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Sally Rooney: „Normale Menschen“
Masochismus und Klassenkampf

Connell ist sportlich, beliebt und Sohn einer Putzfrau. Marianne dagegen hat keine Freunde, ist hochbegabt und reich. Trotzdem verlieben sich beide am College ineinander. Sally Rooney erzählt von einer Jugendliebe im Internetzeitalter, in der Klassenunterschiede immer noch eine große Rolle spielen.

Von Yannic Han Biao Federer |
Die Irische Autorin Sally Rooney
Wird als Literaturstimme der Millennial-Generation bejubelt: Die Irin Sally Rooney (Luchterhand Verlag / © Patrick Bolger Photography)
Connell ist beliebt, gutaussehend, fleißig, ein wenig schweigsam zwar, aber in der Schulmannschaft wird er als Mittelstürmer umjubelt. Marianne dagegen ist Außenseiterin, sie wird beäugt, von manchen gar gehasst. Sie hat keine Freunde, in den Pausen sitzt sie allein in der Kantine und liest Proust. Während sie in der Schulhof-Hierarchie also ganz unten steht und Connell oben, verhält es sich außerhalb der Schule genau umgekehrt. Marianne entstammt einer wohlhabenden Oberschichtsfamilie, die in einer weißen Villa mit Gartenanlage residiert, Connells Mutter dagegen ist alleinerziehende Putzfrau. Was in der Schule keiner weiß: Connells Mutter arbeitet in eben dieser weißen Villa. Sie hat keinen Führerschein, weswegen Connell häufig mit dem Auto vorbeikommt, um sie abzuholen. Und dabei kommen Marianne und Connell sich nahe.
Seine Mutter putzt in der Villa ihrer Eltern
"Ich habe nie gesagt, dass ich dich hasse, sagt er. Das findet ihre Beachtung, und sie schaut auf. Verwirrt hält er weiterhin den Blick von ihr abgewendet, aber aus dem Augenwinkel sieht er trotzdem, dass sie ihn betrachtet. Wenn er mit Marianne redet, hat er den Eindruck, dass zwischen ihnen vollkommene Vertrautheit herrscht. Er könnte ihr alles über sich erzählen, sogar die abgedrehten Sachen, und sie würde sie niemals weitertragen, das weiß er. Mit ihr allein zu sein ist, als würde er eine Tür öffnen, die weg vom normalen Leben führt, und sie dann hinter sich schließen. Er hat keine Angst vor ihr, eigentlich ist sie ziemlich entspannt, aber er fürchtet sich, in ihrer Nähe zu sein, weil er sich dann auf so verwirrende Art verhält und Dinge sagt, die er sonst nie sagen würde."
Es geht nicht nur Connell so, auch Marianne erlebt sich als eine andere in seiner Gegenwart. Die exklusive Intimität, die sie sich ermöglichen, wird ihnen zum Ausweg aus dem starren Korsett der Schulgemeinschaft, in der sich alle wechselseitig beobachten, in der jede Verhaltensweise kommentiert und bewertet zu werden droht. Es ist eine engmaschige Sozialkontrolle aus Erwartungen und Erwartungserwartungen, der sich vor allem Connell ausgeliefert fühlt. Marianne dagegen hat kaum etwas zu verlieren, sie sagt, was sie denkt, kanzelt selbst den Geschichtslehrer ab, der sie ermahnt, nicht aus dem Fenster zu starren: Er solle sich mal nichts vormachen, von ihm werde sie ganz sicher nichts lernen. Connell bewundert sie, kommt sich selbst dagegen umso gefangener vor. Er verleugnet sie, tut als hätte er ebenso wenig mit Marianne zu tun wie die anderen. Eine schreckliche Heuchelei.
Connell verleugnet seine Liebe zur unbeliebten Marianne
"Sieh mal einer an, Marianne, sagt Eric. Sie weiß im ersten Moment nicht, ob er es ernst meint oder ob er sich über sie lustig macht. Alle Jungs sehen sie jetzt an, außer Connell. Ich mein das ernst, sagt Eric. Tolles Kleid, sehr sexy. Rachel fängt an zu lachen, beugt sich vor, um Connell etwas ins Ohr zu sagen. Er wendet das Gesicht etwas ab und lacht nicht mit. Marianne spürt einen Druck im Kopf, und sie möchte schreien oder weinen, um ihn loszuwerden."
