Sarah Bosetti sollte eigentlich umjubelt auf der Bühne stehen und feierlich ihren Preis entgegennehmen, doch aufgrund der Corona-Pandemie war das nun nicht möglich. Daher saß sie in einem Studio in Berlin, über eine Leitung zugeschaltet, sehr viel profaner, als geplant. Trotzdem freut sie sich sehr: "Ich habe Blumen, ein Tetrapack mit Wasser, damit ich nichts über die Technik verschütten kann und einen Preis!"
Den allerdings zunächst rein virtuell. Die Trophäe folgt dann auf dem Postweg.
"Frau Bosetti ist ein Genre für sich", sagte einmal Gerburg Jahnke über sie. Und auch Sarah Bosetti selbst will gar nicht eindeutig benennen oder bezeichnen müssen, was sie tut. "Ich lagere das Problem aus und lasse andere entscheiden", bestimmt sie.
Die 36-Jährige bringt in einem selbstkreierten Stilmix Lesung, Poetry-Slam, Comedy und politisches Kabarett zusammen. In der Radiogala las sie im Studio einige ihrer aktuellen Kolumnen vor, darunter einen Brief an den Virologen Christian Drosten.
Als "Feministin wider Willen" bezeichnet sie sich selbst, denn der Feminismus sei zwar kein Hobby von ihr, aber notwendig. "Wenn wir tatsächlich eine Gleichstellung erreicht haben und er nicht mehr nötig ist, werde ich mich gern wieder anderem zuwenden", erklärte sie." Aber ich rechne nicht damit, dass das noch zu meinen Lebzeiten geschieht."
Hass in Liebe umdichten
Für ihre Auftritte und Äußerungen erhält Sarah Bosetti sehr viel Post, erzählte sie, gern anonym und allzu oft mit sehr viel Wut und Hass versehen. Woher dieser Hass kommt, kann sie auch nicht erklären, aber irgendwann hatte sie beschlossen, nach einer Strategie zu suchen, die Energie, die in solchen Hasskommentaren steckt, in positive Energie umzuwandeln und in Liebeslyrik umzudichten.
"Das nimmt den Kommentaren ihre Macht", erzählte sie. Und genießt die Vorstellung, dass auf diese Weise deutlich wird, wenn Sätze, die ursprünglich dazu gedacht sind, sie einzuschüchtern oder klein zu machen, dazu führen, dass sie sich freut und Spaß daran hat, gemeinsam mit ihrem Publikum. "Wenn etwas besonders böse und absurd ist, denke ich: Sehr gut. Neuer Stoff."
Mehr zur deutschen Gewinnerin Sarah Bosetti finden Sie unter www.sarahbosetti.com
Der Österreicher Florian Scheuba: Sehnsucht nach Live-Auftritten
Der österreichische Preisträger Florian Scheuba meldete sich bei Martin Zingsheim aus einem Studio in Wien. Die Frage, ob ihn, wie einmal behauptet, als einziger Preis nur der Eintrittspreis interessiere, verneinte er vehement: Weil auch er derzeit nicht auftreten darf, brauche er den Preis wie einen Bissen Brot - für den er sehr dankbar sei.
Damit verwies er auf die derzeit schwierige Zeit aller Kulturschaffenden in Österreich und Deutschland. Die aktuelle Situation ohne Auftritte setzt auch dem Wiener Kabarettisten zu: "Wir alle sehnen uns nach dem Publikum."
Und da die Museen und Gottesdienste wieder öffnen dürfen, erwäge die österreichische Kabarettszene schon die Gründung eines Kabarett-Museums oder einer Kabarett-Religion.
Der österreichische Preisträger Florian Scheuba gründete seine erste Kabarettgruppe "Die Hektiker" zusammen mit einem Freund noch während der gemeinsamen Schulzeit. Die Jury attestiert dem Wiener, dass er "penibel recherchiert und die Satire mit der Ernsthaftigkeit eines Aufdeckers betreibt." Florian Scheuba hatte bereits 2011 den Salzburger Stier verliehen bekommen - damals gemeinsam mit dem Autor Rupert Henning und dem Schauspieler Cornelius Obonya für das Kammerstück "Cordoba".
