Dennoch sind dieser Bühnenraum und die (in Alltagskleidung agierenden) Protagonisten von großer Eindringlichkeit; kein Vergleich etwa zu dem ästhetischen Firlefanz, wie ihn Daniel Liebeskind letztes Jahr in Berlin angezettelt hat.
Wie schon bei der Uraufführung sang José van Dam die Titelrolle; seiner überwältigenden Bariton-Stimme sind keinerlei Altersschwächen anzumerken, tragfähig und ausdrucksstark bewältigt er die anstrengende Partie mühelos und hätte sie sicher auch schauspielerisch mit allem gebotenen Ernst erfüllt, wenn ihn Stanislas Nordey nur gelassen hätte.
Als weiß gekleideter, verspielter Engel im kurzen Blondhaar glänzte Christine Schäfer - von der Personenregie her die einzige halbwegs "bewegte” Rolle des Abends. Ihr glasklarer Sopran bestach gerade in der extremen Höhe der Partie. Grossartig auch Brett Polegato als Frère Léon, Christoph Homberger als Frère Elie und vor allem Charles Workman als Frère Massée - während der Tenor von Chris Merritt (als Aussätziger) doch seine besseren oder gar guten Tage schon lange hinter sich hat. Insgesamt gut disponiert war der Chor, obgleich ich dessen mächtige Interventionen im 7.Bild ("Les stigmates”) schon eindrucksvoller und farbiger gehört habe. Und schließlich Sylvain Cambreling, der neue Chef, der Gérard Mortier seit alten Brüsseler Tagen begleitet, und der jetzt also die musikalische Leitung der Pariser Opéra übernommen hat: Ein Ausnahme-Dirigent, was die Präzision und Transparenz der Partitur betrifft. Cambreling hat ja den "Saint François” schon bei der Ruhr-Triennale dirigiert und ist also bestens mit dem Werk vertraut - zu gut vielleicht, um ab und zu die Zügel schießen zu lassen... So fehlte dem Orchester, bei aller Spielkultur und aller analytischen Klarheit, bisweilen jenes inbrünstige Feuer, das Messiaens Musiksprache auszeichnet.
Dass Mortier ausgerechnet dieses sperrige Opus - und dazu noch in einer so kompromisslosen Regie - als erste Neuinszenierung seiner Ära ausgewählt hat, spricht für seine eigenwillige Repertoire-Politik: Die Zeiten der eher gefälligen, publikums-freundlichen Musiktheater-Produktionen, wie sie sein Vorgänger Hugues Gall in Paris gepflegt hat, sind wohl vorüber. Man darf gespannt sein, ob das Publikum sich damit anfreunden wird.