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Salzburger Festspiele
Kein Nischendasein für Neue Musik

In einer Schaffenskrise reist die Autorin Ingeborg Bachmann nach Ägypten. Ihre Texte dazu stehen im Zentrum des Musiktheaters "Wüstenbuch" von Beat Furrer, das bei den Salzburger Festspielen halbszenisch aufgeführt worden ist. Dlf-Musikkritiker Jörn Florian Fuchs ist von der Aufführung begeistert.

Jörn Florian Fuchs im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
    Der Komponist und Dirigent Beat Furrer mit dem Klangforum Wien und den Neuen Vocalsolisten Stuttgart bei den Salzburger Festspielen 2018
    Der Komponist und Dirigent Beat Furrer mit dem Klangforum Wien und den Neuen Vocalsolisten Stuttgart bei den Salzburger Festspielen 2018 (Salzburger Festspiele / Marco Borrelli)
    Maja Ellmenreich: Unmittelbar in die Gegenwart holt einen die Musik – die sogenannte Zeitkunst. Denn hören lässt sich nur, was im Moment erklingt. Im Moment erklingt in Salzburg so einiges – bei den Festspielen. Die großen Premieren waren, sind und werden natürlich Thema sein in dieser Sendung. Doch zu meinen, dass nur diese Großereignisse die weltberühmten Festspiele in Mozarts Geburtsstadt ausmachen – da würde man ihnen Unrecht tun. Intendant Markus Hinterhäuser ist schließlich nicht nur Kulturmanager, sondern auch gefeierter Pianist – mit einer besonderen Leidenschaft für die zeitgenössische Musik. Und der räumt Hinterhäuser Zeit und Raum bei seinen Festspielen ein. Deswegen jetzt ein Gespräch über die Konzertreihen in Salzburg – mit unserem Musikkritiker Jörn Florian Fuchs.
    Sind das eigentlich zwei Parallelwelten unter einem Festspieldach? Die Prominenten, Reichen und Schönen strömen zu den großen Premieren - und die Connaisseure zu den Konzertreihen? Oder ist das zu viel Klischee?
    Jörn Florian Fuchs: Also wenn jetzt eine große Mozart-Aufführung ist im großen Festspielhaus und parallel vielleicht auch noch eine Theaterpremiere und dann die zeitgenössische Musik auch noch eine Rolle spielt, ist es tatsächlich so, dass natürlich die Gala-Menschen in Gala-Roben eher zu den großen Aufführungen pilgern. Aber: Was in dem Jahr zu beobachten war und sich in den letzten Jahren auch schon immer wieder unter Hinterhäuser so entwickelt hatte, als er fürs Konzertprogramm früher ja auch allein verantwortlich war - noch nicht Intendant war - ist, dass sich diese "Publikümer" wirklich mischen, und dass wir manchmal dann - zum Beispiel vor der Kollegienkirche, wo sehr viel Neue Musik gespielt wird - auch durchaus sehr gut gekleidete Damen und Herren sehen mit einem "Karte gesucht"-Schild. Also, das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, dass die Neue Musik hier wirklich kein Nischendasein hat.
    Berührende Klavierklänge
    Ellmenreich: Ja, dann blicken wir mal auf diese Neue Musik. Da fallen ja bei dem Programm in diesem Jahr allein schon wegen der Überschriften zwei Schwerpunkte ins Auge: "Zeit mit Ustwolskaja" und "Zeit mit Furrer". Fangen wir an mit der russischen Komponistin Galina Ustwolskaja, vor zwölf Jahren ist sie gestorben. Und ihre Klaviermusik gehört zum Repertoire des Pianisten Hinterhäuser. Ist das jetzt der Grund, warum er ihr posthum einen eigenen Festspielschwerpunkt widmet?
    Fuchs: Also, er hat sie noch kennen gelernt. Und seit vielen Jahren ist er wirklich ein Propagandist für ihr Werk. Das Werk, das sehr überschaubar ist, was die Länge der Stücke betrifft und auch die Anzahl. Man kann in zwei, drei längeren Konzerten eigentlich das Gesamtoeuvre spielen. Und das hat Markus Hinterhäuser mehrfach schon gemacht, unter anderem auch bei den Wiener Festwochen. Und jetzt holt er sie, holt er diese Werke noch mal nach Salzburg. Das hat wirklich den Grund, dass das eine geniale, völlig eigenständige, eigenwillige Komponistin ist, die auch eine eigene Spiritualität in der Musik vermittelt - nicht durch harmlose Minimal-Music-Klänge, sondern ganz im Gegenteil durch Klangeruptionen, durch sehr, sehr raue Klangereignisse. Das ist auch fast etwas Szenisches schon, obwohl es nur Orchester- oder Kammermusik ist, das man erlebt. Und es berührt jeden wirklich existenziell. Und insofern hat das hier zu Recht einen Platz.
    Siemens-Musikpreis als Glücksfall für Salzburg
    Ellmenreich: Eine ganz eigene Musik, das würde man sicher auch über die Musik von Beat Furrer sagen, über den in Österreich lebenden Schweizer Komponisten, der ja gerade erst mit dem Siemens-Musikpreis geehrt wurde und dem hier in Salzburg der zweite Schwerpunkt gewidmet ist. Dieser Siemens-Musikpreis ist sicher Zufall und Glücksfall für die Salzburger Festspiele. Nun hat Beat Furrer in seinem bisher 63jährigen Leben für alle möglichen Gattungen komponiert. Mit welcher Musik wird er vorgestellt in Salzburg?
    Fuchs: Ganz, ganz viele Werke in den unterschiedlichsten Besetzungen. Dazu dann auch noch eine Korrespondenz oder auch eine Reibung mit Barockmusik, mit Zeitgenossen wie Klaus Huber. Aber das Interessanteste vorgestern für mich war das Konzert, das das Musiktheater "Wüstenbuch" in einer eigenen Fassung vorgestellt hat.
    Eine sehr, sehr rhythmische, sehr temporeiche, energiereiche Musik. Es geht inhaltlich um Ingeborg Bachmann und ihre Reise nach Ägypten, die sie in einer Schaffenskrise unternommen hat, da ist sie dort hingefahren. Es gibt allerdings auch Texte von Händl Klaus, ganz Unterschiedliches. Das ist, wenn man es liest, das Libretto, total unverständlich, wird aber hier verständlich, weil Isabel Karajan als Sprecherin, fast schon als Performerin auftritt und Texte von Bachmann liest, so dass man tatsächlich in 80 Minuten eine neue Art des Musiktheaters im Konzertsaal erlebt mit ganz, ganz tollen Klängen. Hörbeispiel: Wir haben gehört die Neuen Vocalsolisten Stuttgart und das Klangforum Wien unter Leitung Furrer.
    Ellmenreich: Sie klingen begeistert, Jörn Florian Fuchs. Entwickelt sich womöglich Salzburg zu einem Neue-Musik-Festival?
    Fuchs: Das wird es nicht geben, weil dann doch der ökonomische Druck zu groß ist, aber die Neue Musik bleibt eine sehr wichtige Sparte. Aber sie wird sicherlich trotzdem eher am Rande bleiben.
    Ellmenreich: Jörn Florian Fuchs über "Zeit mit Ustwolskaja" und "Zeit mit Furrer" – die Neue-Musik-Schwerpunkte bei den diesjährigen Salzburger Festspielen.