Es ist problematisch, alle Salafisten über einen Kamm zu scheren. Sie nehmen zwar für sich in Anspruch, den einen, wahren Islam zu verkörpern – tatsächlich ist die Szene aber zersplittert.
Eine der berüchtigtsten salafistischen Gruppen aus Deutschland nennt sich Millatu Ibrahim. Im vergangenen Jahr hat das Bundesinnenministerium die Organisation verboten. Doch sie agiert weiter, unter anderem von Kairo aus. Einer ihrer aggressivsten Prediger trägt den Aliasnamen Abu Ibrahim, ein junger Mann mit blassem Gesicht und langem Bart. In Internetvideos hetzt er gegen die Demokratie und gegen die "Kuffar", wie Salafisten die aus ihrer Sicht Ungläubigen bezeichnen. In einem seiner neuesten Videos schimpft er über die verkommene Moral an Silvester – "einer Nacht", wie er sagt, "mit der der Papst geehrt" werde.
"Und wie viele Geschwister sind heute draußen? Wie viele Schwestern sind draußen? Wie viele Schwestern ziehen sich heute halbnackt an? Wie viele Brüder sind heute raus? Und halten vielleicht die Hand einer fremden Frau. Berühren eine fremde Frau. Wie viele Schwestern von uns verkaufen sich heute billig, liebe Geschwister."
Es sind simple Botschaften wie diese, die bei jungen islamischen Männern und auch Frauen leicht verfangen. Einfache Antworten auf komplexe Fragen. Und ein Schwarz-Weiß-Weltbild mit klaren Feindbildern: Hier wir, die guten, ehrenvollen Muslime – dort die verkommenen Ungläubigen, die Muslimen Böses wollen. Bei den Salafisten landen häufig Jugendliche in der Pubertät, die auf der Suche nach dem Sinn ihres Lebens sind, wie die Salafismus-Expertin Claudia Dantschke weiß. Dantschke hat am Berliner Zentrum Demokratische Kultur häufig mit radikalisierten Jugendlichen zu tun, auch mit Salafisten.
"Sie geben Gemeinschaftsgefühl. Also ich gehöre plötzlich zu einer Gruppe, ich werde akzeptiert. Salafismus ist attraktiv für viele junge Menschen, die vorher Zurückweisung erlebt haben, in irgendeiner Form. Und sie geben im Grunde genommen auch Antworten auf den Sinn des Lebens. Warum bin ich eigentlich da? Und sie bieten einen Platz."
Beim Salafismus handelt es sich in Deutschland nicht nur um eine religiöse Erscheinung, sondern um ein Jugendphänomen: Wer sich den Salafisten anschließt, will sich abgrenzen, nicht zuletzt von den eigenen Eltern, aber auch von den Lehrern. Junge Salafisten wollen auffallen, um ihr mangelndes Selbstwertgefühl zu kompensieren. In einer liberalen Gesellschaft wie der deutschen, in der fast alles erlaubt ist, müssen sie dafür zur maximalen Provokation greifen. Für Claudia Dantschke auch ein Schrei nach Aufmerksamkeit.
"Wenn man heute irgendwo nach Aufmerksamkeit ruft und provozieren will, dann kann man das mit Salafismus am besten. Also stellen Sie sich vor, Sie sitzen in der Schulklasse und dann kommt der eine Mitschüler plötzlich im salafistischen Outfit und er sagt: Also, hallo Leute, ich find eigentlich, Osama bin Laden war geil. Sofort ist die maximale Aufmerksamkeit da."
Charismatische Prediger wie Abu Ibrahim sprechen eine neue Generation von Salafisten an. Claudia Dantschke nennt sie die Generation des Pop-Dschihad, eine radikale Jugendkultur. Es sind Jugendliche, die in Deutschland aufgewachsen sind. Oft sind Konvertiten unter ihnen, die keine Wurzeln in islamischen Ländern haben. Während ältere Generationen von Salafisten häufig noch eine theologische Ausbildung durchlaufen haben, ist das religiöse Wissen dieser neuen Generation äußerst schwach ausgeprägt. Dantschke nennt es eine Hooliganisierung der Szene. Junge Salafisten verteilen auch den Koran in deutschen Innenstädten. Eine an sich harmlose Aktion – stände dahinter nicht eine radikale Gruppe mit dem Namen "Die wahre Religion".
"Die "Wahre Religion" ist eine Gruppe, die also in diese Dschihad legitimierende Richtung gehört. Und sie haben es geschafft mit dieser Koranverteilung in dieses nicht-gewaltbereite Segment einzutreten. Sie schaffen es mit dieser Aktion in breite Kreise von nicht-radikalen Muslimen reinzustoßen. Gerade Jugendliche engagieren sich bei dieser Koranverteilung sehr stark, weil sie denken, sie tun dort wirklich etwas Gutes für das Verständnis des Islam in Deutschland."
