Die ersten Premieren des Dresdener Staatsschauspiels erzählen vom Stillstand, davon, dass alles beim Alten bleiben soll. Oder dass es doch nicht besser wird. Figuren treten auf, die ihre Vergangenheit nicht verarbeiten, weil sie sich an sie klammern oder die eigenen Fehler nicht eingestehen wollen.
"Schornstein des Schamottewerks war zu sehen. Eine Ziegelesse, die nicht mehr rauchte. Früher konnte man in der Kantine noch essen gehen. Aber dann schloss sie von einem auf den anderen Tag. Überall drumherum verrostete Reste von Schienen. Neschwitz."
So beginnt der Roman "Mit der Faust in die Welt schlagen" von Lukas Rietzschel. 2018 sollte diese Geschichte erklären, wie sich in Chemnitz so viel Gewalt und Fremdenhass Bahn schlagen konnten. Nun kommt der Text auf die Bühne. Rietzschel erzählt von zwei Brüdern, die in der sächsischen Provinz aufwachsen; wie sie in Apathie und Radikalismus verfallen. Die Gegend ist vom Verfall gezeichnet: Wo vorher ein Tagebau war, bleiben nach den Industrieabbau nur noch Ruinen. Guus van Geffen hat dafür eine entsprechende Bühne gebaut: Komplett überzogen von einem rotbraunen, rauen Boden erheben sich rechts, links und in der Mitte einzelne Erhebungen. Um Orte zu illustrieren, wird durchsichtige Abdeckplane vom Schnürboden gelassen: Sachsen bleibt eine Baustelle. Hier versuchen die Menschen mit dem Verlust von Identität, Anerkennung oder dem eigenen Haus umzugehen. So klagt Daniel Sejourne als Tobias seinen Bruder Philipp, gespielt von Tillmann Eckhardt an.
"Philip, wusstest du das mit dem Haus?
Mutti hat’s mir erzählt
Und ist dir das hier alles egal oder was?
Und ist dir das hier alles egal oder was?
Das habe ich nicht gesagt?
Warum machst du dann nichts?
Warum machst du dann nichts?
Es reicht so oder so nicht, hat Mutti doch gesagt."
Schwierige Romanvorlage
Das Problem dieses Theaterabends von Liesbeth Coltof liegt an vielen Stellen schon in Rietzschels Vorlage. Die Biografie wirkt schematisch und die Figuren geraten zur reinen Staffage. Die Erklärungsversuche wirken simpel: In kaputten Familien leben die Eltern Perspektivlosigkeit vor. Und wegen fehlender Aufklärung erscheinen die Sorben, die Polacken und die Asylanten, also die Fremden, als naheliegende Sündenböcke.
Insofern bietet diese Geschichte keine Erklärung für die neue Schamlosigkeit der Rechten. Und sie wird einem Publikum erzählt, das die Probleme bereits kennt. Es kann als Unart angesehen werden, den "Roman der Stunde" immer umgehend auf die Bühne zu bringen. Vor allem, wenn er keine theatralen Qualitäten besitzt und zum Aufsagetheater verkommt: Die beiden Hauptdarsteller Tillmann Eckhardt und Daniel Sejourne stehen auf der Bühne und sprechen den Prosatext wenig überzeugend ins Publikum. Anstatt das problematische Schweigen zu spielen, wird davon erzählt. Es gibt nur wenige starke Ideen in der Adaption von Liesbeth Coltof: Beispielsweise wird der stumpfe Skinhead Menzel hier von Ursula Hobmair gespielt, die genauso brutal agiert. Aber statt nur einzuschüchtern, verführt sie. Insgesamt bleibt die Produktion zu sehr dem Roman verhaftet.
Kaum Bewegung im Kirschgarten
Wesentlich stärker begann am folgenden Abend Tschechows "Der Kirschgarten" in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg. Der Regisseur hat sich ein Podest gebaut, das auf dünnen Stäben über der eigentlichen Bühne schwebt, an drei Seiten von weißen Wänden umgeben. In diesem fast leeren Raum warten die Figuren auf die Ankunft von Andrejewna Ranewskaja bis sie endlich mitten in der Nacht auf ihrem altehrwürdigen Gut ankommt. Der ganze Akt ist von Absurdität geprägt. Es scheint als hätten die Figuren wegen des Schlafmangels die Kontrolle über ihre Handlungen verloren und stolperten mit viel Situationskomik über die Bühne.
Immer wieder heißt es, dass es jetzt Zeit für die Nachtruhe sei, doch niemand bewegt sich. Dieser Stillstand, diese Unfähigkeit zur Aktion prägt das Stück. Deswegen verliert die einst so wohlhabende Familie den Kirschgarten, da sie es nicht schaffen, ihren Lebensstil zu ändern. In den weißen Kleidern von Andrea Schraad und den weiß geschminkten Gesichtern wirken die Schauspieler wie Geister, die den Aufbruch verpasst haben. Kriegenburg lässt sie bis ins heute wandeln, wo sie Tschechows Texte kommentieren und erweitern. Der Zuschauer weiß dann gar nicht mehr, ob die Sätze von Kriegenburg, dem Schauspieler Simon Werdelis oder dem Studenten Petja stammen.
"Alles, was jetzt noch unerreichbar scheint, wird irgendwann reale Möglichkeit. Man muss nur daran arbeiten und daran glauben, dass es zu schaffen ist. Aber die meisten Menschen die ich kenne, wollen gar nicht mehr."
Es ist die Stimmung des Wartens, dass endlich etwas passieren soll, die Kriegenburg hier auf der Bühne heraufbeschwört. Das funktioniert so gut, dass es sich teilweise leider auch auf den Zuschauer überträgt. Der Inaktivität fehlt die Verzweiflung, der Untergang ist schon ausgemacht. So beginnt dieser Abend zwar mit viel Energie, Spielfreude und Ideenreichtum, lässt dann stetig nach. Die drei Stunden beginnen, sich zu ziehen, anzustrengen.
Am Ende bietet dieses Premierenwochenende nur wenige starke Theatermomente, kaum Anregungen und eigentlich keine neuen Erkenntnisse.