Samstag, 11. Mai 2024

Sahra-Wagenknecht-Partei
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Sahra Wagenknecht will eine eigene Partei gründen. Sie und weitere Abgeordnete hatten die Linke verlassen. Damit ging auch die Auflösung der Linksfraktion im Bundestag einher, die verbliebenen Abgeordneten wollen als Gruppe weitermachen.

06.12.2023
    Porträt der Linken-Abgeordneten Sahra Wagenknecht bei einem Pressetermin.
    Sie geht ihren eigenen Weg: Sahra Wagenknecht wendet sich von der Linken ab. (picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt)
    Die frühere Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht verlässt Die Linke und will 2024 ihre eigene Partei gründen. Diese soll aus dem Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht – für Vernunft und Gerechtigkeit“ hervorgehen.
    Mit Wagenknecht verlassen weitere Bundestagsabgeordnete die Linke, darunter auch die bisherige Co-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali. Die neue Partei soll erstmals zur Europawahl 2024 antreten.
    Für die Linke ist das ein herber Schlag: Am 6. Dezember 2023 wurde ein von der Bundestagsfraktion gefasster Beschluss zur Selbstauflösung wirksam.

    Inhaltsverzeichnis

    Wie begründet Sahra Wagenknecht ihren Schritt?

    So, wie es derzeit in Deutschland laufe, dürfe es nicht weitergehen, sagte Wagenknecht in Berlin auf einer Pressekonferenz am 23.10.2023. „Denn sonst werden wir unser Land in zehn Jahren wahrscheinlich nicht wiedererkennen.“ Die Ampel-Regierung sei trotz zahlreicher Krisen in der Welt planlos; die Bundesrepublik habe "die wohl schlechteste Regierung ihrer Geschichte". Deutschland verfüge über eine absurd schlechte Infrastruktur. Das Land müsse weg von einem blinden Öko-Aktivismus und einer ungeregelten Zuwanderung.
    Viele Menschen hätten das Vertrauen in den Staat verloren, sagte Wagenknecht. Deutschland drohe ein Wohlstandsverlust; oberstes Ziel sei es, eine neue Wirtschaftspolitik der Vernunft zu etablieren. Außerdem müsse der Mindestlohn deutlich angehoben werden.

    Wer sind die Mitstreiter von Sahra Wagenknecht?

    Neben der bisherigen Co-Fraktionsvorsitzenden der Linken, Amira Mohamed Ali, gehört auch der Bundestagsabgeordnete Christian Leye zu Wagenknechts Mitstreitern. Weitere Abgeordnete erklärten ihren Parteiaustritt. Allerdings wollen sie der Linken-Bundestagsfraktion zunächst weiter angehören, um einen geordneten Übergang zu gewährleisten, so Mohamed Ali. Sie ist Vorsitzende des Vereins "Bündnis Sahra Wagenknecht", Geschäftsführer ist Lukas Schön, Schatzmeister der Millionär Ralph Suikat.

    Welche Folgen hat der Austritt für die Linksfraktion?

    18 Jahre lang war Die Linke als Fraktion im Deutschen Bundestag vertreten. Am 6. Dezember 2023 ging diese Ära nun erst einmal zu Ende, ein von der Bundestagsfraktion gefasster Beschluss zur Selbstauflösung wurde wirksam.
    Auslöser war die Abspaltung von Sahra Wagenknecht und neun weiteren Bundestagsabgeordneten von der Linksfraktion. Damit hatte sie die Mindestanzahl von 37 Sitzen verloren. Nun steht die Liquidierung der Fraktion an, die auch mit Kündigungen von vielen Mitarbeitern einhergeht.
    Sowohl die verbliebenen 28 Abgeordneten als auch die zehn Abgeordneten um Sahra Wagenknecht wollen sich jeweils als Gruppe zusammenschließen und weitermachen. Der Bundestag muss dem aber noch zustimmen. Mit dem Gruppenstatus sind weniger Rechte verbunden. So fallen finanzielle Mittel geringer aus und es kann auch keine aktuelle Fragestunde im Parlament beantragt werden.

    Abweichler sollen Mandate abgeben

    Die Partei forderte Wagenknecht und ihre Mitstreiter auf, ihre Mandate niederzulegen. Der Linken-Co-Vorsitzende Martin Schirdewan nannte deren Pläne verantwortungslos. Das Konkurrenzprojekt zur Linken setze offensichtlich auf eine Entsolidarisierung der Gesellschaft, was fatal sei.
    Die Linken-Abgeordneten Gesine Lötzsch, Sören Pellmann und Gregor Gysi erklärten, die Abweichler seien nur durch sie ins Parlament eingezogen. Ihre Mandate jetzt noch zu behalten, käme einem "höchst unmoralischen Diebstahl" gleich. Lötzsch, Pellmann und Gysi hatten bei der letzten Bundestagswahl jeweils Direktmandate geholt. Nur deshalb hatte Die Linke überhaupt Fraktionsstatus erhalten, obwohl sie unter der Fünf-Prozent-Hürde lag.