Doch es ist problematisch, alle Salafisten über einen Kamm zu scheren. Sie nehmen zwar für sich in Anspruch, den einen, wahren Islam zu verkörpern – tatsächlich ist die Szene aber zersplittert. Eine Gefahr geht von Gewalt propagierenden Gruppen aus, die die Demokratie stürzen wollen. Und von jenen, die selbst Gewalt anwenden oder nach Afghanistan oder Somalia in den Heiligen Krieg ziehen – die so genannten Dschihadisten.
Daneben gibt es aber auch eine Gruppe von puristischen Salafisten, die zwar ein orthodoxes Islamverständnis haben – aber Gewalt ablehnen. Der Dschihad-Fachmann Rüdiger Lohlker von der Universität Wien warnt vor Hysterie.
"Sie mögen vielleicht viele stören, mögen unangenehm sein. Sie sind sicherlich nicht immer einfach im Umgang. Aber da gibt es genug andere in unserer Gesellschaft, die das auch nicht sind. Wir sollten uns eher darauf konzentrieren, diejenigen, die dazu geneigt sein können, in Gewalt abzudriften, zu stoppen."
Der 11. September mit den Anschlägen in den USA ist bald zwölf Jahre her – trotzdem wurde in Deutschland seitdem wenig Geld ausgegeben, um die Phänomene Salafismus und Dschihadismus wissenschaftlich zu erforschen. Anders als etwa in den USA und Großbritannien, kritisiert der Islamwissenschaftler Michael Kiefer.
"Wenn Sie mich fragen, hat man in vielen Bereichen seit zwölf Jahren geschlafen. Was stattgefunden hat, das ist ja offenkundig: Wir haben einen mit erheblichem Finanzaufwand betriebenen Ausbau des Sicherheitsapparates gehabt. Erstaunlich ist, dass man meint, dies nur am Ende der staatlichen Interventionskette tun zu müssen. Und auf der anderen Seite hat es im Bereich des Vorfeldes, also der systematischen Wissensgewinnung zu diesen Bereichen relativ wenige Aktivitäten gegeben. Fragen Sie mich nicht, warum man das hier nicht macht."
Um Dschihadisten rechtzeitig zu stoppen, ist Prävention notwendig. Aber auch die steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Es gebe nur wenige befristete Projekte und einzelne Bemühungen der Bundesländer, sagt Kiefer.
"Aber all dies hat nichts mit einer konzertierten, wirklich abgestimmten Präventionsstrategie zu tun, die lernend ist. Das ist das Dilemma in Deutschland."
Eine der berüchtigtsten salafistischen Gruppen aus Deutschland nennt sich Millatu Ibrahim. Im vergangenen Jahr hat das Bundesinnenministerium die Organisation verboten. Doch sie agiert weiter, unter anderem von Kairo aus. Einer ihrer aggressivsten Prediger trägt den Aliasnamen Abu Ibrahim, ein junger Mann mit blassem Gesicht und langem Bart. In Internetvideos hetzt er gegen die Demokratie und gegen die "Kuffar", wie Salafisten die aus ihrer Sicht Ungläubigen bezeichnen. In einem seiner neuesten Videos schimpft er über die verkommene Moral an Silvester – "einer Nacht", wie er sagt, "mit der der Papst geehrt" werde.
"Und wie viele Geschwister sind heute draußen? Wie viele Schwestern sind draußen? Wie viele Schwestern ziehen sich heute halbnackt an? Wie viele Brüder sind heute raus? Und halten vielleicht die Hand einer fremden Frau. Berühren eine fremde Frau. Wie viele Schwestern von uns verkaufen sich heute billig, liebe Geschwister."
Es sind simple Botschaften wie diese, die bei jungen islamischen Männern und auch Frauen leicht verfangen. Einfache Antworten auf komplexe Fragen. Und ein Schwarz-Weiß-Weltbild mit klaren Feindbildern: Hier wir, die guten, ehrenvollen Muslime – dort die verkommenen Ungläubigen, die Muslimen Böses wollen. Bei den Salafisten landen häufig Jugendliche in der Pubertät, die auf der Suche nach dem Sinn ihres Lebens sind, wie die Salafismus-Expertin Claudia Dantschke weiß. Dantschke hat am Berliner Zentrum Demokratische Kultur häufig mit radikalisierten Jugendlichen zu tun, auch mit Salafisten.
"Sie geben Gemeinschaftsgefühl. Also ich gehöre plötzlich zu einer Gruppe, ich werde akzeptiert. Salafismus ist attraktiv für viele junge Menschen, die vorher Zurückweisung erlebt haben, in irgendeiner Form. Und sie geben im Grunde genommen auch Antworten auf den Sinn des Lebens. Warum bin ich eigentlich da? Und sie bieten einen Platz."
