Archiv


Sagenhafte Kriegerinnen des Alltags

Sie sollen vor den Toren Trojas gekämpft, die Stadt Athen belagert haben, ja sogar mit Alexander dem Großen zusammengetroffen sein: Seit nahezu 3000 Jahren existiert die Legende vom Volk der Amazonen. Welcher wahre Kern hinter der Legende steckt, das zeigt eine Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz in Speyer.

Von Barbara Weber |
    Einst zogen die Griechen unter der Führung des Herakles gegen die Amazonen in Themiskyra in den Kampf. Die überlebenden Kriegerinnen wurden von den siegreichen Griechen auf Schiffen aus ihrer Heimat verschleppt.

    Herodot, Historien, Buch IV, Vers 110:
    "Nun kannten aber die Amazonen keine Schiffe und wussten mit Steuer und Segeln oder Rudern nicht umzugehen."

    Dennoch gelang ihnen die Flucht über das Schwarze Meer, wo sie auf das Reitervolk der Skythen trafen.

    "In meinem Kinderbuch gab es dann zu jeder Tat eine bildliche Illustration."

    Lars Börne, Althistoriker und Projektleiter der Ausstellung.

    "Und da war dann natürlich eine Amazone als sehr erotische – hat man damals als Jüngling schon wahrgenommen - sehr erotische Frau, sportlich gekleidet, allerdings auch in Waffen, in Rüstung gekleidet, aggressiv natürlich daherkommend aber auch als Schönheit. Das sind so die Assoziationen der Kindheit mit den Amazonen."

    Die Wonderwomen und Lara Crofts der Antike sind Konstruktionen einer vermeintlichen, zeitlosen Wirklichkeit. Sie sind Archetypen, die die Fantasie der Menschen anregen und in das Reich der Mythen, der Legenden und Märchen projiziert werden. Aber wie viel Wahrheit steckt hinter diesen Fantasien?
    Das wollten die Wissenschaftler des Historischen Museums der Pfalz in Speyer wissen.

    "Wir bringen die verschiedenen Quellengattungen zur Sprache."

    Alexander Koch, Archäologe und Direktor des Museums.

    "Die antike Überlieferung, die sich in den literarischen Zeugnissen niederschlägt, zum zweiten aber auch in den Bilddenkmälern der griechisch-römischen Zeit, und auf der anderen Seite das, was die Steppenarchäologie an Hinterlassenschaften preisgibt. Und in dieser Gegenüberstellung ergeben sich ganz neue Ansätze, dieses Phänomen zu beleuchten und darzustellen."

    Und so zeigt die Ausstellung nicht nur Beispiele aus der griechischen Mythologie, auch Vasen, Rekonstruktionen von Gräbern, Beigaben wie Schmuck, Pfeile, Kleidungsstücke, Münzen und andere archäologische Funde werden präsentiert und in einen neuen Zusammenhang gestellt.

    "Bis dato hatte man ganz klare Vorstellungen vom antiken Mythos, der immer wieder tradiert wurde bis in unsere heutige Gegenwart hinein. Aber erst seit etwa zwanzig Jahren sind in einem größeren Maße auch Hinterlassenschaften ins Blickfeld gerückt von steppennomadischen Populationen, von denen wir heute wissen, dass es sehr wohl dort Frauen gab, die wie Männer in den Krieg zogen, wie Männer kämpften und die dann auch mit Blick auf ihre Gräber, mit Waffen beigesetzt worden waren. Und die von anthropologischer Seite auch als Frauen identifiziert werden können, und das ist natürlich eine Sensation, wenn man dies in Beziehung setzt zum antiken Amazonenmythos."

    Nach anfänglichen Kämpfen näherten sich die jungen Skythen den Amazonen und versuchten sie dazu zu bewegen, mit ihnen zu leben. Die Kriegerinnen lehnten dies jedoch ab.

    Herodot, Historien, Buch IV, Vers 114
    "Wir schießen mit Pfeilen und Speeren und leben auf dem Pferd; Frauenarbeit haben wir nicht gelernt. Eure Frauen hingegen tun nichts von dem, was wir aufzählten, sondern leisten Frauenarbeit, bleiben auf den Wagen, gehen weder auf die Jagd noch anderswohin. Wir werden uns kaum mit ihnen vertragen".

