schlechte Arbeit leistet oder untätig bleibt, dann bringt das alles nichts, wenn dann diese Sportorganisation auch noch diesen Missstand, diesen Vorfall ermitteln soll. Das heißt, in gewissen Fallkonstellationen sollen Sportorganisationen unbedingt an das zu schaffende Zentrum für Safe-Sport abgeben. Weil eine gewissen Unabhängigkeit zumindest in manchen Fallkonstellationen unbedingt erforderlich ist.“ Man könne nicht an etwas abgeben, was noch gar nicht existiere, argumentieren dagegen die Verbände.
Deutliche Kritik von Betroffenen
Vonseiten der Betroffenen kommt zum Teil deutliche Kritik. Sie fühlen sich in den Entstehungs- und Diskussionsprozess des Codes gar nicht beziehungsweise zu spät eingebunden. Ihnen fehlten in der ursprünglichen Version ganz entscheidende Punkte. Etwa der, eine Aussage über einen Übergriff anonym machen zu können, damit keine Rückschlüsse auf die betroffene Person möglich sind. Das hätten sie jetzt in den Code reingekämpft, sagt Nadine Dobler.
Die ehemalige Fußballerin ist selbst Betroffene und arbeitet jetzt in der unabhängigen Anlaufstelle „Anlauf gegen Gewalt“. Hier ist sie Ansprechperson für Athletinnen und Athleten aus dem Leistungssport. Wenn diese zu ihr kämen und von einem Übergriff berichteten, hätten sie häufig bereits mit zahlreichen Stellen im Sport gesprochen und zu hören bekommen: ,„Wir können da von außen nichts machen“.
Der Safe Sport Code solle jetzt zwar die rechtliche Grundlage zum Handeln schaffen, aber: „Ob jetzt tatsächlich die Fähigkeit vorhanden ist, eine Struktur aufzubauen, Meldungen entgegenzunehmen und alles genau so umzusetzen, wie der Code das jetzt vorschreibt, das bezweifle ich einfach sehr.“
Wahlmöglichkeit fehlt, Verjährungsfrist zu kurz
Dobler und ihre Mitstreiterinnen fordern daher: Betroffene müssten frei wählen können: Soll ihre Meldung über einen Übergriff innerhalb der Sportstrukturen untersucht werden oder von einer unabhängigen Institution. Wie etwa einem übergeordneten Safe Sport Zentrum, das gerade aufgebaut wird. Diese Wahlmöglichkeit für Betroffene sieht der Safe Sport Code allerdings gar nicht vor. Und auch die Verjährungsfrist von fünf Jahren halten sie für viel zu kurz:
„Der Code ist in vielen Dingen kritikwürdig, aber dass es ihn überhaupt gibt und dass so ein Prozess innerhalb des organisierten Sports gibt, der diesen Code aufstellen wollte - den Willen nehme ich ihnen schon ab, dass sie mit dem Code wirklich etwas bewirken wollen",, sagt Nadine Dobler. Sie hofft auf eine Sogwirkung. Dass Vereine und Verbände, die das Thema bisher verdrängt hätten, merkten: Wir müssen uns damit befassen.
„Dass das Bewusstsein dafür sehr geschärft wird. Und vielleicht auch das Bewusstsein dahin: das könnte eine Nummer zu groß für uns sein. Wir geben es lieber an Dritte ab, weil es auch für uns einfacher sein wird, weil es Leute mit Expertise gibt, die das vielleicht anders regeln.“ Dass es jetzt einen Safe Sport Code gibt, ist ein wichtiger erster Schritt. Nun kommt es darauf an, dass er im Sinne der Betroffenen umgesetzt wird.