Beim Salafismus handelt es sich in Deutschland nicht nur um eine religiöse Erscheinung, sondern um ein Jugendphänomen: Wer sich den Salafisten anschließt, will sich abgrenzen, nicht zuletzt von den eigenen Eltern, aber auch von den Lehrern. Junge Salafisten wollen auffallen, um ihr mangelndes Selbstwertgefühl zu kompensieren. In einer liberalen Gesellschaft wie der deutschen, in der fast alles erlaubt ist, müssen sie dafür zur maximalen Provokation greifen. Für Claudia Dantschke auch ein Schrei nach Aufmerksamkeit.
"Wenn man heute irgendwo nach Aufmerksamkeit ruft und provozieren will, dann kann man das mit Salafismus am besten. Also stellen Sie sich vor, Sie sitzen in der Schulklasse und dann kommt der eine Mitschüler plötzlich im salafistischen Outfit und er sagt: Also, hallo Leute, ich find eigentlich, Osama bin Laden war geil. Sofort ist die maximale Aufmerksamkeit da."
Charismatische Prediger wie Abu Ibrahim sprechen eine neue Generation von Salafisten an. Claudia Dantschke nennt sie die Generation des Pop-Dschihad, eine radikale Jugendkultur. Es sind Jugendliche, die in Deutschland aufgewachsen sind. Oft sind Konvertiten unter ihnen, die keine Wurzeln in islamischen Ländern haben. Während ältere Generationen von Salafisten häufig noch eine theologische Ausbildung durchlaufen haben, ist das religiöse Wissen dieser neuen Generation äußerst schwach ausgeprägt. Dantschke nennt es eine Hooliganisierung der Szene. Junge Salafisten verteilen auch den Koran in deutschen Innenstädten. Eine an sich harmlose Aktion – stände dahinter nicht eine radikale Gruppe mit dem Namen "Die wahre Religion".
"Die "Wahre Religion" ist eine Gruppe, die also in diese Dschihad legitimierende Richtung gehört. Und sie haben es geschafft mit dieser Koranverteilung in dieses nicht-gewaltbereite Segment einzutreten. Sie schaffen es mit dieser Aktion in breite Kreise von nicht-radikalen Muslimen reinzustoßen. Gerade Jugendliche engagieren sich bei dieser Koranverteilung sehr stark, weil sie denken, sie tun dort wirklich etwas Gutes für das Verständnis des Islam in Deutschland."
Doch es ist problematisch, alle Salafisten über einen Kamm zu scheren. Sie nehmen zwar für sich in Anspruch, den einen, wahren Islam zu verkörpern – tatsächlich ist die Szene aber zersplittert. Eine Gefahr geht von Gewalt propagierenden Gruppen aus, die die Demokratie stürzen wollen. Und von jenen, die selbst Gewalt anwenden oder nach Afghanistan oder Somalia in den Heiligen Krieg ziehen – die so genannten Dschihadisten.
Daneben gibt es aber auch eine Gruppe von puristischen Salafisten, die zwar ein orthodoxes Islamverständnis haben – aber Gewalt ablehnen. Der Dschihad-Fachmann Rüdiger Lohlker von der Universität Wien warnt vor Hysterie.
"Sie mögen vielleicht viele stören, mögen unangenehm sein. Sie sind sicherlich nicht immer einfach im Umgang. Aber da gibt es genug andere in unserer Gesellschaft, die das auch nicht sind. Wir sollten uns eher darauf konzentrieren, diejenigen, die dazu geneigt sein können, in Gewalt abzudriften, zu stoppen."
Der 11. September mit den Anschlägen in den USA ist bald zwölf Jahre her – trotzdem wurde in Deutschland seitdem wenig Geld ausgegeben, um die Phänomene Salafismus und Dschihadismus wissenschaftlich zu erforschen. Anders als etwa in den USA und Großbritannien, kritisiert der Islamwissenschaftler Michael Kiefer.
"Wenn Sie mich fragen, hat man in vielen Bereichen seit zwölf Jahren geschlafen. Was stattgefunden hat, das ist ja offenkundig: Wir haben einen mit erheblichem Finanzaufwand betriebenen Ausbau des Sicherheitsapparates gehabt. Erstaunlich ist, dass man meint, dies nur am Ende der staatlichen Interventionskette tun zu müssen. Und auf der anderen Seite hat es im Bereich des Vorfeldes, also der systematischen Wissensgewinnung zu diesen Bereichen relativ wenige Aktivitäten gegeben. Fragen Sie mich nicht, warum man das hier nicht macht."
Um Dschihadisten rechtzeitig zu stoppen, ist Prävention notwendig. Aber auch die steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Es gebe nur wenige befristete Projekte und einzelne Bemühungen der Bundesländer, sagt Kiefer.
"Aber all dies hat nichts mit einer konzertierten, wirklich abgestimmten Präventionsstrategie zu tun, die lernend ist. Das ist das Dilemma in Deutschland."