"Mir schien, dass sich auftaten Stimmen, Dass/ Lippen nach Wasser begehrten, Dass/Hände zum Himmel sich reckten./Was für Himmel! Weißer als die Toten Die leise mich immer wecken;/ Mit nackten Füßen schaffen sie's nicht weit./ Gazellen soffen aus den Quellen;/ Durchsuchte Wind die Wacholder,/ Und Zweige erhoben die Sterne?/
Das eben gesprochene Gedicht übertrug, nebenbei bemerkt, Thomas Kling, der dem Gedicht und seinem Autor einen Essay im kürzlich erschienenen Band "Botenstoffe" widmete. Laut Kling hätten wir für einen möglicherweise doch noch interessierten Verlag einen fach- wie sprachkundigen Übersetzer in petto.
In ihrer Dichtung suchten die Hermetiker nach einem mythischen, einem "unschuldigen Land" - Quasimodo wurde in ein solches hineingeboren. Er stammt aus der Nähe von Syrakus auf Sizilien, das im Altertum zur Magna Graecia gehörte. Das Kind wuchs somit unmittelbar an den Quellorten antiker Poesie auf, der Dichter übernahm später vom Hellenismus die Fülle des Lichtes, die geschmeidige Formung der Verse, die Körperbezogenheit wie Körperfreude und die orphische Stimmlage. Jene örtliche Berührung mit lebendiger Tradition war es auch, die Quasimodo zu Übersetzungen klassischer Werke anregte, unter anderem übertrug er ausgewählte griechische Lyrik, Catull, Ovid, Vergil, Sophokles, das Johannesevangelium und Shakespeare.
Während er als staatlicher Baubeamter jahrelang kreuz und quer Italien durchstreifte oder nachdem er im nördlichen Mailand als Literaturprofessor an der Musikhochschule ansässig geworden war, blieb für Quasimodo die Sehnsucht nach dem Land seiner Herkunft deshalb immer eine reale. Doch wenn er von seinem Exil sprach, meinte er mehr die Einsamkeit, die einen Dichter befallt, der im feindseligen Land einer entweihten Sprache lebe, was ihn zur täglichen Mühsal zwänge in Tiefen zu steigen, um geheime Laute zu nähren. Den Hermetikern dienten die Worte nicht nur zur Bezeichnung von Mitteilbarem, sondern jedes Wort galt ihnen, wie schon ihr romantischer Vorläufer Novalis schrieb, als ein Wort der Beschwörung. Das Verschleiernde, Rätselhafte, das man dieser Dichtung missbilligend nachsagte, wollte aber keine überhebliche Distanz zum Leser schaffen. Vielmehr setzten Hermetiker oft ungewöhnliche und dem alltäglichen Gebrauch entgegengesetzte Analogien ein, um die Empfindungs- und Vorstellungskraft der Leser zu mobilisieren. So stellte Quasimodo mit Vorliebe ', ein einziges Adjektiv so genau zwischen zwei Verben oder Substantive, dass beide von dieser Charakterisierung etwas abbekamen. Das hinterließ eine Unsicherheit in der Lektüre, aber auch den Reiz eines ungewöhnlichen emotionalen wie mentalen Echos. Spürbar in der Poesie Quasimodos sind ebenfalls die katholischen Traditionen des Südens, wo Formen des Madonnen- und des Totenkults noch immer im Alltag lebendig waren. Das bewirkte einen unvoreingenommenen begrifflichen Umgang mit Trauer, Erbarmen oder Tod in seinen Gedichten.
Alles das waren Voraussetzungen und Prägungen, die sich auch in den späteren Arbeiten Quasimodos nicht verlieren. Selbst dann nicht, als sich sein poetisches Credo nach den bitteren Erfahrungen des zweiten Weltkrieges noch einmal von Grund auf wandelt. In dem 1947 erschienenen Band "Giorno dopo giorno", jener bereits erwähnte, einzige vollständig ins deutsche übertragene Gedichtzyklus Quasimodos, geht die zunächst abstrakt wahrgenommene in eine zunehmend real zu verarbeitende Welt über. Folglich hieß der nächste erscheinende Band "La vita non e sogno" (Das Leben ist kein Traum). Unter den Einflüssen der Zeit hatte sich für Quasimodo das Leben von einem der Erinnerungen, Sehnsüchte und symbolischen Räume in ein Leben mit radikalen Verantwortlichkeiten verändert. Seine Worte wurden klarer, realistischer, einfacher; sie verloren damit aber auch ein wenig an poetischer Magie und dichterischer Unverwechselbarkeit. Quasimodo zählt zu den seltenen Dichtern, die sich nahtlos zwischen Gegenwart und Vergangenheit - zwischen diesen beiden so unterschiedlichen, ja sich ausschließenden zeitlichen Polen - hin und herbewegten und die ihre poetische Energie aus der Unmittelbarkeit dieser Berührung schöpften. Besonders dafür erhielt er den Nobelpreis zugesprochen, sehr zur Verwunderung der italienischen literarischen Öffentlichkeit, die eher Ungaretti favorisierte. Quasimodo bekam ihre Ablehnung deutlich zu spüren. Und schrieb seitdem kaum noch, sondern reiste in den letzten Jahren seines Lebens rastlos umher. 1968 starb er in Amalfi in der Nähe von Neapel.