"Um acht Uhr klingelte es, es standen Polizisten im Plural vor der Tür mit schusssicheren Westen und mit dem Vorwurf, dass ich mich der Volksverhetzung in Tateinheit mit jugendgefährdeten Schriften belastet habe."
Sonja Röder versteht die Welt nicht mehr. Erst als die Beamten den Titel der Schrift nennen: "Missverständnisse über Menschenrechte im Islam" - ahnt die 48-jährige Bonnerin, worum es geht, und erinnert sich, woher sie das Buch hat.
"Es gibt hier in Bonn eine Reihe von sogenannten offenen Bücherschränken. Dort kann man Bücher einstellen und sich auch welche mitnehmen. Ich habe dieses Buch ungefähr 2010 mitgenommen, im Glauben, es ginge ganz einfach um eine Einführung eben in den Islam. Habe dann gemerkt, ich lese das jetzt doch sowieso nicht, wie es halt bei vielen Büchern so ist, und habe es dann bei Amazon zum Kauf angeboten."
Das war 2010. Ein Käufer fand sich nicht, das Buch stand bei Sonja Röder irgendwo im Regal, bis die Polizei es letzte Woche konfiszierte. Die frühere Lektorin ist auch Schriftstellerin, kümmert sich aber zurzeit hauptsächlich um ihre Tochter. Dass sie ein übles Salafisten-Pamphlet, verfasst in Saudi-Arabien, ins Netz stellte, war ihr damals nicht klar.
"Ich ärgere mich, dass ich mich nicht vorher informiert habe. Also es geht so weit, dass halt zum Mord aufgerufen wird, also es ist ein Buch schlimmster Art."
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien setzt diese Schrift im Juni 2012 auf den Index. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart schaltet sich ein. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg stellt fest: Das Buch ist nicht nur jugendgefährdend, sondern auch volksverhetzend. Anfang 2013 beginnen die Ermittlungen – im Internet. Das LKA findet über Suchmaschinen elf Personen, die das Buch im Netz angeboten haben sollen, darunter Sonja Röder – eine Salafistin?
"In der Tat besteht sicherlich die Möglichkeit, dass hier Personen Beschuldigte sind, die sich vielleicht nicht unbedingt mit dem Inhalt des Buches vertraut gemacht haben. Das muss jetzt im Nachgang natürlich geklärt werden, aber letztlich ist erst einmal jeder dafür verantwortlich, wenn er etwas verkauft, dass er letztlich auch weiß, worum es sich handelt oder zumindest es hätte wissen müssen."
Sagt Stefan Biehl, Pressesprecher der Stuttgarter Staatsanwaltschaft.
"Dann muss man jetzt natürlich klären, bei welchen Personen liegt eine Strafbarkeit wegen Volksverhetzung vor, welche Personen haben tatsächlich gewusst, was für Bücherschriften sie hier zum Verkauf anbieten. Die werden dann entsprechend auch strafrechtlich verfolgt. Und bei allen anderen besteht natürlich die Möglichkeit, dass die Verfahren dann eingestellt werden."
Ein juristisch korrektes Verfahren. Dennoch gibt es auch kritische Stimmen zum Vorgehen der Polizei. Der Netzaktivist mit dem Pseudonym "Padeluun" engagiert sich in der Bielefelder Organisation "Digitalcourage" vor allem für den Datenschutz im Internet.
"Da sieht man auch ein bisschen, wie gefährlich das sein kann, wenn man Polizeien erlaubt, einfach mal so auf digitale Streifenfahrt zu gehen. Man erzeugt sich geradezu Verdächtige. Ich finde, wenn man das schon macht, dann sollte man auch einmal gucken, ist das jetzt wirklich etwas, wo eine Hausdurchsuchung, was ja ein ganz heftiger Grundrechtseingriff ist, ist das wirklich notwendig. Oder reicht es, dass ihr einfach mal den Telefonhörer aufnehmt und die Person entsprechend anruft und euch überhaupt mal ein Bild darüber macht."
Stefan Biehl von der Staatsanwaltschaft Stuttgart hält dagegen.