Als Connell am Ende des Schuljahrs ausgerechnet mit Rachel zum Abschlussball geht, obwohl sie Marianne gerne und oft gemobbt hat, bricht Marianne den Kontakt ab. Es dauert Monate, bis sie sich in Dublin wiedersehen, jetzt aber unter gänzlich geändertem Vorzeichen. Marianne hatte Connell nämlich überredet, sich wie sie am vornehmen Trinity College zu bewerben, und während Marianne dort endlich unter ihresgleichen ist, kommt Connell sich fremd vor unter all den Söhnen und Töchtern wohlhabender Eltern. Er verkriecht sich in der Bibliothek, bis der Hausmeister die Lichter ausdreht, und erst als seine Mutter ihn überredet, sich endlich auf eine Party zu trauen, begegnet er Marianne wieder – und ihrem neuen Freundeskreis. Sie vergibt ihm, eine Zeit lang leben sie sogar in einer mehr oder weniger explizit benannten Beziehung, und er profitiert von ihrer gut vernetzten Clique, die ihm Jobs verschafft und soziales Prestige.
Buchcover: Sally Rooney: „Normale Menschen“
Buchcover: Sally Rooney: „Normale Menschen“ (Buchcover: Luchterhand Verlag)
"So wie ihre Beziehung in der Schule nach seinen Bedingungen gelaufen war, lief sie jetzt nach ihren ab. Aber sie ist großzügiger, dachte er. Sie ist ein besserer Mensch."
An der Uni ändern sich die Liebes-Machtverhältnisse
Es sind diese Wendungen und Kipp-Momente in der Machtdynamik, die Sally Rooney interessieren und die Marianne und Connell immer wieder neu zu überbrücken haben, da Rooney sie auf immer neue Weise in den Verlauf der Erzählung montiert. Sie manifestieren sich dabei nicht allein im Medium ökonomischer Zusammenhänge, auch die ganz unmittelbaren Unter- und Überordnungsverhältnisse roher Gewalt nimmt Rooney in den Blick, etwa wenn sich nach und nach der Missbrauch und der psychische Terror offenbart, der in Mariannes Familie herrscht und dessen traumatische Wiederholung, zumindest mutmaßlich, Anteil hat an ihrer immer deutlicher sich ausprägenden masochistischen Neigung.
"Kannst du mich schlagen?, fragt sie. Ein paar Sekunden lang hört sie nichts, nicht einmal seinen Atem. Nein, sagt er. Ich glaube nicht, dass ich das möchte. Tut mir leid. Sie sagt nichts. Ist das in Ordnung?, fragt er. Sie sagt immer noch nichts. Willst du aufhören?, fragt er. Sie nickt. Sie spürt, wie sich sein Gewicht von ihr hebt."
Etwas verstörend: der Masochismus der weiblichen Heldin
Rooney steigert Mariannes Unterwerfungslust stellenweise ins Verstörende, fast möchte man einen provozierenden Kontrapunkt zu den feministischen Diskursen der jüngsten Vergangenheit vermuten. Aber man möchte nur fast - und tut es dann nicht. Denn was Mariannes Masochismus letztlich in den Blick rückt, ist nichts als das schauderhafte Grauen der Selbstaufgabe, das in jeder Liebeserklärung steckt.
"Als sie sich voneinander lösten, sah ihr Connell in die Augen und sagte: Ich liebe dich. Sie musste lachen, und ihr Gesicht war rot. Sie befand sich in seiner Macht, er hatte sich entschieden, sie zu erlösen, sie war erlöst. Es passte gar nicht zu ihm, sich in der Öffentlichkeit so zu benehmen, also musste er es absichtlich getan haben, ihr zu Gefallen. Wie seltsam, sich so vollkommen einer anderen Person untergeordnet zu fühlen, und gleichzeitig wie gewöhnlich."
Es ist eine verworrene, manchmal düstere Liebesgeschichte. Als Lesender leidet man mit, ist ganz in Rooneys Hand, und bereut es doch keine Sekunde: ein masochistisches Vergnügen.
Sally Rooney: "Normale Menschen"
aus dem Englischen von Zoë Beck
Luchterhand Literaturverlag, München. 320 Seiten, 20 Euro.