Der türkisch-stämmige Samet D. aus Hanau kämpft an einem unbekannten Ort in Syrien oder dem Irak auf Seiten einer islamistischen Miliz. In einem Video ist der 21-jährige mit einem Tarnfleckentuch vor dem Gesicht zu sehen. Er redet seinen Glaubensbrüdern zuhause ins Gewissen: "Und ihr sitzt in den Ländern und trinkt Milch. Ich esst chillig euren Döner. Wenn du es willst, frage deinen Herren um den Weg nach Syrien. Inschallah."
So wie Samet sind vier weitere junge Männer aus Hanau in den Dschihad gezogen. Einer hat sich bei einem Selbstmordattentat in die Luft gesprengt, einer ist wieder zurück und die anderen beiden kämpfen weiter. Wer unter jungen Muslimen die Frage stellt, wo sich die Männer radikalisiert haben, hört immer wieder von der Baraa-Moschee im Stadtteil Lamboy. Hier sollen sie von Predigern ideologisch auf den Kampf gegen die Ungläubigen vorbereitet worden sein. Bis die Salafisten-Gruppe aufflog, war die Moschee in der Stadtgesellschaft quasi nicht existent. Auf Nachfrage erfährt man jedoch bei der Stadt, dass sie bereits 2004 baurechtlich genehmigt wurde. Erst kürzlich habe man dann wieder etwas von ihr gehört, so Oberbürgermeister Claus Kaminsky, SPD: "Wir wurden vom Staats- beziehungsweise Verfassungsschutz Ende März 2015 darüber informiert, dass im Kontext mit der Baraa Moschee ermittelt wird, mit dem Verdacht, dass dort Straftaten vorbereitet, beziehungsweise begangen werden könnten, insbesondere schwere staatsgefährdende."
Moscheen in Hinterhöfen
Seit mehr als zehn Jahren wird die Moschee betrieben. Niemand prüfte offenbar, was dort geschieht. Dabei sind sogenannte Hinterhof-Moscheen - in denen ohne Anbindung an das öffentliche Leben einer Stadt gepredigt wird - Verfassungsschützern schon lange ein Dorn im Auge. Sie sehen in ihnen Brutstätten von Radikalisierung. Die Baraa-Moschee ist nicht im Hanauer Dachverband der Moschee-Gemeinden. Dessen Vorsitzender, Behlül Yilmaz, hat für ein Interview keine Zeit. Er ist auf die Medien nicht gut zu sprechen. Am Telefon sagt er, diese würden das Problem aufbauschen, aus einer Mücke einen Elefanten machen. Jaoid Darsane sieht das anders. Er ist vom Islamischen Informations- und Begegnungszentrum in Hanau, einem Mitglied im Hanauer Dachverband: "Junge Muslime, die die Religion falsch verstehen und radikal werden und das System hier in Deutschland und generell das westliche System ablehnen, sehen wir als eine Bedrohung und es schadet auch dem Image, dem Islam und den Gemeinden, die seit Jahren hier ihre Arbeit machen."
Darsane und seine Gemeinde lehnen Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele ab. Sie lassen sich den Muslimbrüdern zuordnen. Sie wollen den Islam zum staatstragenden Prinzip machen. Allerdings nicht durch einen radikalen Umsturz, sondern durch Mehrheiten bei demokratischen Wahlen. Sie sehen im Islam die Lösung für jedes gesellschaftspolitische Problem. Auch das der Radikalisierung. "Dadurch, dass es um radikale Muslime geht, muss auch der Sozialarbeiter dieses Verständnis haben. Es muss religions-, kultur-, und sprachsensibel an die Sache herangegangen werden. Man muss die Jugendlichen verstehen, man muss aus ihrer Brille die Sache betrachten. Und dann geht es nur so."
Ausgebildete Sozialarbeiter
Darsane betont, dass man ausgebildete Sozialarbeiter in den eigenen Reihen habe. Mürvet Öztürk kennt das Argument: Jugendhäuser und Schulen sollen die Arbeit mit radikalisierten Jugendlichen Muslimen überlassen. Die jugendpolitische Sprecherin der Grünen im hessischen Landtag hält nichts vom Outsourcen der Sozialarbeit an die Religion: "Bei Jugendlichem, die aus einer religiösen Unkenntnis durch falsche Information in einer schnelle Radikalisierung geraten sind; ob diese Menschen mit einem leichteren Islam wieder für unsere Gesellschaft zurückzuführen sind, da bin ich skeptisch. Ich würde eher gerne bei den Jugendlichen den Versuch starten, sie in die Mitte der pluralen Gesellschaft zu holen, wo sie eben nicht die eine Religion für besser oder schlechter erachten, oder das eine Lebensmodell gegen das andere ausspielen. Eigentlich muss man historische und gesellschaftspolitische Fragen stellen. Da ist Religion nur ein Aspekt, aber auch nicht der ausschlaggebende Aspekt."
Nicht jeder sieht im "Islam light" das Allheilmittel gegen Radikalisierung. Doch die islamischen Gemeinden bringen sich als Retter in der Not gerne ins Spiel. Der Dachverband der Hanauer Moschee-Gemeinden will sich zwar nicht zu den radikalisierten Jugendlichen äußern. Aber so viel ist zu erfahren: im Herbst will sein Vorsitzender Yilmaz Gespräche mit der Stadt und dem staatlichen Schulamt führen. Es reiche nicht, dass es an den Grundschulen islamischen Religionsunterricht gebe. Er fordert eine Ausweitung des islamischen Religionsunterrichts an Hanauer Schulen. Gerne auch mit Beteiligung seiner Gemeinde.