Gestern Abend in der Tiefgarage am Salzburger Hauptbahnhof. Im größten Flüchtlingsnotquartier Salzburgs warten an diesem Abend 250 Menschen auf ihren bevorstehenden Transfer irgendwann in der Nacht Richtung deutsche Grenze. Bis zum frühen Morgen um sieben Uhr muss die Tiefgarage leer sein, es wird desinfiziert und abgesperrt. Der Grund: Die Anfang September eingerichtete Flüchtlingsnotunterkunft ist nicht beheizbar. Eine Notunterkunft für 800 Menschen – nicht mehr nutzbar. Seit Wochen geistert eine Frage durch die Köpfe der Verantwortlichen: Was, wenn Deutschland plötzlich diese Flüchtlinge nicht mehr übernimmt an der Grenze und stattdessen zurückschickt?
"Ich glaube, das wird ein riesen Problem. Das wäre vielleicht im Juli, August kein Problem, in Zelten und so, das hat man ja gesehen in der Alpenstraße hier in Salzburg. Aber jetzt ist bald November und es wird kalt. Die Leute kommen ja teilweise ohne Socken. Und die Kinder – gestern hat ein Kind hier bei mir gestanden nur mit der Windel, ohne Hose, ohne Socken, die Mutter hat es an der Hand gehabt."
Man hätte viel früher die Reißleine ziehen müssen, denkt nicht nur Gruppenführer Manfred Winkler vom Bundesheer. Jetzt kommt die Kälte. Die ersten Skigebiete öffnen. Der Sprecher der Salzburger Landesregierung Franz Wieser gibt sich professionell besonnen:
"Sollte der Grenzdurchfluss längere Zeit zum Stillstand kommen und bei uns ein großer Rückstau anfallen haben wir insofern vorgesorgt, dass in den umliegenden Bezirken weitere Zelte und Plätze für einige tausend Personen innerhalb kurzer Zeit zur Verfügung gestellt werden können und danach wieder ein koordinierter und kontrollierter Abfluss erfolgen kann."
Eher durch einen unbedachten Zufall erfuhr die Öffentlichkeit vor kurzem, dass das Land Salzburg mit Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) trotz aller EU-Sondergipfel an einem Notfallplan arbeitet, falls Deutschland keine Flüchtlinge mehr aufnimmt. Am vergangenen Wochenende wären das 15.000 Menschen gewesen. So hoch war die Zahl der Grenzübertritte an zwei Tagen. Salzburgs Bettenkapazität liegt bei rund 2.000.
"Wir erleben natürlich, dass der Grenzdurchfluss nach Deutschland immer wieder ins Stocken gerät oder die Abfertigung an der Grenze völlig zum Stillstand kommt. Für diese Situationen haben wir uns vorbereitet und haben direkt zur Grenze nach Freilassing ein Durchlaufquartier für cirka 300 Personen, die wir dort betreuen und auch für kürzere Zeit versorgen können."
Wie brisant die Situation tatsächlich eingeschätzt wird bei der Landesregierung zeigt die Tatsache, dass der Sprecher des Landeshauptmanns keine detaillierten Angaben zum Notfallplan herausgibt, wo die geplanten Unterkünfte aufgebaut werden könnten - im Fall des Falles. Man möchte keine Proteste der Bürger vorzeitig heraufbeschwören, Bürgerinitiativen gegen Flüchtlingsquartiere werden befürchtet.
"Es gibt einen Notfallplan, aber der hat seine Grenzen, weil hier zum Teil Kapazitäten vorgehalten werden, die gar nicht existieren."
"Wir wollen die Deutschen nicht provozieren"
Salzburgs Bürgermeister Heinz Schaden sieht seine Lage realistisch. Entgegen der beschwichtigenden Worte aus der Landesregierung rumort es hinter den Kulissen mächtig. Gegenseitige Schuldzuweisungen beeinträchtigen das Verhältnis zwischen der Landeshauptstadt Salzburg, der Polizei und der Bundesregierung in Wien mit der zuständigen Verkehrsleitzentrale VLZ. Erst am Wochenende sprach Salzburgs Bürgermeister Heinz Schaden von einer gezielten Provokation aus Wien. Ohne Absprache waren sämtliche in Salzburg untergebrachten knapp 1.500 Asylsuchende an einem einzigen Tag nach Deutschland eskortiert worden. Man habe eine Eskalation verhindern wollen, heißt es von der einen Seite. Deutschland sollte damit unter Druck gesetzt werden, glaubt der Bürgermeister:
"Wessen Entscheidung das letztlich auch immer war, jedenfalls die Entscheidung tausend Leute in Bewegung zu setzen und zur Grenze zu eskortieren - absolut kontraproduktiv. Wir legen größten Wert darauf, die Deutschen nicht zu provozieren, sondern mit ihnen gut zusammenzuarbeiten und das ist auch die Sichtweise aller, die hier vernünftig mit der Krise umgehen wollen."
Mit Blick auf das Wiener Innenministerium wird Salzburgs Bürgermeister noch deutlicher:
"Dort wird die wirklich abenteuerliche Ansicht manchmal vertreten, wenn wir nur Druck auf die Deutschen ausüben, dann werden die Deutschen ganz beeindruckt sein und nachgeben. Das kriegt man aus den Köpfen nicht raus."
Schaden appelliert deshalb an Deutschlands. "Wenn man jetzt die Grenze dicht machen würde, steht Österreich mit dem Rücken zur Wand". Von Slowenien drängen die nächsten Flüchtlinge nach, von Kroatien, von Griechenland. Da helfen auch die geplanten Transitzonen nicht. Die Abfertigung würde nur länger dauern und das auf österreichischem Gebiet. Vom Land Salzburg heißt es, man gehe davon aus, dass der Notfallplan Grenzschließung nicht aktiviert werden müsse.