Das sei die schlüssigste und stärkste Inszenierung, die er von Hans Neuenfels seit langem gesehen habe, meint unser Kritiker: exakt auf den Punkt erzählt in einer sehr kalten, für Neuenfels ja typischen, aseptischen Ästhetik. Neuenfels packe das Drama um den spielsüchtigen Hermann, seine Angebetete Lisa und eine alte Gräfin, die ein Kartengeheimnis kennt, in eindringliche, dunkel glühende Bilder. Die Kostüme mancher Damen im Reifrock, die an ein Skelett erinnern oder an ein Insekt, wertet er als künstliche Brechungen in einer fast naturalistischen Erzählweise. So wird die Figur der Gräfin, die oft als Geist gedeutet wird, geerdet, indem der womöglich angetrunkene Hermann delirierend und mit Wahnvorstellungen auf dem Boden liegt.
Die große Diva Hanna Schwarz gestaltet die Gräfin-Partie, auch deren Verfall, exzellent; unter der Perücke einer überkandidelten Figur erscheint plötzlich die glatzköpfige alte Frau. Brandon Jovanovich als Hermann führt mit toller, voller Stimme ein Ensemble an, das bis in die kleinsten Partien beste Leistungen bietet. Mariss Jansons entfacht mit dem Leib- und Magen-Stück, das er vor zwei Jahren auch in Amsterdam dirigiert hat, und mit sehr kraftvollen Wiener Philharmonikern Klangpracht und erhält viel Jubel.
Drill und Druck auf die nächste Generation
Aber auch die feinen, melancholischen Momente werden wunderbar gestaltet. Die Chöre - wahre Massen auf der Bühne - sind hier auch Beispiel dafür, wie eine Gesellschaft Druck auf die junge Generation ausübt, die mit harschen Methoden gedrillt und auf Linie gebracht wird. Neuenfels erzählt neben der Kerngeschichte also von gesellschaftlichen Zwängen und bereichert damit diese Inszenierung aus einem Guss. Nach der "Salome" ist "Pique Dame" der zweite Festspieltriumph an der Salzach.