Die Polizei in Nordrhein-Westfalen hat umfangreiche Maßnahmen gegen gewaltbereite Salafisten eingeleitet. Verfassungsschutz-Präsident Freier sagte im Deutschlandfunk, allein in Nordrhein-Westfalen seien 2.500 Salafisten registriert, von denen etwa 500 als gewaltbereit gälten. Die Polizei wolle die Szene gut im Blick behalten, weil man nach den Anschlägen von Paris von einer erhöhten Gefährdungslage ausgehen müsse. Freier erklärte, junge Leute, die nach Syrien reisen wollten, versuche man davon abzuhalten, weil viele erst dort den Umgang mit Sprengstoff lernten. Kampfbereite Rückkehrer aus Syrien wiederum würden an der Einreise gehindert oder direkt am Flughafen festgenommen. Bislang sei dies in 70 Fällen geschehen, die meisten säßen in Untersuchungshaft.
Freier betonte, die Propaganda der Salafisten werde immer professioneller und ziele direkt auf die Gefühle junger Menschen. Drohungen gegen Deutschland häuften sich, und es bestehe die Gefahr, dass Einzelne die radikalislamischen Botschaften auch umsetzten. Schule und Familie als soziales Umfeld seien aufgerufen, solchen Personen frühzeitig zu helfen. Wenn junge Leute erst in die Salafisten-Szene abgerutscht seien, sei es schwierig, sie aus der Szene wieder herauszuholen.
Das Interview in voller Länge:
Jürgen Zurheide: Die Zahl der Salafisten in Deutschland steigt und damit bleiben wir auch bei einem Thema der inneren Sicherheit. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat noch mal genau nachgezählt: 8.350 gibt es in Deutschland, seit September sind es wieder 450 mehr. Warum das so ist, wollen wir fragen, auch trotz mancher Präventionsprogramme, die es inzwischen gibt. Und wir wollen einen fragen, von dem wir annehmen und hoffen, dass er sich da besser auskennt als wir alle. Burkhard Freier, der Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes ist jetzt am Telefon, guten Morgen, Herr Freier!
Burkhard Freier: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Freier, erst mal die Zahl: 8.350, wieder 450 mehr. Das sind Zahlen, die Sie in den Verfassungsschutzbehörden bundesweit haben. Wie verlässlich sind solche Zahlen?
Freier: Diese Zahlen, 8.350 – in Nordrhein-Westfalen sind es etwa 2.500 jetzt –, sind keine geschätzten Zahlen, das ist also nicht das Umfeld oder eine Szene, sondern jede einzelne dieser Personen haben wir registriert und gespeichert, weil die Sicherheitsbehörden hier besonders sensibel und wachsam sind und sich all die Personen in die Beobachtung nehmen, von denen wir davon ausgehen, dass sie entweder den politischen Salafismus predigen, also Missionierungsarbeit betreiben, oder auch weitergehen und die Absicht haben oder Vorstellungen haben, auch Gewalt anzuwenden.
Zurheide: Wie gefährlich ist das? Wir müssen mit Anschlägen rechnen, das wird uns immer wieder gesagt, hin und wieder gelingt es ja auch, rechtzeitig etwas aufzudecken. Wie gefährlich ist die Situation, ohne jetzt in Alarmismus zu verfallen?
"Wir haben auch eine Zunahme von Drohbotschaften"
Freier: Ja, da ist das richtige Wort. Also, Alarmismus ist nicht das richtige Wort, ich würde eher sagen Wachsamkeit. Also, für uns ist wichtig, dass wir die Szene im Blick haben und dass wir auch immer wieder in der Öffentlichkeit erklären, wie es im Moment aussieht. Und in wenigen Worten würde man sagen, wir haben im Moment eine erhöhte Gefährdungslage, die seit den Anschlägen im Januar in Paris noch einmal deutlich geworden ist, und wir haben vor allen Dingen ein erhöhtes Grundrauschen. Und das bedeutet im Einzelnen, wir haben nicht nur eine Szene, die immer noch wächst, und zwar europaweit – zum Beispiel Länder wie Belgien oder Frankreich haben bezogen auf ihre Zahl der Einwohner noch viel mehr Salafisten als Deutschland –, wir haben aber auch eine zunehmende, professioneller werdende Propaganda insbesondere des sogenannten IS. Und diese Propaganda zielt auf die Erlebniswelt von jungen Menschen. Also weniger auf den Kopf, sondern auf den Bauch, auf emotionale Gefühle. Und viele junge Menschen sind in den Medien durchaus Fachmänner, Fachfrauen, aber sie können die Beeinflussung und Manipulation, die durch diese Videos und Texte bedeuten, denen können sie oft nicht widerstehen. Wir haben auch eine Zunahme von inzwischen Drohbotschaften, also konkrete Drohungen auch gegen Deutschland, so mit den Worten, man solle den Kampf in Deutschland aufnehmen und alle Ungläubigen töten, wo immer man sie antrifft. Solche Botschaften kommen immer mehr und wir haben eben die Sorge, dass sie bei Einzelnen auch verfangen und sie glauben, sie müssten jetzt so etwas in Taten umsetzen.