"Das sind zunächst einmal Personen, die diese Schrift im Internet angeboten haben. Wer genau dahinter steckt, das konnte natürlich so durch die Internetrecherchen und Ermittlungen nicht festgestellt werden. Und auch durch die ansonsten erfolgte Personenabklärung durch die örtlich zuständigen Polizeidienststellen konnte da jetzt auch nicht näher aufgeklärt werden, um was für Personen es sich handelt, welchen Personengruppen die Beschuldigten zuzurechnen sind."
Erst die Durchsuchungen würden Klarheit bringen. Die Staatsanwaltschaft sieht sie als Erfolg: Die Polizei habe immerhin volksverhetzende Schriften aus dem Verkehr ziehen können. Doch für Sonja Röder stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Aktion. Es scheinen dabei eher kleine Fische ins Netz gegangen zu sein, manche, die wohl auch ohne Vorsatz gehandelt haben. Dazu Netzaktivist "Padeluun":
"Wir müssen lernen mit unseren - wie Frau Merkel sagte - "Neuland"-Netzen zu leben, und mit denen zu arbeiten, ohne dass wir uns daraus einen Strick drehen. Wenn ich früher in mein Tagebuch schrieb: 'Mann, dem würde ich aber gern mal die Fensterscheibe einschlagen', dann stand das in meinem Tagebuch. Heute schreibe ich vielleicht so was auf Facebook. Das heißt ja nicht, dass ich das wirklich vorhabe, aber in dem Moment, wo die Sachen abgreifbar sind, wo sie quasi permanent erfasst werden, wo präventiv tief in Daten hineingeguckt wird, wie wir es jetzt beim NSA-Skandal erleben, da fängt es an, dass unsere Gedanken nicht mehr frei sind. Und das ist ganz gefährlich, das darf in einer Demokratie nicht passieren."
Datenschutz einerseits und Schutz vor Islamistenhetze andererseits – um die richtige Balance wird weiter politisch gerungen. Mit den Durchsuchungen jedenfalls wollte die Polizei wohl ein Signal der Abschreckung aussenden. Das ist bei Sonja Röder nachhaltig angekommen.
"Bei einem Poltern auf den Treppen bekommt man wieder vollkommen irrational Herzpochen: Kommt jetzt die zweite Runde? Dann natürlich: Was denken die Mitmieter hier im Haus, die natürlich von dieser Durchsuchung auch mitbekommen haben? Wurde ich vorher observiert, also was wird mir letztlich angehängt?"
Sonja Röder versteht die Welt nicht mehr. Erst als die Beamten den Titel der Schrift nennen: "Missverständnisse über Menschenrechte im Islam" - ahnt die 48-jährige Bonnerin, worum es geht, und erinnert sich, woher sie das Buch hat.
"Es gibt hier in Bonn eine Reihe von sogenannten offenen Bücherschränken. Dort kann man Bücher einstellen und sich auch welche mitnehmen. Ich habe dieses Buch ungefähr 2010 mitgenommen, im Glauben, es ginge ganz einfach um eine Einführung eben in den Islam. Habe dann gemerkt, ich lese das jetzt doch sowieso nicht, wie es halt bei vielen Büchern so ist, und habe es dann bei Amazon zum Kauf angeboten."
Das war 2010. Ein Käufer fand sich nicht, das Buch stand bei Sonja Röder irgendwo im Regal, bis die Polizei es letzte Woche konfiszierte. Die frühere Lektorin ist auch Schriftstellerin, kümmert sich aber zurzeit hauptsächlich um ihre Tochter. Dass sie ein übles Salafisten-Pamphlet, verfasst in Saudi-Arabien, ins Netz stellte, war ihr damals nicht klar.
"Ich ärgere mich, dass ich mich nicht vorher informiert habe. Also es geht so weit, dass halt zum Mord aufgerufen wird, also es ist ein Buch schlimmster Art."
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien setzt diese Schrift im Juni 2012 auf den Index. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart schaltet sich ein. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg stellt fest: Das Buch ist nicht nur jugendgefährdend, sondern auch volksverhetzend. Anfang 2013 beginnen die Ermittlungen – im Internet. Das LKA findet über Suchmaschinen elf Personen, die das Buch im Netz angeboten haben sollen, darunter Sonja Röder – eine Salafistin?
