Analyse und Einordnung*
Was Sahra Wagenknecht zum Krieg in der Ukraine sagt

Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine ist eines der Hauptthemen des BSW. Parteichefin Sahra Wagenknecht ist unter anderem gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Wir haben einige ihrer Thesen auf den Prüfstand gestellt.

    Sahra Wagenknecht, Bundesvorsitzende des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), spricht während eines Pressestatements nach der Sitzung der Bundestagsfraktion.
    Sie will, dass die Ukraine keine weiteren Waffen aus dem Westen erhält: Sahra Wagenknecht. (picture alliance / dpa / Hannes P Albert)
    Mit ihrer Kritik an der Ukrainepolitik der Bundesregierung macht Sahra Wagenknecht Politik, sie setzte das Thema „Aufrüstung der Ukraine“ im Wahlkampf schon bei der Europawahl ein und nun auch bei den anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland.
    Wagenknecht ist gegen eine militärische Unterstützung der Ukraine und ebenso gegen eine Stationierung weitreichender US-Waffen in Deutschland. Damit mache sich die Bundesrepublik zur Zielscheibe Russlands, sagte sie in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
    Sabine Adler und Florian Kellermann gehören bei uns zum Team, das unter anderem über den Krieg Russlands gegen die Ukraine berichtet. Marcus Pindur ist Deutschlandfunk-Korrespondent für Sicherheitspolitik. Sie haben sich diese und weitere Aussagen aus dem Gespräch angeschaut und eingeordnet.
    Wagenknechts Thesen:

    Der politische Kurs der Bundesregierung erhöht die Kriegsgefahr

    Sahra Wagenknecht sagt: „Unsere Wähler erwarten, dass wir unser Gewicht auch dafür einsetzen, dass nicht weiter ein Kurs verfolgt wird, der die Kriegsgefahr in Deutschland erhöht.“
    Einordnung unserer Experten*
    Russland unter Wladimir Putin hat heiße Kriege immer nur dann begonnen, wenn der angegriffene Staat deutlich schwächer und leicht zu besiegen schien. Beispiele dafür sind die Kriege gegen Georgien 2008 und die Ukraine ab 2014. Ein Angriff auf Deutschland würde aber den NATO-Bündnisfall auslösen. Deswegen ist ein Angriff unwahrscheinlich. Russland geht allerdings bereits mit hybriden Angriffen gegen Deutschland vor, dazu gehören Cyberangriffe, Auftragsmorde und gezielte Desinformationskampagnen.

    US-Waffen machen Deutschland zur Ziellinie für Russland

    Die USA wollen ab 2026 in Deutschland wieder Waffensysteme stationieren, die weit bis nach Russland reichen. Dazu sagt Sahra Wagenknecht: „Mit solchen Angriffswaffen wird man wiederum zur Ziellinie russischer Angriffsraketen, weil sie genau diese Angriffswaffen im Zweifel, wenn sie einen Angriff befürchten, ausschalten würden. Wir werden damit zur Ziellinie noch mehr von russischen Atomraketen auch, und das ist eine hochgefährliche Entwicklung.“
    Einordnung unserer Experten
    Waffen, die in Deutschland stationiert sind, sind grundsätzlich für den Verteidigungsfall gedacht, da eine deutsche Regierung wohl niemals einen Krieg beginnen würde. Das weiß auch Russland und nimmt Deutschland nicht als Gefahr wahr. Auch einen Angriff vom NATO-Gebiet sieht der Kreml, entgegen Putins Behauptungen, nicht wirklich als Gefahr. So hat Russland seine Verteidigungsfähigkeit an der Grenze zum NATO-Mitgliedsstaat Finnland zuletzt massiv zurückgefahren, um mehr Ressourcen für den Krieg in der Ukraine zu haben.
    Russland hat im Kaliningrader Gebiet und in Belarus Raketen vom Typ Iskander stationiert, mit denen es Berlin und wohl auch weitere deutsche Großstädte ins Visier nehmen kann (Die genaue Reichweite dieser Raketen ist umstritten). Sie können mit Atomsprengköpfen bestückt werden. Frau Wagenknecht unterschlägt allerdings, dass dadurch noch stärker die Länder zwischen Russland und Deutschland gefährdet sind, darunter Polen und die baltischen Staaten - Putin bedroht sie mit seinem Verweis auf die Geschichte und die Erinnerung an die teilweise Zugehörigkeit zum russischen Reich. Die Stationierung von US-amerikanischen Tomahawk-Marschflugkörpern soll ein Gegengewicht zu den russischen Raketen schaffen. Führende Militärexperten sagen, dass es dieses bisher nicht gibt.

