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"Saint François d’Assise"

Der heilige Franziskus ist heimgekehrt. 21 Jahre nach der Uraufführung am Palais Garnier erlebte "Saint François d’Assise" - die monumentale einzige Oper von Olivier Messiaen - gestern Abend seine Premiere an der Pariser Opéra Bastille: die erste Neuinszenierung der neuen Spielzeit, mit deren Beginn nun Gérard Mortier die Geschicke der Pariser Oper übernommen hat. Damals, 1983, hätte kaum jemand darauf gesetzt, dass diese grandiose, aber nahezu handlungslose Oper jemals wieder aufgeführt werden würde; inzwischen aber hat sich der "Saint François” fast zu einem Klassiker des modernen Musiktheaters entwickelt. Nach Inszenierungen in Salzburg, Leipzig, Berlin und zuletzt bei der Ruhr-Triennale - in der Bochumer Jahrhunderthalle - hat nun also Paris "seinen” heiligen Franziskus wieder.

Von Michael Stegemann |
    Eine Oper im landläufigen Sinne sind diese "franziskanischen Szenen” (wie Olivier Messiaen selbst das Werk genannt hat) sicher nicht; und selbst das Wenige an Bühnenhandlung, das das Werk bietet - zum Beispiel den Freudentanz des geheilten Aussätzigen -, hat der Regisseur Stanislas Nordey dem "Saint François” genommen: Eine absolut statische Inszenierung, die sich auf sparsame Zeichen, Gesten und Symbole beschränkt, dem Publikum für den sechs Stunden langen Abend (mit zwei großen Pausen) sehr viel Geduld abverlangt und am Ende - neben verdientem Beifall - mit einigen kräftigen "Buhs” bedacht wurde. Auch die Bühnenbilder von Emmanuel Clolus sind Bühnenbilder im strengsten Sinne: Farb-Flächen und Spiel-Ebenen in weiß, grün und rot, auf denen die Sänger angeordnet sind.

    Dennoch sind dieser Bühnenraum und die (in Alltagskleidung agierenden) Protagonisten von großer Eindringlichkeit; kein Vergleich etwa zu dem ästhetischen Firlefanz, wie ihn Daniel Liebeskind letztes Jahr in Berlin angezettelt hat.

    Wie schon bei der Uraufführung sang José van Dam die Titelrolle; seiner überwältigenden Bariton-Stimme sind keinerlei Altersschwächen anzumerken, tragfähig und ausdrucksstark bewältigt er die anstrengende Partie mühelos und hätte sie sicher auch schauspielerisch mit allem gebotenen Ernst erfüllt, wenn ihn Stanislas Nordey nur gelassen hätte.

    Als weiß gekleideter, verspielter Engel im kurzen Blondhaar glänzte Christine Schäfer - von der Personenregie her die einzige halbwegs "bewegte” Rolle des Abends. Ihr glasklarer Sopran bestach gerade in der extremen Höhe der Partie. Grossartig auch Brett Polegato als Frère Léon, Christoph Homberger als Frère Elie und vor allem Charles Workman als Frère Massée - während der Tenor von Chris Merritt (als Aussätziger) doch seine besseren oder gar guten Tage schon lange hinter sich hat. Insgesamt gut disponiert war der Chor, obgleich ich dessen mächtige Interventionen im 7.Bild ("Les stigmates”) schon eindrucksvoller und farbiger gehört habe. Und schließlich Sylvain Cambreling, der neue Chef, der Gérard Mortier seit alten Brüsseler Tagen begleitet, und der jetzt also die musikalische Leitung der Pariser Opéra übernommen hat: Ein Ausnahme-Dirigent, was die Präzision und Transparenz der Partitur betrifft. Cambreling hat ja den "Saint François” schon bei der Ruhr-Triennale dirigiert und ist also bestens mit dem Werk vertraut - zu gut vielleicht, um ab und zu die Zügel schießen zu lassen... So fehlte dem Orchester, bei aller Spielkultur und aller analytischen Klarheit, bisweilen jenes inbrünstige Feuer, das Messiaens Musiksprache auszeichnet.

    Dass Mortier ausgerechnet dieses sperrige Opus - und dazu noch in einer so kompromisslosen Regie - als erste Neuinszenierung seiner Ära ausgewählt hat, spricht für seine eigenwillige Repertoire-Politik: Die Zeiten der eher gefälligen, publikums-freundlichen Musiktheater-Produktionen, wie sie sein Vorgänger Hugues Gall in Paris gepflegt hat, sind wohl vorüber. Man darf gespannt sein, ob das Publikum sich damit anfreunden wird.