Ein Kerzenmeer dominiert die Bühne, zwischen den Lichtern thront madonnengleich Desdemona, umtanzt von einem Todesengel. Sie erfleht Gnade von ihrem Gemahl, der rasend eifersüchtige Otello meint einen Dämon in ihr zu sehen. Der französische Regisseur Vincent Boussard und sein Kostümbildner Christian Lacroix bescheren den Salzburger Osterfestspielen einen Designer-Otello. Mit seiner Eleganz spricht er ästhetisch an, aber infolge einer steifen Personenregie ist er mehr Installation als Musiktheater.
Auf Peter Ruzickas Konto geht diese Produktion noch nicht. Aber der ehemalige Intendant der sommerlichen Salzburger Festspiele ist wieder in der Mozartstadt angekommen und übernimmt die Geschäfte beim kleineren Schwesternfestival. Der 67-Jährige muss niemandem mehr etwas beweisen; auf der Pressekonferenz, auf der Christian Thielemann das Programm für das kommende Jahr vorstellt, tritt er bescheiden in den Hintergrund. Und erscheint somit als idealer Partner für einen Dirigenten, der sich mit seinen Ideen selbst stark einbringt.
In erster Linie wird sich Ruzickas Arbeit darauf konzentrieren, die zeitgenössische Musik stärker im Programm zu verankern, zudem will er thematische Schwerpunkte ausprägen:
"Wir haben das Thema Shakespeare hier in diesem Jahr, der Otello, da ist der Bezug klar; bei den Konzerten haben wir versucht, in einer Werkfolge Bezugspunkte zu Shakespeare zu finden bis hin zu einer Sinfonie von Hans Werner Henze, die seine Sommernachtstraum-Musik ist. Also eine ganzheitliche Programmgestaltung wird die Devise auch der nächsten Jahre sein."
Zu Ruzickas Aufgaben wird es auch gehören, trotz der gewachsenen Konkurrenzsituation unter den österlichen Musikfestspielen die besten Sänger und Solisten herbeizuschaffen:
"Je frühzeitiger geplant wird und je attraktiver die Zusammenarbeit mit unserem Chefdirigenten Christian Thielemann ist, desto eher wird man Erfolg haben. Thielemann ist nun ein Sängerkenner par excellence und alle Sänger schwärmen von ihm, weil er sehr eingeht auf die Bühne, das ist ein Bonus, der sich auszahlt bei der Verpflichtung von Sängern."
Bei einigen anspruchsvollen Opernpartien, für die nur wenige herausragende Kräfte zur Verfügung stehen, hilft allerdings eine langfristige Planung auch nicht weiter.
Das musste Christian Thielemann bei seinem Otello nach krankheitsbedingten Absagen schmerzlich erfahren. Einspringer José Cura sang sich am Premierenabend angestrengt durch seine Partie, in einigen Szenen kam der Argentinier kaum über das Orchester. Ernüchternd blass blieb trotz solidem Gesang auch der zweite Ersatzmann, Carlos Alvarez. Er gab einen harmlosen, undämonischen Jago.
In Anbetracht solcher Besetzungsprobleme erscheint es wohl dringender denn je, nach vielversprechenden Talenten zu suchen. Peter Ruzicka hat längst bewiesen, dass er sich darauf ebenso gut versteht wie einst der große Sängerentdecker Herbert von Karajan.
"Wir haben unsere Scouts, die reisen auch viel in Europa umher zu den wichtigsten Opernhäusern und machen immer wieder Entdeckungen. In meiner ersten Salzburger Zeit haben wir sehr viele Debüts hier möglich gemacht, zum Beispiel Jonas Kaufmann, der 2003 hier eine Premiere gesungen hat, Frau Garanca war hier und last not least die Netrebko ist entdeckt worden hier in Salzburg."
Ruzickas langjährige Erfahrungen sind freilich auch gefragt, wenn es darum geht, logistisch nicht ganz einfache Ideen umzusetzen. Für die anstehende Jubiläumsausgabe anlässlich des 50-Jährigen Bestehens der Salzburger Osterfestspiele in 2017 konnte er eine einmalige, pikante Konstellation erwirken: Erstmals werden außer der Sächsischen Staatskapelle Dresden zwei weitere mit der Festspielgeschichte verbundene Spitzenorchester dabei sein: Die dem Festival freundschaftlich verbundenen Wiener Philharmoniker sollten nicht das Problem sein. Aber ob die Berliner Philharmoniker, die Salzburg 2012 enttäuscht den Rücken kehrten und in Baden-Baden neue Osterfestspiele ins Leben riefen, einen Auftritt bei der Konkurrenz möglich machen würden, erschien zunächst ungewiss. Umso mehr freute sich Ruzicka über die Zusage:
"Sie haben spontan ja gesagt, haben sogar eine Orchesterabstimmung veranstaltet mit 100-prozentiger Mehrheit, das könnte man sich nicht schöner denken, diesen Gruß an Salzburg."
Mit einem weiteren Knüller wollen Thielemann und Ruzicka zum großen Jubiläum Herbert von Karajan ehren. Deshalb bringen sie das Werk, das der Gründer der Salzburger Osterfestspiele 1967 für seine erste Premiere wählte: Die Walküre von Richard Wagner. Und im Bewusstsein, dass es schwierig werden könnte, dafür einen Karajan-würdigen Regisseur zu finden, entschlossen sie sich für ein besonderes Experiment, das vielleicht Theatergeschichte schreiben könnte. Die faszinierenden damaligen Bühnenbilder von Günther Schneider-Siemssens führten zu der Überlegung:
"Können wir diese Bühnenarbeit nicht rekonstruieren? Wir haben alle Pläne, wir haben uns auch die Rechte besorgt und wir hatten also jetzt diese ästhetische Vision, die Schneider-Siemssen in Zusammenarbeit mit Karajan hatte 1967 neu auf die Bühne bringen, allerdings mit einer zeitgemäßen heutigen Regie von Vera Nemirova."
Allzu oft schon musste sich Christian Thielemann mit uninspirierten, kargen Raumbildern begnügen. So gesehen erscheint die angestrebte Rekreation der Walküre durchaus vielversprechend.
Im diesjährigen Otello muss sich Desdemona zwischen kahlen Wänden im Stehen dem Schlaf ergeben. Zum Glück gelingt Dorothea Röschmann ihr Ave Maria trotz der kalten Atmosphäre ungemein anrührend. Die stärkste Kraft der diesjährigen Eröffnungspremiere bildete die von Christian Thielemann geleitete Sächsische Staatskapelle. Mal mit stürmischem Furor, mal mit knisternd leisem Kontrabassgemurmel beschwor sie aus dem Graben die unheilvolle Dramatik herauf, die man auf der Bühne schmerzlich vermisste.
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