Yarah trägt ein gelbes Shirt, modisch zerrissene Jeans und ihren geblümten Hidschab recht locker um den Kopf gelegt. Yarah ist 16 Jahre alt und lebt in Ezbat Khairallah, einem Slum-Stadtteil Kairos. Enge Gassen mit staubigen Wegen, kleinste Läden, die Gebäck und Brot in ihren selbstgezimmerten Auslagen anbieten, unfertige, unverputzte Häuser, die ein Dach über dem Kopf bieten, aber auch nicht mehr. Die junge Frau, die hier aufgewachsen ist, träumt von einer anderen Welt.
Sie steht vor einem Modell ihres Stadtteils, das sie selbst gebaut hat. Eine Schule mit Fußballplatz ist darauf zu sehen, ein Krankenhaus, eine Moschee, die Straße rund um einen Platz ist asphaltiert und mit Richtungspfeilen versehen. Eine Wunschwelt, Lichtjahre von Yarahs Zuhause entfernt.
"Das sind die Dinge, die mir in meinem Viertel fehlen und die ich unbedingt haben möchte. Dinge, die wir brauchen."
Yarah hat lange an ihrem Modell gebastelt, in den Räumen des Safer-City-Projektes in Kairo, das von Plan International organisiert wird. Kinder, Mädchen und junge Frauen werden hier unterstützt, ihnen wird der Rücken gestärkt für ihr Leben in der männerdominierten ägyptischen Gesellschaft. Und sie lernen, sich vor Übergriffen auf der Straße zu schützen.
Flucht aus dem engen Zuhause
Die 18-jährige Zeinab verpasst keinen der wöchentlichen Treffs des Mädchen-Clubs. Sie kann dann raus aus ihrem engen Zuhause.
"Wir sind acht Personen zuhause. Mein Vater war lange im Militär, er ist sehr streng. Meine Brüder kontrollieren mich immer, sie sind Jungs, sie dürfen alles. Sie sind besser als Mädchen. Ich muss den Haushalt machen, darf allerdings in Ruhe für die Schule lernen."
Aber trotzdem, sagt Zeinab, habe sie bisher nicht viel lernen können, viel, viel weniger als sie sich wünsche:
"Ich kann gerade mal ganz gut lesen und schreiben, das ist alles. Der Unterricht ist schlecht, häufig erscheinen die Lehrer gar nicht. Und das Viertel ist furchtbar. Die Straßen haben Löcher, überall warten üble Leute, Bettler. Gegenüber von unserem Haus ist eine Werkstatt. Mein Vater erlaubt mir nicht einmal, auf den Balkon zu gehen, weil mich die Handwerker dann sehen könnten. Mein Vater sagt, ich bin dann schuld, wenn sie mich anschauen und ansprechen."
Die Mädchen reden sich in Rage
Yarah, Zeinab und die 16-jährige Hadeer sitzen zusammen und erzählen, wie es ist, wenn man sich manchmal kaum auf die Straße traut, immer in der Sorge, von Jungs und Männern angequatscht oder auch angefasst zu werden. Sie erzählen nicht einfach, sie reden sich geradezu in Rage:
"Jungs sind immer besser. Sie können die ganze Nacht wegbleiben. Ich darf nicht mal abends raus. Meine Eltern empfinde ich als fast extremistisch. Sie folgen ganz strengen Regeln. Langsam kann ich mich davon befreien. Aber mir wird so viel verboten. Früher, wenn mir wieder mal verboten wurde, rauszugehen und etwas zu kaufen beispielsweise, dann habe ich mich in meinem Zimmer eingeschlossen und geweint."
Aber es gibt Gegenmittel. Mittel, um stark zu werden. Fußball beispielsweise. Zu Yarahs Modellstadt gehört nicht zufällig ein Fußballplatz. Das Plan-International-Mädchenprojekt bietet Fußballkurse an, für Mädchen und Jungen. Erst wird getrennt trainiert, dann gegeneinander gespielt, am Ende, wenn die Jungs genügend Respekt vor der Ballkunst der Mädchen haben, treten gemischte Mannschaften an. Yarah kann es immer noch nicht fassen:
"Ich darf nur hier auf dem Platz des Projekts Fußball spielen. Auf keinen Fall draußen. Anfangs war mein Vater absolut dagegen. Fußball mit Jungs, das geht ja gar nicht. Aber dann haben wir ihn eingeladen, er ist auch gekommen, und es hat ihm gefallen. Manchmal denke ich: Oh Gott, ich spiele Fußball."
Jungs lernen hier, wie man mit Mädchen redet
Das Fußball-Projekt ist so eine Art Leuchtturm der Aktivitäten in Ezbat Khairallah. In einem Viertel, in dem es an nahezu allem fehlt, sagt Mona Hussein von Plan International:
"Es ist ein Slum, in dem viele grundlegende Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Es gibt keine Bildungsangebote, es gibt keine Angebote für Kinder und junge Menschen."
1.000 Mädchen hat das Safer City Projekt in Kairo bisher erreicht, auch Jungs, die spielerisch lernen, mit Mädchen zu reden und sie als gleichberechtigt anzusehen, und Eltern, ohne deren Zustimmung kaum Veränderungen möglich sind.
Die 12-jährige Nizma fährt gerne Fahrrad. Dazu musste sie es erst einmal lernen. Durchaus nicht alltäglich in Ägypten. Ein Mädchen, das alleine mit dem Fahrrad herumfährt. Sie sitzt mit ihrer Mutter in einer Gesprächsrunde, die den gewichtigen Titel "Dialog der Generationen" trägt.
"Als ich meinem Vater vom Fahrrad erzählt habe, hat er Nein gesagt. Erst wusste ich nicht weiter, ich hatte Angst, dass er mich schlägt. Dann habe ich mich doch getraut und gesagt, dass mein Cousin doch auch Rad fährt. Und Jungs und Mädchen seien doch gleich. Und am Ende hat er mir zugestimmt."
"Wir können im Viertel nicht tun, was wir wollen und denken"
Ein Glücksfall, ein Produkt der Projektarbeit, überhaupt nicht selbstverständlich. Und nicht einfach, ergänzt Nizmas Mutter Safa:
"Wir sind ziemlich unter Druck hier im Viertel und können nicht tun, was wir wollen und denken. Es gibt ordentlich Widerstand der Leute."
Aber die selbstbewusster gewordenen Mädchen und jungen Frauen brechen ganz langsam traditionelle und fast unverrückbar erscheinende Strukturen auf. Wir lassen uns nicht mehr alles verbieten, sagt Zeinab:
"Früher musste ich immer meine Eltern fragen und mir helfen lassen. Und wenn ich irgendwie angegriffen oder blöd angemacht wurde, dann war immer ich schuld. Mittlerweile kann ich mich wehren, das habe ich gelernt."
"Ich muss hier weg. Hier werde ich verrückt"
Einen Wunsch habe sie, sagt die 18-Jährige. Sie müsse weg aus ihrem Slumviertel Ezbat Khairallah. Kairo biete schließlich andere Möglichkeiten:
"Ich möchte einfach woanders leben. Ich muss hier weg. Hier werde ich wirklich verrückt."