    Außer Deutschland stationiert niemand in Europa weitreichende Waffen

    Sahra Wagenknecht sagt: „Kein anderes europäisches Land stationiert solche Raketen.“ (Anmerkung der Redaktion: Gemeint sind weitreichende US-Raketen)
    Einordnung unserer Experten
    Europa hat hier, wie in der Debatte immer wieder bemerkt wird, eine Lücke. Diese soll nur vorübergehend mit der Stationierung von US-Raketen gefüllt werden. Gleichzeitig arbeiten mehrere europäische Länder daran, eigene derartige Mittelstreckenraketen zu entwickeln. Am Rande des Washingtoner NATO-Gipfels haben Deutschland, Frankreich, Italien und Polen eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnet. Großbritannien hat durch seine geografische Lage als Insel die Möglichkeit, allein auf seegestützte Raketen zu setzen. Nicht vergessen sollte man, dass Frankreich und Großbritannien durch den Besitz von Atomwaffen grundsätzlich ein höheres Abschreckungspotenzial haben und so besser gegen einen Angriff geschützt sind.

    Die Ukraine ist ein militärischer Vorposten der USA

    Sahra Wagenknecht sagt: „Die Ukraine war die am meisten hochgerüstete (Ex-Sowjetrepublik) von allen. Die Ukraine wurde ja von den USA zu ihrem militärischen Vorposten gemacht. Das gehört zur Vorgeschichte des Krieges.“ Und: „In den letzten Jahren ist die Ukraine massiv hochgerüstet worden. Es sind auch US-Soldaten dort schon stationiert gewesen, insgesamt 4.000 NATO-Soldaten. Es gab zwölf Militärbasen der CIA. Die USA werden sehr tätig in der Ukraine.“
    Einordnung unserer Experten
    Diese Aussagen stimmen so allesamt nicht. Die Ukraine als „militärischen Vorposten der USA“ zu bezeichnen, ist in Bezug auf die Zeit vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 absurd.
    Russland hat de facto 2014 einen Krieg gegen die Ukraine begonnen, erst durch die Annexion und Besetzung der Halbinsel Krim, und dann im Donezbecken. Dort haben erst russische Kommandotrupps ukrainische Städte besetzt, dann sogenannte Separatisten angeleitet und bewaffnet.
    Bei größeren Schlachten wurde dann auch die reguläre russische Armee eingesetzt. Zu diesem Zeitpunkt hat die Ukraine keine substanzielle militärische Unterstützung aus den USA bekommen. Wäre sie ein militärischer Vorposten der USA gewesen, wäre Russland ganz sicher nicht so vorgegangen.
    In der Ukraine waren nie NATO-Soldaten stationiert. Jene waren ab 2015 lediglich dort, um ukrainische Soldaten auszubilden. Die Ukraine gestattete dafür den Aufenthalt von bis zu 4.000 Soldaten aus NATO-Ländern.
    Die USA haben erst 2018 damit begonnen, der Ukraine (tödliche) Waffen zu liefern – und das in sehr bescheidenem Umfang, gemessen am russischen Angriffspotenzial. Es handelte sich um Panzerabwehrraketen vom Typ „Javelin“. 2018 erwarb die Ukraine solche Raketen im Wert von 47 Millionen US-Dollar.
    Diese Raketen musste die Ukraine, so die Auflage, in der Westukraine lagern – für den Fall eines russischen Großangriffs. Sie durfte sie also nicht im seit 2014 laufenden Krieg im Donezbecken einsetzen. In den Folgejahren konnte die Ukraine weitere Javelin-Raketen in etwas größerem Umfang kaufen, dazu Kampfdrohnen aus der Türkei.
    Erst 2021, mit dem Aufmarsch russischer Soldaten an der Grenze zur Ukraine, stiegen die US-Waffenexporte signifikant. Es wurden Waffen im Wert von etwa 350 Millionen US-Dollar geliefert. Im Vergleich zu den russischen Militärausgaben war das immer noch kaum nennenswert. Und erst 2022 bekam die Ukraine weitere wichtige Waffensysteme, darunter das tragbare Flugabwehrsystem Stinger.