    "Wir stehen jetzt in der Ausstellung vor zwei Baumsärgen. In diesen liegen zwei Skelette. Auf der rechten Seite sehen wir einen Mann, der ist im Alter zwischen 40 und fünfzig Jahren ungefähr gestorben. Er hat als Grabbeigaben einen Streitpickel bei sich. Er hat hölzerne Pfeilspitzen. Er hat einen wunderbaren Gürtel, der geschnitzt war mit Tierszenen darauf zu sehen. Dieser Gürtel war mal mit Goldfolie umwickelt. Er hat eine Filzmütze auf dem Kopf, die auch mit Tierfigurinen besetzt ist, die auch mal mit Goldfolie umwickelt waren. Er hatte zum Beispiel einen goldenen Halsreif um den Hals."

    "Neben ihm liegt ein Skelett mit einem relativ identischen Inventar. Auch in diesem Inventar befindet sich Pfeilspitze, befindet sich ein Streitpickel. Auch dort finden sich die Überreste einer solchen Haube. Es finden sich die Überreste eines Gürtels, eines Messers. Man sieht einen Bogenbehältnis, das ist relativ weit verbreitet unter diesen Reiternomadenvölkern der Skythen. Und das spannende an diesem Skelett ist, dass es kein Mann sondern eine Frau ist."

    "Es ist eine junge Skythin, die zusammen mit diesem älteren Herren auf dem sogenannten Ukok – Plateau gefunden wurde. Das liegt im Altai, an der mongolisch – russischen Grenze gelegen. Das spannende an dieser Situation ist, dass wir einen Mann und eine Frau zusammen paritätisch in einem Grab gefunden haben, beide mit den gleichen Beigaben ausgestattet."

    So gingen die jungen Skythen mit ihnen fort und begründeten ein neues Volk, die Sauromaten, erzählt Herodot. Die Sauromatinnen trügen noch immer das kriegerische Erbe der Amazonen in sich:

    Herodot, Historien, Buch IV, Vers 116-117
    "Seitdem führen die Sauromatenfrauen die alte Lebensweise. Sie reiten zur Jagd mit und ohne Männer, ziehen in den Krieg und tragen die gleiche Kleidung wie die Männer."

    Gab es also das von Herodot und zahlreichen anderen griechischen Schriftstellern beschriebene Volk der Amazonen? Die Wissenschaftler sind skeptisch. Aber reine Fantasieprodukte sind diese Frauen nicht, denn es lässt sich belegen, ...

    "... dass es einen greifbaren und belegbaren Einfluss dieser skythischen Völker auf den Amazonenmythos gegeben hat, und zwar einen so starken Einfluss, dass schon die Griechen sich selbst gefragt haben müssen: Sind in diesen Kriegerinnen der Skythen, nicht tatsächlich unsere Amazonen der Legende zu sehen. Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns diese Frage stellen, sondern offensichtlich hat man sich im 5. Jahrhundert in Griechenland sich offensichtlich selbst schon diese Frage gestellt. Das findet seinen Niederschlag in den schriftlichen Quellen, aber auch in den archäologischen Quellen, vorrangig in der Vasenmalerei. Das ist ein sensationeller und sehr schöner Aspekt, den wir hier herausarbeiten konnten."

    Für den Direktor des Historischen Museums der Pfalz, Alexander Koch, hat die Beschäftigung mit der Ausstellung einen weiteren Aspekt in den Vordergrund gerückt:

    "Die Ausstellung ist eher eine Bestätigung dafür, dass wir solche kulturgeschichtlichen Themen grundsätzlich interdisziplinär angehen müssen. Um ein Beispiel herauszugreifen: Über Generationen hinweg wurden beigabenführende Gräber verschiedener Gesellschaften in vor- und frühgeschichtlicher Zeit ausschließlich nach archäologischen Geschlechtern bestimmt, das heißt, wenn ein Grab entsprechende Beigaben enthielt, von denen man annahm, dass sie von einer Frau getragen worden waren, Schmuck, Perlen, bestimmte verzierte Gegenstände, dann war klar für einen Archäologen, für einen Ausgräber, jawohl, wir haben es mit einem Frauengrab zu tun. Heute wissen wir längst, und es wird inzwischen ja auch so gehandhabt, dass gleichbedeutend mit den Aussagen der Archäologie, die Aussagen der Naturwissenschaften an die Seite gestellt werden können und müssen. Wir müssen also sehr viel vorsichtiger heute umgehen, und wir müssen uns immer der Unterstützung anderer wissenschaftlicher Disziplinen bedienen."

    Literatur
    Hrsg. Historisches Museum der Pfalz Speyer, Amazonen – Geheimnisvolle Kriegerinnen, Verlag Edition Minerva, München, 2010