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SAID

"Wenn Du aus Deinem Versteck herauskommst, um mich zu lieben - sind wir dann nicht bewaffnet gegen den Tod mit unseren Küssen und mit der Zeit, die auf unseren Händen ruht?" Said, unveröffentliches Gedicht

Karin Beindorff |
    Beindorff: Nicht immer, Said, waren PEN-Präsidenten auch als Schriftsteller besonders angesehen. Bei Ihnen - wie übrigens auch bei Ihrem unmittelbaren Vorgänger Christoph Hein - ist das anders. Sie haben als Lyriker einen Namen; Sie haben zahlreiche Preise bekommen. Ihre Gedichte werden veröffentlicht und häufig besprochen. Lässt sich eigentlich die literarische Arbeit mit einem solchen Amt, das Sie da jetzt haben, überhaupt verbinden, oder ist es mit der Poesie jetzt schlagartig vorbei?

    SAID: Zunächst einmal: Nach der Wahl war es vorbei, weil unmittelbar nach der Wahl eine Reihe von Arbeiten anfielen, die erledigt werden mussten, zum Beispiel Interviews, die anstanden. Dann war auch die Übergabe, die ein bisschen Zeit kostete. Hernach kam der Kongress in Moskau. So langsam sehe ich mehr Luft und Licht, und ich muss ja auch weiterarbeiten - ich habe Termine, Abgabetermine, die ich einhalten muss. Aber generell kann ich von meiner Praxis her sagen, dass meine literarische Arbeit zunächst einmal in den Hintergrund getreten ist und treten muss.

    Beindorff: Sie sind 1947 im Iran in Teheran geboren. Sie sind 1965 nach Deutschland, genau genommen nach München, zum Studium gekommen. Sie haben sich dann hier an den politischen Aktionen gegen das Schah-Regime im Iran beteiligt - auch während der Protestbewegung. Sie konnten deshalb nicht mehr zurück. Dann kam Chomeini. Sie sind 1979 - wie so viele exilierte Oppositionelle - in den Iran zurück, waren aber nach sieben Wochen wieder in München, weil Sie natürlich sehr schnell feststellen mussten, dass es mit der Freiheit unter dem neuen Regime auch nicht besser bestellt war. Sie leben nun in Deutschland seit 35 Jahren - mit dieser einen Unterbrechung. Sie schreiben seit 25 Jahren in deutscher Sprache. Warum eigentlich sind Sie kein Deutscher und leben hier mit einem Flüchtlingspass?

    SAID: Es ist vielleicht eine gute Frage, aber die Frage sollte eigentlich an die bayerische Behörde gestellt werden. Ich habe irgendwann vor drei Jahren den Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft gestellt in der Hoffnung, dass eine Reihe von Erleichterungen bei Reisen eintreten. Und in der Tat hat die bayerische Behörde schriftlich meinem Anwalt mitgeteilt, dass der Mandant zu wenig Geld verdiene, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Wir konnten natürlich hinterher vor das Gericht ziehen und wir hätten auch den Prozess gewonnen, weil diese Äußerung natürlich nicht konform ist mit der Verfassung dieses Landes. Ich muss Ihnen offen gestehen: Ich hatte keine Lust mehr. Daraufhin haben wir den Antrag zurückgezogen und ich lebe nach wie vor mit diesem Flüchtlingspass.

    Beindorff: Die Wahl eines politischen Flüchtlings - eines Nichtdeutschen - an die Spitze des deutschen PEN in diesem Jahr ist ja überall sehr gelobt worden, wenn man so die Zeitungen liest. Wenn man das genauer studiert, dann versteht man ganz schnell, warum der PEN Sie gewählt hat. Aber warum wollten Sie PEN-Präsident werden?

    SAID: Zunächst einmal denke ich, dass unser Club ein Zeichen setzten wollte - das haben Sie ja erwähnt. Zum zweiten: Ich habe ja seit Jahren in diesem PEN gearbeitet. Zwei Jahre lang war ich Vizepräsident. Auch danach, nachdem ich in Wut die Arbeit abgegeben habe, habe ich immer beratend gewirkt - auch ohne Amt. Und Christoph Hein, mein Vorgänger, der mich vorgeschlagen hat, sagte auch, dass der Kandidat die Arbeit von innen kenne. Ich habe diesen Vorschlag als große Ehrung für mich verstanden, und ich dachte: Wenn unser Club ein Zeichen setzen will, dann muss ich da mitmachen.

