Eigentlich hätte man von Beginn an drauf kommen können, das hier will uns was, da ist Bedeutung und Moral drin, auch, wenn es zunächst auch noch so anders daherkommt. Wie schon bei ihrem eher niedlichen als handfesten Armeleutesozialmärchen "The Animals and Children Took to the Street" im letzten Jahr beim Young Directors Project, setzt die schottische Regisseurin Suzanne Andrade ganz dem Namen ihrer Truppe "1927" entsprechend auch in ihrem neuen Stück "Golem" auf die Ästhetik der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts.
Dabei hat sie wieder zusammen mit dem Filmemacher und Designer Paul Barrit auf durchaus faszinierende Weise gezeichnete und animierte Filmsequenzen mit dem Spiel leibhaftiger Schauspieler davor collagiert. Und dazu gesellt sich ein Gestus der sich mischt aus Stummfilm, Cabaret und Music-Hall mit zwei Livemusikerinnen auf der Bühne.
Unmotiviert und ambitionslos, das - so scheint es - zeichnet diese junge Generation aus, die sich hier zusammenfindet, um in einer Backup-Firma die Backups zu "backuppen". Doch einer ist immerhin so clever, dass er sich wie einst in der jüdischen Folklore einem Golem, eine menschenähnliche Figur aus Lehm knetet, die dem Menschen zu Diensten sein soll. Das ist dann tatsächlich auch das einzige Motiv aus dem Roman von Gustav Meyrink von 1915, auf den sich die Produktion zunächst beziehen wollte: das vom Menschen geschöpfte Geschöpf.
Das vom Menschen geschöpfte Geschöpf, das diesem zunächst dient, bevor es sich von ihm emanzipiert und diesem mehr und mehr zeigen wird, wo es lang geht.
Das ist dann schon die zweite Version des Golems, eine, die nicht mehr als klumpige Lehmfigur auf der Leinwand hinter ihrem real existierenden Besitzer einher trottet, sondern eine die flink durch die Luft saust und die Bedürfnisse seiner vermeintlich Schutzbefohlenen erkennt, bevor diese sie überhaupt haben.
Spätestens die dritte Version des Golem, die längst schon in das Menschenhirn implantiert ist, könnte statt Golem auch Google heißen, denn was Suzanne Andrade mit ihrem zunächst einmal so harmlos im gereimten Gestus daherkommenden Comicstrip an die Wand malt, ist die ebenso fürchterliche wie durchaus realistische Vision eines mit den Markt und Konsumgesetzen völlig gleichgeschalteten Menschen. Sicherlich kann man hadern mit dem naiven und manchmal auch arg platten Zugriff dieser Produktion, die trotzdem technisch beeindruckt und sich thematisch immerhin einer schleichenden Gefahr unserer Zeit widmet.
Es war diese Naivität und die dem Kindertheater nicht allzu ferne Ästhetik, die die manchmal schon arg befremdliche Auswahl des Schauspielers und Salzburger Schauspielchefs Sven Eric Bechtolf in den letzten Jahren vornehmlich bestimmt hat. Dass dies in diesem Jahr anders war, hat sicherlich auch mit der Entscheidung zu tun, das Schauspielprogramm fast ganz in das Zeichen des Ersten Weltkriegs zu stellen, dieser Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts und ihrem Beginn vor 100 Jahren.
Erstmalig gab es damit eine thematische Stringenz mit Stücken wie "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus, Ernst Tollers "Hinkemann" oder Ödön von Horvaths "Don Juan kommt aus dem Krieg", naturgemäß zwar auch hier mit ganz unterschiedlichen ästhetischen Ergebnissen und nicht immer gelungenen Umsetzungen, trotzdem lässt die Wahl von Persönlichkeiten wie Katie Mitchell oder Andreas Kriegenburg zumindest die Hoffnung zu, dass sich das Salzburger Schauspielprogramm in den nächsten Jahren seine Regisseure zumindest in der etablierten Elite im deutschsprachigen Raum suchen wird, und nicht mehr so eindeutig mit dem daherhübschelnden und am kommerzgeschmackorientierten Theater etwa aus dem angelsächsischen Raum kokettiert.