Zurheide: Wie gefährlich sind diejenigen, die aus Syrien zum Beispiel zurückkehren, und was tun Sie dagegen?
Freier: Wir haben mehrere sogenannte Tätergruppen, dazu gehören eben auch diejenigen, die aus Syrien zurückkehren. Nicht jeder Rückkehrer ist jemand, von dem wir sagen, er ist kampferprobt oder vor allen Dingen mit dem Ziel zurückgekehrt, hier einen Anschlag zu begehen. Viele sind traumatisiert und auch desillusioniert, dafür muss man auch Präventionsprogramme entwickeln. Aber eben diese Rückkehrer sind besonders gefährlich, weil sie erstens mal stärker ideologisiert sind, also, sie haben einen festen Willen, diese Ideologie umzusetzen, sie sind international vernetzt und haben Kennverhältnisse, und vor allen Dingen sind sie häufig an Waffen ausgebildet, und zwar nicht nur an Schusswaffen, sondern auch im Umgang mit Sprengstoff. Und sie haben eben das mögliche Ziel, hier weitere Anschläge zu begehen. Und deswegen tun wir Folgendes: Erstens, wir beobachten schon den Zeitpunkt ihrer Ausreise und versuchen, sie aufzuhalten. Wenn das rechtlich möglich ist und wir die Anhaltspunkte haben, gelingt das. Wir haben in Nordrhein-Westfalen etwa 70 Personen an der Ausreise gehindert. Wenn das nicht möglich ist, dann überwachen wir die Einreise. Und wenn wir Anhaltspunkte haben, dass er zum Beispiel an einem Kampf teilgenommen hat, dann gibt es die Möglichkeit, direkt am Flughafen festzunehmen und dann auch in die U-Haft zu setzen und dann ein Strafverfahren einzuleiten. Die allermeisten Rückkehrer, denen wir Kampferfahrung nachweisen können, sitzen im Moment in U-Haft. Aber es gibt eben auch Personen, wo wir als Sicherheitsbehörden zwar Anhaltspunkte haben, aber die sind noch nicht gerichtsfest. Und die müssen wir eben mit den Möglichkeiten des Verfassungsschutzes und der Polizei sehr, sehr engmaschig beobachten, das heißt …
Zurheide: Können Sie das? Ich gehe dazwischen, weil wir ja gerade mit dem Innenminister von Schleswig-Holstein gesprochen haben, wie oft der Staat im Moment irgendwas nicht kann. Kann man da sicher sein, dass Sie das Notwendige tun, haben Sie genügend Möglichkeiten?
"Wir haben in Nordrhein-Westfalen über 500 gewaltbereite Salafisten"
Freier: Also, Sie können sicher sein, dass wir das Notwendige tun und dass wir sehr wachsam sind. Wir können aber nicht sicher sein, dass wir jeden Fall tatsächlich sehen. Also, es gibt keine 100-prozentige Sicherheit. Und zwar aus zwei Gründen: Das eine ist, wir haben manchmal gar nicht die rechtlichen Möglichkeiten, jemanden engmaschig zu beobachten, wenn wir nicht genügend Anhaltspunkte haben. Und zweitens, wir müssen ein System entwickeln – und das haben wir inzwischen –, dass wir in der engsten Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und Polizei versuchen, mit einer Methode wirklich diejenigen herauszufiltern, die man beobachten muss. Wir haben in Nordrhein-Westfalen über 500 gewaltbereite Salafisten, die lassen sich nicht alle rund um die Uhr beobachten. Das geht weder rechtlich noch organisatorisch. Also haben wir Möglichkeiten gefunden, wie wir diejenigen herauskristallisieren, die wir ganz oft beobachten, diejenigen, die wir etwas weniger beobachten, und da fallen natürlich Personen in eine geringere Beobachtung, von denen wir sagen, die reden zwar über den Dschihadismus, aber wir gehen nicht davon aus, dass sie es morgen tun. Da muss man sich auf den Fachverstand und auf die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz verlassen und bis jetzt ist es so: Wir gehen davon aus, dass wir diejenigen tatsächlich in den Blick genommen haben, die möglicherweise mehr tun wollen als nur reden.
Zurheide: Jetzt haben wir nur noch 30 Sekunden, aber ganz kurz: Auch bei der Prävention, wen fordern Sie auf, sich rechtzeitig zu melden, damit jemand vielleicht gar nicht erst abrutscht? Ganz kurz bitte?
Freier: Also, insbesondere Schulen und das Umfeld von Personen, die entdecken, dass einer abrutscht, wir haben diese Wegweiserprogramme, man kann sich auch an das Innenministerium wenden. Es ist wichtig, diesen jungen Menschen frühzeitig zu helfen. Je länger man wartet und Scheu hat, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er beim Abrutschen tatsächlich kaum noch aus der Szene herausgeholt werden kann.
Zurheide: Das war Burkhard Freier, der Chef des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen. Herr Freier, wir bedanken uns heute Morgen für die Gespräche. Danke schön!
Freier: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.