    Beindorff: Haben Sie das eher als eine Ehrung für Ihre Literatur verstanden oder für Ihr jahrelanges Eintreten im Komitee 'Writers in Prison', für das Sie ja auch eine ganze Zeit lang Sprecher waren?

    SAID: Ich bin so unbescheiden und will das auch als eine Art Ehrung für meine Literatur verstehen.

    Beindorff: Sie selbst waren - Sie haben es eben schon erwähnt - als dieser Sprecher von 'Writers in Prison' eine Zeit lang ziemlich genervt; Sie haben damals auf der Hauptversammlung in Heidelberg das Handtuch geworfen, und zwar wegen der jahrelangen Querelen um die Vereinigung von Ost- und West-PEN - wenn man das so kurz zusammenfassen kann -, nämlich wegen der deutsch-deutschen Selbstbespiegeleung, die da ja eine große Rolle gespielt und die wohl nicht nur aus Ihrer Sicht den Blick über den Tellerrand offenbar ziemlich verstellt hat. Ist das jetzt ausgestanden?

    SAID: Gestatten Sie zunächst, auf Heidelberg zurückzukommen. Ich habe damals gesagt - wörtlich -: Ich habe sehr viel Verständnis für die deutsche Frage, die sehr viel Raum für Emotionen braucht. Dieser Raum wurde eh schon erschöpft, sieben Jahre lang war es genügend. Ich denke, durch die Wahl von Conrady und dann durch die Wahl von Hein - als der Erste aus dem Osten - ist das Kapitel zunächst einmal in den Köpfen abgeschlossen. Ich glaube aber nicht, dass die deutsche Wunde - wenn ich das so verkürzt darstellen darf - geheilt ist. Ich habe es wiederholt gesagt und sage es auch heute: Auch das betrachte ich als meine Aufgabe, auf diese Wunde acht zu geben, dass sie nicht noch einmal aufplatzt.

    Beindorff: Die Arbeit von 'Writers in Prison' hat Ihnen immer sehr am Herzen gelegen. Sie haben seit Jahren sich eingesetzt für verfolgte Kollegen, für Kollegen, die im Gefängnis sitzen, die gefoltert werden. Man spricht ja überhaupt in diesen Zeiten gern über Menschenrechte - bis hinein in die Bundesregierung, wo ja die Verletzung von Menschenrechten neuerdings sogar als Grund für militärische Einsätze genommen wird. Warum muss eigentlich ein solcher Club, wie der PEN, sich eigens noch für Schriftsteller im Gefängnis einsetzen? Ist das wirklich noch nötig?

    SAID: Also, aus meiner Sicht ist es nötig, weil das die anderen nicht tun. Wir haben die Arbeit - ich sage jetzt 'wir' und meine damit das deutsche PEN - seit Jahren begonnen, zu einer Zeit, als es nicht so akut war, wie Sie es angedeutet haben. Es gab und gibt Kollegen, die heute im Gefängnis sitzen, die keine spektakulären Fälle darstellen. Und für die müssen wir uns einsetzen - um so vehementer. Natürlich ist es so, wenn ein Wole Soyinka, ein Nobelpreisträger, in seinem Land in Nigeria verfolgt wird - da genügt ein Anruf und es kommt ein Pass von der UNO. Da kann ich nicht sehr viel tun und da muss ich auch nicht sehr viel tun. Aber - ich sage mal - einen unbedeutenden kleinen Autor in Syrien, der braucht unsere Hilfe mehr, und der bekommt von uns mehr Hilfe effektiv, als von Amnesty International, die ja Tausende von Gefangenen zu betreuen hat.

    Beindorff: Wie interpretieren Sie Ihr Amt als PEN-Präsident? Wie sieht es aus mit der Einmischung in Politik in dieser Funktion? Es hat ja gerade die Auseinandersetzung im PEN gegeben um den Kosovo-Konflikt. Da hat man sich nicht auf eine gemeinsame Stellungnahme einigen können. Sehen Sie Ihr Amt als ein politisches Amt, als eines, das öffentlich politisch Einfluss ausüben will?