"In der Tat besteht sicherlich die Möglichkeit, dass hier Personen Beschuldigte sind, die sich vielleicht nicht unbedingt mit dem Inhalt des Buches vertraut gemacht haben. Das muss jetzt im Nachgang natürlich geklärt werden, aber letztlich ist erst einmal jeder dafür verantwortlich, wenn er etwas verkauft, dass er letztlich auch weiß, worum es sich handelt oder zumindest es hätte wissen müssen."
Sagt Stefan Biehl, Pressesprecher der Stuttgarter Staatsanwaltschaft.
"Dann muss man jetzt natürlich klären, bei welchen Personen liegt eine Strafbarkeit wegen Volksverhetzung vor, welche Personen haben tatsächlich gewusst, was für Bücherschriften sie hier zum Verkauf anbieten. Die werden dann entsprechend auch strafrechtlich verfolgt. Und bei allen anderen besteht natürlich die Möglichkeit, dass die Verfahren dann eingestellt werden."
Ein juristisch korrektes Verfahren. Dennoch gibt es auch kritische Stimmen zum Vorgehen der Polizei. Der Netzaktivist mit dem Pseudonym "Padeluun" engagiert sich in der Bielefelder Organisation "Digitalcourage" vor allem für den Datenschutz im Internet.
"Da sieht man auch ein bisschen, wie gefährlich das sein kann, wenn man Polizeien erlaubt, einfach mal so auf digitale Streifenfahrt zu gehen. Man erzeugt sich geradezu Verdächtige. Ich finde, wenn man das schon macht, dann sollte man auch einmal gucken, ist das jetzt wirklich etwas, wo eine Hausdurchsuchung, was ja ein ganz heftiger Grundrechtseingriff ist, ist das wirklich notwendig. Oder reicht es, dass ihr einfach mal den Telefonhörer aufnehmt und die Person entsprechend anruft und euch überhaupt mal ein Bild darüber macht."
Stefan Biehl von der Staatsanwaltschaft Stuttgart hält dagegen.
"Das sind zunächst einmal Personen, die diese Schrift im Internet angeboten haben. Wer genau dahinter steckt, das konnte natürlich so durch die Internetrecherchen und Ermittlungen nicht festgestellt werden. Und auch durch die ansonsten erfolgte Personenabklärung durch die örtlich zuständigen Polizeidienststellen konnte da jetzt auch nicht näher aufgeklärt werden, um was für Personen es sich handelt, welchen Personengruppen die Beschuldigten zuzurechnen sind."
Erst die Durchsuchungen würden Klarheit bringen. Die Staatsanwaltschaft sieht sie als Erfolg: Die Polizei habe immerhin volksverhetzende Schriften aus dem Verkehr ziehen können. Doch für Sonja Röder stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Aktion. Es scheinen dabei eher kleine Fische ins Netz gegangen zu sein, manche, die wohl auch ohne Vorsatz gehandelt haben. Dazu Netzaktivist "Padeluun":
"Wir müssen lernen mit unseren - wie Frau Merkel sagte - "Neuland"-Netzen zu leben, und mit denen zu arbeiten, ohne dass wir uns daraus einen Strick drehen. Wenn ich früher in mein Tagebuch schrieb: 'Mann, dem würde ich aber gern mal die Fensterscheibe einschlagen', dann stand das in meinem Tagebuch. Heute schreibe ich vielleicht so was auf Facebook. Das heißt ja nicht, dass ich das wirklich vorhabe, aber in dem Moment, wo die Sachen abgreifbar sind, wo sie quasi permanent erfasst werden, wo präventiv tief in Daten hineingeguckt wird, wie wir es jetzt beim NSA-Skandal erleben, da fängt es an, dass unsere Gedanken nicht mehr frei sind. Und das ist ganz gefährlich, das darf in einer Demokratie nicht passieren."
Datenschutz einerseits und Schutz vor Islamistenhetze andererseits – um die richtige Balance wird weiter politisch gerungen. Mit den Durchsuchungen jedenfalls wollte die Polizei wohl ein Signal der Abschreckung aussenden. Das ist bei Sonja Röder nachhaltig angekommen.
"Bei einem Poltern auf den Treppen bekommt man wieder vollkommen irrational Herzpochen: Kommt jetzt die zweite Runde? Dann natürlich: Was denken die Mitmieter hier im Haus, die natürlich von dieser Durchsuchung auch mitbekommen haben? Wurde ich vorher observiert, also was wird mir letztlich angehängt?"