Florian Scheuba bewegt sich lieber außerhalb der Wohlfühlzone - dort, wo die Pointe sitzt, trifft und trotzdem von hohem Unterhaltungswert ist. Das hat damit zu tun, dass Scheuba penibel recherchiert und die Satire mit der Ernsthaftigkeit eines Aufdeckers betreibt.
Als Jugendlicher, erzählte er, habe er vor allem auf der Bühne Spaß haben wollen. Erst später habe er sich überlegt, dies auch mit sinnvollen Inhalten verbinden zu wollen. Auch wenn ihn besonders der Ruf des Aufdeckers auszeichnet, sieht sich der 55-Jährige primär als Kabarettist - dem wohl die Themen auch nicht ausgehen werden.
"Gerade in diesen Zeiten", sagte er, "hat es ja fast schon etwas Beruhigendes, dass sich die Politik nicht wesentlich verändert hat." Im Studio trug er eine seiner aktuellen Kolumen zum Thema Ibiza-Video vor, das wird seiner Einschätzung nach noch für die nächsten zehn Jahre Material liefern.
Mehr zum österreichischen Gewinner des Salzburger Stier 2020 Florian Scheuba finden Sie unter www.florianscheuba.com
Renato Kaiser: "Man hört sich sehr viel zu"
Der Satiriker Renato Kaiser, Kabarettist, Slam Poet, humoristischer Schriftsteller und Comedian, ist der schweizerische Preisträger des Salzburger Stiers. Martin Zingsheim begrüßte ihn in einem Studio in Zürich. Dort saß er angeblich ohne Hosen, das zumindest behauptete er in einem unterhaltsamen Einspieler, den er extra für die Preisverleihung des Salzburger Stiers vorab aufgenommen hatte.
Er ist Präsident des Vereins spoken-word.ch und Gastgeber der Lesebühne "Rauschdichten" in Biel und Bern und der Satire-Show "Kaiser-Schmarren" im Casinotheater Winterthur.
Von der Problematik des Ostschweizers mit dem westschweizer Dialekt bis zum Thematisieren des Flüchtlingsdramas auf dem Mittelmeer lässt Renato Kaisers Interessens-Spektrum kaum etwas aus.
In seiner im letzten Jahr ausgestrahlten TV-Show "Tabu" verbrachte er für jede Folge jeweils vier Tage mit vier Personen, die zu einer Randgruppe zählen, oder als zu einer Minderheit gehörend wahrgenommen werden.
Der Schweizer publiziert die Video-Kolumne 'Kaiserschnitt' auf dem Newsportal watson.ch und alle zwei Wochen ein aktuelles "Kaiservideo" (Facebook und YouTube).
Die unfreiwillig auftrittsfreie Zeit überbrückt der Schweizer mit der Produktion von Videos. "Man ist sich ja selbst immer der erste Zuschauer" sagte er. "Das ist jetzt umso mehr der Fall und im Video extrem: Man hört sich sehr viel zu. Daher kürze ich mich auch noch mehr als sonst."
Die zweite Zuschauerin, erzählte der 35-Jährige, sei seine Freundin. Was für alle nicht ganz einfach sei, aber sie habe ja auch nicht unbedingt die Wahl. Im Gegenzug lasse sie ihn schwitzen und gucke ihn ausdruckslos an, während er voller Inbrunst vortrage und alles gebe. Aber immerhin gebe sie meist am Ende leichthin mit einem beiläufigen "Ja, ist gut" ihr Einverständnis.
Sehr froh ist Renato Kaiser darüber, dass er den "Salzburger Stier" der schweizerischen Jury gewonnen habe.
Mehr zum Salzburger Stier-Gewinner aus der Schweiz Renato Kaiser finden Sie unter www.renatokaiser.ch
Weitere Informationen zu den Preisträgerinnen und Preisträgern und zur Geschichte des Salzburger Stier finden Sie auch unter www.salzburgerstier.org
Sie haben Fragen zum Salzburger Stier 2020 im Deutschlandfunk? Dann mailen Sie uns unter Salzburgerstier@deutschlandfunk.de
Weitere Informationen zu den Preisträgerinnen und Preisträgern und zur Geschichte des Salzburger Stier finden Sie auch unter www.salzburgerstier.org
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