    SAID: Nicht unbedingt, nein. Ich habe von vornherein gesagt: Ich bin nicht der Mann, der jetzt zu jedem politischen Ereignis eine Meinung äußert. Ich versuche, mich auf meine Arbeit zu beschränken. Wenn es mal Fragen gibt - in diesem Teil hat es einige Fragen gegeben wegen des Rechtsradikalismus und Extremismus . . .

    Beindorff: . . . da kommen wir noch drauf . . .

    SAID: . . . gerne, oder Rechtsschreibereform, Sachen also, die uns betreffen, dann mische ich mich ein, wenn es erwünscht ist. Aber ich verstehe mich nicht als Politiker. Unser PEN-Club ist kein politischer Debattenclub. Und so soll es auch bleiben.

    Beindorff: Wenn Literatur verfolgt wird, Said, muss das ja nicht immer für Hersteller mit Gefängnis enden. Es gibt andere Formen von Verfolgung uns Zensur, vor allem auch im Westen. Das sind Formen ökonomischer Art., eine Art 'Zensur des Marktes' - so ist es mal genannt worden. Ist das für den PEN ein Thema und was ist da zu tun? Kann da überhaupt etwas getan werden?

    SAID: Es ist für uns ein Thema, und das Thema wurde auch auf der letzten Jahrestagung expressis verbis angesprochen. Die Jahrestagung hat dieses Präsidium de facto damit beauftragt, etwas da zu tun. Viel können wir natürlich nicht erreichen. Zwei Probleme lagen vor: Einmal die Divergenz zwischen Literatur und Wirtschaft, was Sie ansprechen, und ein anderes mal die Divergenz zwischen Literatur und Technik, sprich 'Internet'. Die Ereignisse der letzten Wochen - siehe Bertelsmann, siehe Knauer, siehe Rowohlt - haben bewiesen, dass diese Gefahr durchaus besteht, dass große Verlage Pleite gehen oder de facto Pleite gehen, dass die Autoren wieder gezwungen sind, auf die Suche zu gehen. Ich verstehe unsere Aufgabe darin, dass wir unsere Augen diesem Problemfeld nicht verschließen, sondern darüber diskutieren und versuchen, publizistisch hier vorzugehen. Eine Macht hatten wir sowieso nie gehabt.

    Beindorff: Wenn man sich die Ankündigungen der Verlage in ihren Prospekten ansieht, dann fällt einem ja auf, dass immer mehr - vorsichtig ausgedrückt - 'seichte Ware' auf den Markt geworfen wird. Die Debatte um das Ende der Mischkalkulation in den Verlagen haben Sie eben angesprochen. Literarisch bedeutende Werke - hieß es - mit kleinen Auflagen sollen nicht mehr durch leicht Verkäufliches mitfinanziert werden, was früher üblich war. Was bedeutet das für Sie persönlich? Sie sind ja Lyriker. Satteln Sie jetzt um, oder sehen Sie eine Chance für Lyrik und andere nicht mehrheitsfähige literarische Erzeugnisse?

    SAID: Also, ich sattele bestimmt nicht um. Ich bleibe bei meinen Themen und bei meinen Formen. Ich habe übrigens einen Verlag, der erhaben ist über diese Problematik und mich als Hausautor versteht. Ich glaube auch nicht, dass es ratsam ist, wenn Autoren jetzt umsteigen auf die Schnelle. Das wird nichts bringen. Ich glaube nicht, dass ein Lyriker jetzt auf die Schnelle einen seichten Roman schreiben kann. Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass man dabei bleiben muss, und ich glaube übrigens, dass die Lyrik nicht so wenig Chancen hat, wie man gerne glaubt. Buchhändler können ja Zahlen vorlegen. In den Zeiten der Einsamkeit - und wir sind in der Zeit der Einsamkeit - nimmt Lyrik an Interesse zu. Das war immer so. In den ruhigen, guten Zeiten hat Lyrik keine Kundschaft gehabt; in den unruhigen Zeiten immer mehr. Ich glaube, dass die Lyrik sehr unterschätzt wird.

    Beindorff: Was meinen Sie damit, dass wir in Zeiten der Einsamkeit leben?