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    Es gab in der Ukraine auch nie CIA-Basen. Was es gab, waren zwölf Spionage-Einrichtungen an der ukrainischen Grenze zu Russland, die das CIA für die Ukraine gebaut hat.

    Die zunehmende Integration der Ukraine in die NATO hat zum Krieg geführt

    Sahra Wagenknecht sagt: „Es war nicht die Wehrlosigkeit (Anmerkung der Redaktion: der Ukraine), sondern es war gerade die zunehmende Integration in die Strukturen der NATO, die zu diesem Krieg geführt haben.“
    Einordnung unserer Experten
    Putin hat bisher nur Staaten angegriffen, die er für weit schwächer und leicht zu besiegen hielt. Das ist ein starkes Indiz dafür, dass die scheinbare Wehrlosigkeit der Ukraine ihn provoziert hat. Allerdings war und ist es sein Ziel, die Ukraine an einer weiteren Ausrichtung nach Westen zu hindern und zu unterwerfen. Dass die Ukraine 2022 sehr weit von einer NATO-Mitgliedschaft entfernt war und auch die Integration in die Strukturen der NATO noch ganz am Anfang stand, spielte dabei für ihn keine Rolle. Es sind aber die Ukrainerinnen und Ukrainer selber, die sich in den Jahren vor der russischen Invasion zunehmend deutlich Richtung Westen orientierten. Richtig ist wohl, dass Putin eine Ukraine, die sich seinem Diktat untergeordnet hätte, nicht angegriffen hätte. Dazu hätten aus Putins Sicht eine leicht beeinflussbare, von Moskau abhängige Regierung in Kiew ebenso gehört wie von Russland infiltrierte Militär- und Geheimdienst-Strukturen.

    Sabine Adler, Marcus Pindur, Florian Kellermann. Sie gehören zum Team des Deutschlandfunks, das unter anderem über den Krieg in der Ukraine berichtet.
    Korrespondentin Warschau
    Korrespondentin Warschau
    Sabine Adler, Journalistin und Buchautorin. Journalistik-Studium Universität Leipzig, danach Sender Magdeburg, radio ffn, Deutsche Welle. Seit 1997 beim Deutschlandradio, u.a. als Russland-Korrespondentin, Leiterin des Hauptstadtstudios. 2011-2012 Leiterin Presse und Kommunikation Deutscher Bundestag. Danach Osteuropakorrespondentin, derzeit Mitglied im Ukraine-Team.
    Porträt: Florian Kellermann
    Porträt: Florian Kellermann
    Florian Kellermann, geboren 1973 in Nürnberg, hat an den Universitäten Erlangen-Nürnberg und Krakau Philosophie und Slawistik studiert. Seit vielen Jahren berichtet er aus den Ländern Mittel- und Osteuropas. Von 2015 bis 2021 war er Osteuropa-Korrespondent von Deutschlandradio mit Sitz in Warschau. Seit Mai 2021 Russland-Korrespondent, aktuell im Ukraine-Team des Deutschlandfunk.
    Marcus Pindur, ehemals Korrespondent in Washington
    Marcus Pindur, ehemals Korrespondent in Washington
    Marcus Pindur hat Geschichte, Politische Wissenschaften, Nordamerikastudien und Judaistik an der Freien Universität Berlin und der Tulane University in New Orleans studiert. Er war Stipendiat der Fulbright-Stiftung, der FU Berlin sowie des German Marshall Fund. 1997 bis 1998 arbeitete er als Politischer Referent im US-Repräsentantenhaus. Pindur war ARD-Hörfunkkorrespondent in Brüssel, bevor er 2005 zum Deutschlandradio wechselte. Von 2012 bis 2016 war er Korrespondent für Deutschlandradio in Washington, D.C. Seit Anfang 2019 ist er Deutschlandfunk-Korrespondent für Sicherheitspolitik.
    * Wir haben die Begriffe Faktencheck und Bewertung durch Analyse und Einordnung ersetzt. Es ging um die Einordnung und Analyse von Aussagen und Narrativen von Sahra Wagenknecht.