Olympia in Paris
Aktivist: "Ärmere Menschen werden aus dem Zentrum gedrückt"

Gigantische Bauprojekte provozieren soziale Verwerfungen im Vorfeld der Spiele in Paris. Zu Besuch in Saint-Denis, einer Kleinstadt nördlich von Paris, die heute Teil der Banlieue ist.

Von Jennifer Stange | 21.04.2024
Ein Metallzaun hinter dem mehrstöckige neue Häuser zu sehen sind.
Olympisches Dorf in Saint Denis: Neubau hinterm Metallzaun ersetzt günstige Wohnungen (Stange/dlf)
Am Samstagmorgen ist nicht viel los in der Metro raus aus der Stadt, in den Norden nach Saint-Denis. Der kleine Platz an der Station Carrefour Pleyel mit einer Bäckerei, einem Bistro und einem Restaurant sieht aus, als wäre er vergessen worden. Er passt nicht zu den neuen spiegelnden Glasfassaden, den frisch angelegten Wegen und Straßen, die unter anderem zum Olympischen Dorf führen.
Die Straßen sind teilweise durch Bauzäune abgesperrt. Eine fünf Meter hohe Metallwand schützt das Olympische Dorf, eine Ansammlung mehrstöckiger Häuser, die genauso gut Bürogebäude sein könnten. Die Unterkünfte der Athletinnen und Athleten im Sommer. Außer Bauarbeitern und Sicherheitspersonal ist hier bis jetzt kaum jemand unterwegs.
"Wir stehen vor dem Olympischen Dorf in Saint-Denis. Früher waren es Sozialwohnungen oder zumindest nicht allzu teure, und jetzt ist es das Olympische Dorf", sagt Noah. Er ist Mitglied von Bündnis Saccage 2024. Übersetzt heißt das: Zerstörung. Eben das, was nach Meinung des Mitte Zwanzigjährigen, die Spiele überall dort anrichten, wo sie stattfinden.

Aktivist: "Gutes Beispiel für Gentrifizierung"

Aus Sicht des IOC und der Stadt Paris ist das Olympische Dort ein Vorzeigeprojekt, das höchsten Nachhaltigkeitsstandards nachkomme. Nach den Spielen soll hieraus ein modernes Stadtviertel werden mit 2500 neuen Wohnungen, einem Studentenwohnheim, Büroräumen, Geschäften und auch Platz für Grünflächen. Für Aktivist Noah nicht wirklich überzeugend:
"Das ist ein gutes Beispiel für Gentrifizierung, denn hier wurden alte Wohnungen abgerissen, um neue, moderne Gebäude zu errichten, aber alle Preise rundherum steigen ins Unermessliche. Ärmere Menschen werden immer weiter aus den Zentrum von Paris gedrückt."

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Noah kennt viele solcher Beispiele. Kleingärten wurden enteignet, damit Sportstätten gebaut werden konnten. Parkanlagen mussten weichen. Eine Schule durfte bleiben, steht jetzt inmitten einer Autobahnkreuzung. Wenige Tag zuvor wurde ein besetztes Haus geräumt. Paris bereitet sich auf die Olympischen Spiele vor.
"Und die Obdachlosen werden in Busse verfrachtet und in Regionen geschickt, wo sie keine Möglichkeit haben, zu leben", sagt Noah.

Wurden Obdachlose in Bussen nach Orleans gefahren?

Im März beschuldigte der Bürgermeister von Orleans die Stadt Paris, im Vorfeld der Olympischen Spiele mehrfach Busse mit Obdachlosen in seine Stadt gebracht zu haben. Eine Reaktion aus dem Pariser Rathaus lässt noch auf sich warten.
Kolja Lindner stellt sich vor: "Ich heiße Kolja Lindner und arbeite als Politikwissenschaftler an der Universität Paris."
Seine Universität liegt in St Denis, Kolja Lindner sitzt in einem Café in einem Außenbezirk östlich vom Zentrum der französischen Hauptstadt gelegen. Die Auseinandersetzungen um die Olympischen Spiele hat er von Beginn an kritisch verfolgt:
"Es ist tatsächlich so, dass einige dieser Bauten errichtet wurden in einem Gesamtplan, der die Beteiligungsverfahren zum Teil ausgehebelt hat. Das heißt, diese Leute hatten auf den normalen Wegen zum Teil gar nicht die Möglichkeit, sich einzubringen."

Schwimmhalle als Problembeispiel

Weil sich bestimmte Projekte ohne Sondergenehmigungen und im Rahmen demokratischer Verfahren gar nicht hätten durchsetzen lassen, so Lindner:
"Vor dem Hintergrund ist ein Beispiel besonders interessant: die große Schwimmhalle nach Olympia-Norm, die gebaut wurde - und letztendlich hat diese Schwimmstätte 174 Millionen Euro gekostet. In dieser Region, die sich durch die Schwäche, die Prekarität öffentlicher Infrastruktur auszeichnet. Und man stellt sich natürlich die Frage, ob das wirklich eine sinnvolle Ergänzung einer insgesamt sehr defizitären Infrastruktur darstellt."
Diese Fragen dürften bis zum Beginn der Spiele noch lauter gestellt werden. Nicht umsonst zeigen aktuelle Umfragen schon jetzt, dass viele Franzosen sich nicht wirklich freuen auf die Spiele im Sommer.