    SAID: Ich denke, dass dieses Land und dieses Europa sich in einem Umbruch befindet. Je mehr dieser Umbruch voranschreitet, desto einsamer werden die Menschen und desto mehr brauchen sie die Lyrik. Die Lyrik tröstet einen.

    Beindorff: Nun gibt es ja eine Menge literarischer Sendungen oder Seiten in den Zeitungen und derartiges. Ist denn - aus Ihrer Sicht - 'gute Literatur' - in Anführungsstrichen - in den Medien angemessen vertreten?

    SAID: Nein, das habe ich auch immer wieder gesagt. Es gibt wenige Tageszeitungen, die überhaupt ein Gedicht veröffentlichen. Und die anderen habe ich immer wieder angesprochen auf die Frage. Mein Standpunkt ist, dass die Gedichte in die Tageszeitungen gehören. Und dafür trete ich immer wieder ein. Erlauben Sie mir einen Satz von Josef Protzki, einem russischen Nobelpreisträger, der sagte: 'Gedichte müssen so billig sein, dass sie an jeder Tankstelle für einen Dollar verkauft werden'. Ich denke, wenn man diese Haltung mitnimmt, dann hat man einen großen Dienst erwiesen an der Lyrik und an Literatur überhaupt.

    Beindorff: Glauben Sie, dass solche relativ massenwirksamen Sendungen, wie 'Das literarische Quartett', der Literatur da ein bisschen 'aufs Fahrrad helfen' können? Was sind die Medien, die Sie für die wichtigsten halten - im Zusammenhang mit der Literatur. Sind es immer noch die klassischen Feuilletons oder sind es tatsächlich die elektronischen Medien, möglicherweise neuerdings sogar das Internet?

    SAID: Die klassischen Feuilletons - das sind Zeitungen. Das sowieso. Ich denke, der Rundfunk hat eine sehr große Wirkung. Ich glaube nicht, dass das literarische Quartett so wichtig ist, wie die Darsteller es selbst so wahrnehmen wollen. Ich glaube überhaupt, dass das Fernsehen ein wenig an Macht verliert und dass der Rundfunk mehr an Macht gewinnt. Und ich glaube, dass man diese Tendenz wirklich in Rechnung stellen muss. Was das Internet anbetrifft: Ich habe da meine Probleme. Die rechtliche Frage ist nicht geklärt, und ich persönlich habe eine gewisse Scheu, meine eigenen Dinge in das Internet reinzugeben. Ich glaube, diese Scheu wird länger dauern - auf lange Sicht haben wir keine andere Wahl. Auch damit muss man sich befassen.

    Beindorff: Noch einmal zurück zum PEN, Said. Dem wird ja immer wieder vorgeworfen, er sei der 'Club der halbtoten Dichter' - solche Sprüche werden da gemacht -, ein 'Verein alternder Herren', weit entfernt vom Glanz alter Tage. Ist der PEN-Club ein Auslaufmodell? Hat er noch tatsächlich Einfluss?

    SAID: Einfluss - worauf? Ich denke, wir haben einen gewissen Einfluss. Erlauben Sie mir, ein Beispiel zu nennen: Wenn wir es schaffen, einen jungen Mann aus einem afrikanischen Land, der hier um Asyl gesucht hat und monatelang hin- und hergeschoben worden ist, durch einen unserer namhaften Kollegen so weit zu helfen, dass seine Sache schneller geregelt wird, dass er einen Arzt bekommt, dass er ein paar Bücher bekommt - dann denke ich, wir können von Einfluss sprechen. In diesem Jahrhundert - in dem neuen Jahrhundert - ist es mir klar, dass ein Club wie PEN keinen so großen Einfluss hat, wie übrigens alle anderen Clubs auch. Wir haben kein Geld; wir leben von Spenden. Also, wenn man eine realistische Einschätzung von dem Einfluss hat, dann muss ich sagen: Wir haben einen Einfluss. Ein 'Club alternder Herren' - schauen Sie, es hat was zu tun mit dem elitären Charakter des PEN-Club. Es war immer so, dass die Leute berufen werden und nicht sich bewerben können. Es kommt halt selten vor, dass ein 23jähriger Autor so ein Werk geschrieben hat, dass die Auswahlkommission sich dafür ausspricht. Das ist halt so. Übrigens: Die Literatur ist nicht unbedingt die Domäne der Jugend. Das war es nie.

