Mit Kichern und Kreischen stürzt ein Schwarm Frauen in die Waschkaue der ehemaligen Zeche: ein weiß gekachelter Raum, der Boden ist mit Kohlenstaub und Asche bedeckt. Die Frauen haben etwas vor mit einem Büchlein, das eine schwingt. "Was habt ihr da? – Ein Theaterstück. – Was für ein Theaterstück? – Die Weber von Gerhart Hauptmann. Vor Sonnenaufgang. Und was macht ihr damit?"
Rassismus im Kulturbetrieb erforschen
"Begraben", kreischen die Frauen. So wird vor den Augen der Zuschauer die Idee beerdigt, mit der dieser Theaterabend angetreten war: Hauptmanns naturalistische Sozialdramen über Ausbeutung und Elend sollten Thema dieser ersten Bochumer Inszenierung von Benny Claessens sein, der eher Projekte entwickelt als Stücke inszeniert. Und dieses Projekt entwickelte sich wohl anders als geplant: "White people´s problems" heißt es jetzt und Regisseur und Ensemble - darunter eine Schauspielerin mit afrikanischen und eine mit asiatischen Wurzeln - wollten Rassismus und Kolonialismus und das Thema der Dominanz weißer Männer im Kulturbetrieb erforschen. Das sind große Fragen, für die sicher mehr als ein Probenprozess erforderlich ist. In Bochum werden sie jetzt allenfalls angerissen. Wie in dieser Auseinandersetzung mit dem philosophischen Übervater Hegel, der seine Idee der Freiheit nur im europäischen Kontext gedacht hat. "Von San Domingo wusstet ihr nichts, von Kolonien wusstet ihr nichts – wenn du, Papa, von Sklaverei geschrieben hast, dann hast du das als Metapher gemeint."
Das Meiste lässt sich aber kaum auf dieses Thema beziehen an dem langen Abend. Er wirkt wie eine Ansammlung von Improvisationen zwischen Schauspiel und Körpertheater. Es gibt packende Momente und humorvolle, aber auch alberne, lärmende und banale und einige, die nur Theaterleute interessieren dürften. Es fehlen Struktur und Proportion, und das wichtigste Stilmittel von Regisseur Benny Claessens, die Wiederholung, wirkt irgendwann lähmend und quälend. Das Ensemble kämpft mit Leidenschaft und Power.
Religiöser Fanatismus und Unfriede
Auf der großen Bühne des Bochumer Schauspielhauses gibt es eine Geschichte - eine starke und spannende, die sich als hochaktuell erweist: "Die Jüdin von Toledo" nach dem Roman von Lion Feuchtwanger - ein Alterswerk des Autors, der nie aus dem Exil zurückgekehrt ist. Er erzählt von den Chancen einer Verständigung zwischen Christentum, Judentum und Islam und vom grausamen Ende einer Utopie: Im maurisch-islamischen Spanien gab es im 13. Jahrhundert eine Zeit friedlicher Koexistenz, die dann im Fanatismus der Kreuzzüge unterging. Auch die Liebe zwischen dem christlichen König und der schönen Jüdin Raquel konnte das Unheil nicht aufhalten. "Ich bin der König von Spanien, in diesem Spanien gibt es allerdings Gebiete: das arabische, das jüdische, die mir gehorchen, aber fremd bleiben. Was hast du gesagt? Eine Unze Frieden ist besser als eine Tonne Sieg."
Johan Simons erzählt diese Geschichte mit fünf Schauspielerinnen und fünf Schauspielern auf einer leeren Bühne, entworfen von Johannes Schütz. In der Mitte hängt nur eine große, weiße bewegliche Wand, darunter bringt die Drehscheibe die Figuren einer Szene nach vorn, während die anderen im Hintergrund im Geschehens bleiben. Das politische Kräftespiel, die Konflikte auf der religiösen, politischen und persönlichen Ebene bildet Simons fast choreografisch ab in der Dynamik und Bewegung der Körper in diesem Raum und vermeidet so die Umständlichkeiten und Längen, die die Adaption dicker Romane für das Theater oft mit sich bringt.
"Willst uns vernichten, Alfonso? Was hast du gesagt? Nichts."
Die Stärke des Abends ist die ungeheure Energie, mit der das Ensemble agiert - und darin liegt zugleich seine Gefahr. Die Individualität der Figuren, der Reichtum und die Widersprüchlichkeit dieser Menschen werden nicht deutlich genug. Bei erfahrenen Schauspielern wie Pierre Bokma in der Rolle des weisen Juden Yehuda fällt das weniger auf als bei den jungen Anfängern Hanna Hilsdorf und Ulvi Erkin Teke, die eigentlich nichts in ihren Figuren entdecken können als das naive Girlie und den kindischen Berserker. Programmatisch hat Johan Simons einen starken Auftakt gesetzt, künstlerisch darf man noch mehr erwarten in Bochum.