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Sag zum Abschied musikalisch Servus

Matthias Hartmann hat das Zürcher Schauspielhaus in den vergangenen Jahren mit großem Erfolg bespielt: künstlerisch und wirtschaftlich. Der Erfolg war so groß, dass er diesen Sommer zur Wiener Burg wechselt. Nun gab es die letzte Premiere unter Hartmanns Intendanz in Zürich, und er hieße nicht Matthias Hartmann, hätte er es nicht noch mal so richtig krachen lassen: Niklaus Helbling hat Brechts "Dreigroschenoper" inszeniert.

Von Cornelie Ueding |
    Ein Jahrmarktausrufer verheißt eine von Bettlern erträumte "Billig-Oper"und sagt die Szenen an: eine schräge Gestalt auf Koturnen mit Hut und Monokel. Bevor er spricht, kippt er immer erst in Positur und steht dann da wie eine mechanische Puppe mit verrenkten Gliedern. Vor allem Anfang werden hintereinander hängende Bühnenprospekte durchgeblättert, hochgezogen, weggeblendet: alte, graubraune Kintopp-Szenarien, ein Zimmer von oben, ein Toter im Salon, London im Schnee, eine belebte Marktgasse, schließlich Fabrikhallen an der Love Lane - und erst ganz weit hinten, hinter all diesen Genrebildern, steht die Phalanx der Figuren bereit, bunte, schräge Vögel, für einen Moment noch starr - bis sie von Regisseur Niklaus Helbling zu einem hinreißend bewegten Leben erweckt werden.

    Das Bühnenbild - nichts als Projektionen auf eine kahle, halbe Halfpipe. Freilich: Nicht Skateboarder zeigen hier ihre Künste, sondern Bühnenbildner Dirk Thiele zusammen mit Elke Auer und Esther Straganz, die für die Videos zuständig sind. Ein betörender, jeweils situationsbezogener Bild- und Zeichenmix, Brecht-Merksätze und halbgeschwärzte, also "eigentlich" zensierte Textstellen, deren Kontext und ihre Bedeutung die Figuren gerade erspielen. Wo man hinschaut: pfiffig arrangierte Klischees. Und ihre Demontage.

    Peachums Reich: Ein gewagter Aufbau, eine ziemlich haltlose Wand aus Matratzen, die wie Dominosteine aneinandergelegt sind. Der Puff, noch so eine Wand mit Durchblicken, diesmal tiefrot. Natürlich sind die Huren aus Klischees zusammengesetzt: blonde Zöpfe, schwarzes Langhaar, rote Schaftstiefel und steile Stöckelschuhe, halbnackt oder zugeknöpft, verschlagen und verträumt. Mackie Messer posiert als Geck im roten Anzug mit Kavaliersstöckchen und wäre gerne der ungekrönte König dieser Salons, statt in die Rolle des verratenen Ganoven zu geraten. Am stärksten fühlt er sich, wenn er kleine Mädchen aus - hier sind schon dicke Fragezeichen angebracht - "besserem Hause" verführt.

    Polly zum Beispiel, Polly Peachum. Eine Porzellanpuppe. Runde Augen, rote Bäckchen, Lockenbausch rechts und links. Die Haare oben auf dem Kopf plattgeschniegelt. Ein braves Mädchen? Na ja, sollte sie sein, doch sie büxt aus, krallt sich "ihren" Mackie Messer und träumt ihn sich, gutbürgerlich und schon früh resigniert, als ihren Besitz.

    Vor ihren empört besorgten Eltern verteidigt sie sich bravourös! Weiß, wie die denken und was die hören wollen, zählt erstmal all die Typen auf, denen sie nicht auf dem Leim geht - aber dann wird sie zur Furie, tobt singend, keifend, schmachtend, stampfend und kreiselnd ihre Leidenschaft für den einen, absolut ungehobelten Kerl aus und stürzt, vor Wonne schluchzend, zu Boden. Ein gefallenes Mädchen, gutbürgerlich gesehen. Wenn sie sich von Pose zu Pose singt, natürlich auch eine Karikatur. Aber im entscheidenden Augenblick bricht sie aus dem zur Rolle gehörenden Gefühlsausbruch aus und ist einfach eine von ihrer Liebe und ihrem Schmerz um einen, ach: Filou, überwältigte Frau.

    Die Spätfolgen eines solchen leidgeprüften Lebens mit dem Messer im Herzen sind bei ihrer Mutter zu besichtigen: Eine ebenso resolute wie unerwünschte Tochterretterin, dabei hysterisch, bockig, vorwurfsvoll, eine ausgezehrte lange dürre Person, die sich im Dunstkreis ihres Mannes buchstäblich verdünnisiert, die Arme eng am Körper zusammenklappt, hektisch auffährt, seine Handlungsanweisungen befolgt - und hintenrum nachtritt. Die komische gestaltgewordene, ruhelose Ohnmacht. Sehr komisch. Und bisweilen sehr anrührend. Und so sind sie alle, die Riege der dressierten und schnieke gedressten Ganoven und Polizisten bis hin zu ihrem schlotternd wachsweichen Chef: In einer Ecke ihres Herzens voller echter schiefer Gefühle - und im nächsten Moment gewissenlose, verkommene Subjekte.

    Die Musiker unter Leitung von Mathias Stötzel betonen Reibungen, verzerrte Klänge, oder geraten, im Wechsel mit flotten Rhythmen, ins Stocken. Viele der Songs, nachdenklich oder gequäkt, geplärrt oder traumverloren gehaucht, hört man ganz neu. Und so ist diese hinreißend slapstickartige Variante der Verfremdung, diese Kunstwelt um die Projektionsfigur Mackie Messer, ganz fern der bekannten Belehrseligkeit von Brecht-Gralshütern, voller Comic-, Revue- und Musicalelemente, aktuell ohne Aktualisierung und ein furioser Schlusspunkt der anregenden und eigentlich viel zu kurzen Züricher Intendanz von Matthias Hartmann.