    Beindorff: Der PEN hat ja im Zusammenhang mit der letzten Bundestagswahl gefordert, es müsse im Bund endlich einen Kulturbeauftragten geben. In Gestalt von Michael Naumann hat es den ja in der Zwischenzeit nun auch gegeben. Hat sich denn das - aus Ihrer Sicht, aus der Sicht der Literatur - bewährt? Was tut er für die Literatur, was tut er für die Schriftsteller?

    SAID: Zunächst einmal, erlauben Sie mir zu erwähnen, was er für uns, für den PEN-Club tut. Er hat - und das geht zurück auf die jahrelange Arbeit des deutschen PENs für die verfolgten Autoren - ein Programm 'Writers in Exile' zur Verfügung gestellt. Dank dieses Programms können wir sechs Autoren aus den Ländern, in denen sie verfolgt sind, hier in Deutschland aufnehmen - durch ein Stipendium für die Dauer von einem Jahr. Das allein ist schon sehr viel getan für Literatur. Ich persönlich war immer für diese dezentrale Form der Bundesrepublik, aber ich denke, Herr Naumann kann viel Lage und Literatur tun. Er muss mehr Zeit haben, er muss auch mehr Mittel zur Verfügung gestellt bekommen.

    Beindorff: Sie haben das Programm eben schon erwähnt, das es sechs exilierten Schriftstellern möglich macht, mit ihren Familien ein Jahr in Deutschland zu leben. Das ist nicht sehr bekannt; das alles passiert ziemlich im Verborgenen. Woran liegt das eigentlich? Liegt das an der Angst vor Nachstellungen aus der Heimat dieser Schriftsteller, oder ist das vielleicht schon sogar die Angst vor Fremdenhass in Deutschland? Muss man das in der Zwischenzeit heimlich tun?

    SAID: Nein, aus unserer Sicht nicht. Es gibt Fälle, wo wir nicht einmal den Namen des Stipendiaten bekanntgeben - eben aus Angst, dass er aus seinem Land hier her verfolgt wird. Es gibt Fälle, wo wir die Polizei einschalten müssen; es gibt Fälle, wo die Wohnung nicht durch uns, sondern durch die Polizei durchsucht wird und auch mit allen Sicherheitsmaßnahmen ausgestattet ist. Aber das ist nicht die Allgemeinheit. Im Allgemeinen geben wir die Namen schon bekannt. Wir wollen das nur nicht an die große Glocke hängen, weil die meisten Autoren nach einem Jahr in ihre Länder zurück wollen - und eine große Pressekonferenz hier könnte dafür schädlich sein. In solchen Fällen muss man mit Fingerspitzengefühl vorgehen. Aber ich sage Ihnen ganz offen: Den Faktor Fremdenfeindlichkeit dürfen wir von uns aus gar nicht wahrnehmen. Wir sind eine internationale Vereinigung und wir bleiben eine.

    Beindorff: Gerade erst war ja der iranische Regierungschef Chatami in Deutschland. Es gab Streit über die Frage, Said, ob man ihn hier überhaupt empfangen soll angesichts der Nachrichten aus dem Iran über Todesurteile, über Folter, über Verhaftungen und andere Verfolgungen. Hilft die Annäherung durch wirtschaftliche Zusammenarbeit der demokratischen Opposition im Iran, oder ist das eher - wie man heute so schön sagt - kontraproduktiv?

    SAID: Als der Besuch angesagt war, haben wir einen Brief an den Bundeskanzler geschrieben und ihn gebeten, seinem Gast eine Liste von Autoren und Journalisten zu übergeben, die verhaftet worden sind - so konkret, wie wir die Informationen hatten. Und wir haben um Hilfe gebeten, damit diese Leute einen ordentlichen Prozess bekommen. Zum Allgemeinen: Es ist eine alte Theorie, dass die Wirtschaft der Demokratie hilft. Ich persönlich glaube nicht daran. Ich glaube nicht, dass Wirtschaftshilfe unbedingt zur Demokratie führt. Übrigens war der Besuch eine Prestigefrage und hat eigentlich nur dem Chatami gedient, damit sein Prestige aufgewertet wird im Iran selbst. Soweit ich durchblicken kann, ist das geschehen. Ich begrüße jede Annäherung, ich will mich aber nicht der Illusion hingeben, dass ein Besuch des iranischen Präsidenten in Berlin und Bonn und Weimar gleich im Iran Demokratie bringt. Ich glaube sehr, dass Herr Chatami eine sehr schwierige Zeit vor sich hat.