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    Die Wagenknecht-Mitstreiterin Amira Mohamed Ali wies die Forderung nach Mandatsrückgabe zurück: „Unser Grundgesetz gibt vor, dass das Mandat frei ist, die Abgeordneten sind ihrem Gewissen verpflichtet. Man ist nicht der Partei verpflichtet."
    Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch hatte bereits im Vorfeld betont, dass Landesregierungen mit Linken-Beteiligung stabil weiterarbeiten würden, etwa sein Landesverband in Mecklenburg-Vorpommern und die dort regierende rot-rote Koalition.
    Eine Hoffnung innerhalb der Linken ist es, dass die ständigen inhaltlichen Unklarheiten und Widersprüche, die Wagenknecht personifiziert, mit einem Austritt verschwinden und sich die Partei dann als moderne, progressive linke Partei mit klarer Haltung präsentieren kann. Fraglich ist, ob das genügt, den Niedergang zu stoppen.

    Welche Chancen hätte die Partei von Sahra Wagenknecht bei Wahlen?

    In der jüngsten Umfrage von Insa für die „Bild am Sonntag“ gaben 27 Prozent der Befragten an, sich vorstellen zu können, eine Wagenknecht-Partei zu wählen.
    In früheren Umfragen der Meinungsforschungsinstitute Forsa und Kantar kommt eine potenzielle Wagenknecht-Partei auf ein Wählerpotenzial von 19 Prozent. Solche Werte sind allerdings mit Vorsicht zu behandeln: Ein ähnliches Potenzial wurde 2009 der Horst-Schlämmer-Partei bescheinigt, als Harpe Kerkelings Kunstfigur in einem Kinofilm Politiker wurde.
    Die Umfragen werden im Wagenknecht-Lager als Signal gedeutet, ein weit größeres Potenzial als die linke Stammpartei zu besitzen. Die verharrt derzeit in bundesweiten Umfragen zwischen vier und fünf, zuweilen sechs Prozent.

    Die Unzufriedenen an den politischen Rändern

    Eine Chance besteht darin, dass sich Wagenknechts mögliche Wählerschaft nicht nur aus enttäuschten Linken-Sympathisanten zusammensetzen würde, sondern vor allem aus bisherigen Anhängern der AfD und bis zu einem gewissen Grad der CDU.
    So weist der Politikwissenschaftler Thorsten Faas auf die vielen Unzufriedenen an den politischen Rändern hin. Eine Wählerschaft, die inhaltlich „nicht zwingend auf der rechten Seite gebunden“ sei, könnte sich demnach für eine Wagenknecht-Partei entscheiden. Allerdings sei fraglich, ob es gelinge, flächendeckend 16 schlagkräftige Landesverbände aufzustellen.
    Grundsätzlich könnte es künftig mit einer neuen Partei noch schwieriger werden, Mehrheiten für eine Regierungsbildung zu finden, so Faas. Auch seine Kollegin Andrea Römmele zweifelt grundsätzlich an einem Erfolg des Wagenknecht-Projekts. Sie bezeichnet es als "Blumenstrauß, der von links nach rechts reicht": Wählerinnen und Wähler würden doch eher das Original wählen als die Kopie.

    Wo wird die Wagenknecht-Partei inhaltlich stehen?

    Sahra Wagenknecht verfolgt die Strategie eines Linkskonservatismus: Ökonomisch und sozialpolitisch wären die Unterschiede zu ihrer aktuellen Partei gering. Allerdings wird sich die Wagenknecht-Partei wahrscheinlich noch deutlicher als Protestpartei inszenieren, mit einer Botschaft des "Wir da unten gegen die da oben".
    Der große Unterschied aber dürfte gesellschaftspolitisch und kulturell deutlich sein: Hier prägt Wagenknecht eine konservative Haltung, weshalb sie in den vergangenen Jahren immer wieder mit der Linken aneinander geriet.
    Die Positionen zu Migration oder Klimapolitik liegen näher an den Unionsparteien als an der Linken. Das entspricht auch ihrer Kritik an der Linken, diese richte sich an ein "urbanes Milieu" und kämpfe für Interessen von "skurrilen Minderheiten" statt für die "normalen Leute". Entsprechend hatte Wagenknecht neben ihrer eigenen Partei vor allem die Grünen als Hauptgegner ausgemacht.
    Der Politikwissenschaftler Faas spricht von „hehren Zielen“ des „Bündnisses Sahra Wagenknecht“: wirtschaftliche Vernunft, soziale Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit – dagegen könne niemand etwas haben. Wagenknecht wolle die große Unzufriedenheit „in die eigenen Bahnen lenken".