    Beindorff: Ja, so sieht es im Moment aus, dass die Gegenkräfte sehr stark zugeschlagen haben. Es gab diverse Verhaftungen von Journalisten und Intellektuellen in jüngster Zeit im Iran. Wie kann denn diesen Menschen von hier aus geholfen werden?

    SAID: Da gibt es nur die Möglichkeit, die Fälle zu veröffentlichen und zu versuchen, durch unsere Kontakte zum Auswärtigen Amt, zu Herrn Naumann und zum Bundeskanzler, zu vermitteln und sich dafür einzusetzen, dass sie vor ein normales Gericht kommen. Aber die Unberechenbarkeit auf iranischer Seite ist sehr groß, denn Sie wissen, dass das Justizwesen überhaupt nicht dem Präsidenten der Republik untersteht, so wie das Militär, so wie die Polizei und so wie das Innenministerium.

    Beindorff: Wir haben ja auch am Fall Salman Rushdie gesehen, dass es außerordentlich schwierig ist, so jemandem zu helfen, selbst wenn sich international - er ist ja einer der bekanntesten Verfolgten, die es international gibt - viele für ihn einsetzen. Sie selbst haben irgendwo einmal gesagt, dass es eine Hoffnung von Ihnen wäre, sich mit Salman Rushdie eines Tages in Teheran zum Tee treffen zu können. Haben Sie Hoffnung, dass sich Rushdie irgendwann wieder selbst frei bewegen kann?

    SAID: Ich weiß es nicht, ich würde eher sagen 'nein'. Ich glaube, Salman Rushdie macht es sehr gut, indem er peu á peu - Schritt bei Schritt - sich mehr Freiheit verschafft, mehr Bewegungsraum verschafft und damit aus der Paranoia herauskommt, die natürlich ein Mann wie Salman Rushdie bekommt. Aber ich glaube nicht, dass er unbewacht herumlaufen kann. Es geht ja nicht um eine staatliche Angelegenheit. Es geht ja auch um Extremisten und um Fanatiker, die sich einzeln berufen fühlen könnten, um meinetwegen diese 6 Millionen Mark zu bekommen oder gar ins Paradies zu kommen. Ich glaube, Salman Rushdie ist gut beraten - das weiß er aber -, dass er auf lange Sicht auf der Hut sein muss. Und da hilft auch die Wirtschaftshilfe für Indien oder Pakistan oder für den Iran nicht.

    Beindorff: In Deutschland - Sie haben es angesprochen - wird in letzter Zeit wieder mehr über rassistische Übergriffe auf Ausländer oder Menschen dunkler Haut- oder Haarfarbe berichtet. Das scheint sich gehäuft zu haben. Haben Sie eine Erklärung dafür und fühlen Sie sich persönlich bedroht?

    SAID: Also, zunächst einmal ist es keine Ausländerfeindlichkeit, es ist nur eine Fremdenfeindlichkeit. Wenn Gehbehinderte angegriffen werden, dann hat es nämlich mit Nationen nichts zu tun. Es ist einfach eine Fremdenfeindlichkeit - was nicht absolut in das Bild passt. Eine Erklärung dafür? Ich bitte Sie - Wenn der Innenminister, Herr Schily, Spezialhelme entwickeln lässt, um - Zitat - 'aggressive abzuschiebende Asylanten zu transportieren', wogegen die Lufthansa protestiert, dann kann ich nur die Tat oder die Idee von Herrn Schily als Aufmunterung verstehen. Die Politiker haben auf diesem Gebiet lange geschlafen, und jetzt höre und sehe ich, dass sie große Aktionen starten wollen. Ich denke, die Politiker haben eine gewisse Verantwortung, die sie in den letzten Monaten nicht wahrgenommen hatten. Die frage ist allerdings nicht durch die Politiker zu regeln, sondern sie muss ein Politikum für die gesamte Gesellschaft werden. Ob das alles gelingt, weiß ich nicht. Ich persönlich fühle mich nicht bedroht und möchte mich auch nicht bedroht fühlen.

    Beindorff: Hier hat ja eine Diskussion über die sogenannte 'Zuwanderung' begonnen. Nicht selten wird die Einwanderung jetzt gegen das politische Asyl ausgespielt. Der Innenminister Bayerns, des Bundeslandes, in dem Sie ja leben, unterscheidet zwischen Ausländern, die uns - wen immer er damit meint - ausnützen, und Ausländern, die uns nützen. Ob er nun Lyriker für nützliche Ausländer hält, das ist nicht überliefert bei diesem Zitat. Welche Folgen hat diese Debatte für Flüchtlinge - für Sie selbst, aber auch für die Arbeit für Verfolgte im PEN?

    SAID: Vielleicht mal: Herr Beckstein meinte wahrscheinlich die Wirtschaft. Mich wundert das nicht. Ich lebe in einem Bundesland, in dem der Ministerpräsident, Herr Stoiber, uns alle vor einer 'durchrassten' Gesellschaft gewarnt hat. Wenn der Ministerpräsident solche Sätze von sich gibt, dann muss man sich nicht wundern, wenn ein 19jähriger Arbeitsloser auch diese Sätze in Taten umsetzt. Die Geschichte mit Zuwanderung: De facto ist die Bundesrepublik ein Einwanderungsland - de facto, ob es Beckstein wahrnehmen oder nicht wahrnehmen will. Ich finde es vernünftig, wenn man diese Einwanderung, die stattfindet, per Gesetz regelt, wie auch immer. Das finde ich vernünftig. Die Polemik und die Art, wie die Politiker auf Wahlfang gehen, liegt mir sehr weit fern.

    Beindorff: Sie selbst, Said, sind ja ein politischer Autor - etwa in Ihrem Buch 'Der lange Arm der Mullahs', und Sie schreiben Liebeslyrik. Trennen Sie in Ihrer Arbeit Politik und Literatur, und geht das überhaupt?

    SAID: Nein, ich kann es nicht. Ich trenne die Liebeslyrik zum Beispiel überhaupt nicht von meinen politischen Schriften. Ausgangspunkt der beiden ist eben die Liebe zum Menschen. Und ich bin ja auch - im strengsten Sinne des Wortes - kein politischer Autor, der jetzt zu jedem politischen Ereignis ein Buch oder einen Aufsatz schreibt. Ich kann nur das schreiben, was mich unmittelbar berührt, was mich umwirft, was mich unruhig macht, was mir schlaflose Nächte bereitet. Und dann ist es meine Arbeit, damit umzugehen - meine Art, damit umzugehen -, dass ich das umsetze in ein Buch oder in einen Aufsatz. Aber ich sehe überhaupt keinerlei Trennung. Übrigens: Ich habe mich Zeit meines Lebens für die Freiheit des Wortes eingesetzt. Also gestatte ich mir auch für mich, mich dafür einzusetzen und zu sagen: Auch die Liebeslyrik ist ein Teil dieser Freiheit.

    Beindorff: Sie haben zu Beginn unseres Gespräches gesagt, Sie müssen Ihren Verpflichtungen nachkommen - Manuskripte abliefern. Von Ihrem Verlag weiß man, dass Sie im Frühjahr dort ein neues Buch herausbringen werden. Bisher weiß ich nur, dass der Titel 'Kobra' lauten soll. Können Sie schon ein bisschen verraten, was das sein wird?

    SAID: Das ist ein Arbeitstitel, das Buch wird nicht so heißen. Es ist die wirkliche Geschichte meine Mutter bzw. die Geschichte unserer Begegnung. Kurzfassung: Ich habe meine Mutter de facto zum ersten Mal gesehen, als ich 41 Jahre alt war. Und auch das ist brisant - sie hat mich gefunden, und dann hat sie ein Visum beantragt und sie hat für die Bundesrepublik kein Visum bekommen. Da ich ja nicht zurückfahren kann, haben wir uns an einem neutralen Ort geeinigt, nämlich Kanada - dort, wo ein Halbbruder von mir lebt. Und die Geschichte dieser Begegnung - ich sage es immer so - ist ein Rapport, ein Rapportierungsbericht, und der wird nächstes Jahr bei Beck erscheinen.

    Beindorff: Ich danke Ihnen für das Gespräch