"Dann möchte ich Sie jetzt recht herzlich in Salzwedel begrüßen in unserer Baumkuchenbäckerei. Sie sind hier in der Ersten Salzwedeler Baumkuchenfabrik der Familie Hennig. Herzlich willkommen."
Heike Hennig steht neben einem gemauerten Steinofen am offenen Feuer. Im Hintergrund schlagen Rührmaschinen eine Eiweiß-Zuckermischung. Rund 40 Besucher und Besucherinnen drängen in die Backstube, die sich zwar Fabrik nennt, doch recht klein und familiär wirkt. Zehn Mitarbeiter gehören dazu, sagt Heike Hennig. Die Hälfte ist Familie und die andere Hälfte fast auch schon, lacht sie.
Während Rosie im Hintergrund die Eier per Hand trennt, bahnt sich Bäcker Achim mit einer großen Metallschüssel seinen Weg durch die Besuchergruppe zum Ofen. Er gießt die steife Eiweiß-Zucker-Masse auf die Eigelb- Butter-, Mehl-, Gewürzmischung in die Auffangschale unterhalb des Feuers.
"Baumkuchenbacken ist backen nach Gefühl"
"Und erst hier in dieser heißen Auffangwanne verflüssigt sich die Masse und kann überhaupt erst aufgetragen werden. Und das halt alles ohne Konservierungsstoffe, ohne chemische Zusätze"
Und ohne Backpulver. Baumkuchenbacken ist backen nach Gefühl, sagt der Bäcker. Es gibt kein Thermometer am Ofen und auch wie viel Masse er zum Übergießen nimmt, liegt in seiner Hand. Er lässt die Kelle in die dicke Flüssigkeit gleiten und gießt sie auf die sich drehende Holzwalze. Das ist in diesem Fall die Backform, erklärt Heike Hennig:
"Unser Baumkuchen wird um die Backform herum gebacken. Das ist eine gedrechselte Kuchenholzwalze, die haben wir mit Papier umwickelt. Dieses Papier dient uns nachher als Trennschicht, damit wir den Kuchen auch heil wieder von der Walze herunter bekommen. Und so vorbereitet wird die Walze in den Ofen eingehängt.
Und jetzt sehen Sie hier, dass das so Baumkuchenringe sind und nun weiß man nicht wie entsteht das denn auf der Walze. Das geht ganz einfach, der Bäcker setzt ganz am Anfang immer nur einzelne Teigringe auf das Papier. Immer 11 Stück sind auf jeder Walze. Und wenn diese einzelnen Ringe schön ausgeprägt sind, erst dann bekommt der Kuchen seine erste vollständige Schicht."
Nach 8 bis10 übereinander gebackenen Schichten ist er dann fertig. Das dauert 20 Minuten. So lange können wir hier nicht stehen bleiben. In Winterjacke und Schal ist es einfach zu heiß.
"Da, wo der Kuchen sich dreht, sind um die 300 Grad. Und wo unsere Bäcker hier am Ofen stehen, um den Kuchen überzukellen sind immer noch um die 60, manchmal auch bis 70 Grad."
"Kuchen backen am Stock - so wie Schwein am Spieß"
Um Brandblasen zu vermeiden, taucht der Bäcker seine Hand vor dem sogenannten Überkellen in eine Wasserschüssel. Ist der Baumkuchen fertig, wird er mit Eisenhaken aus dem Ofen gehoben und muss über Nacht auskühlen, bevor er mit einer Glasur überzogen werden kann.
- "Wie ist man denn auf diese Idee gekommen?"
- "Ich glaube, dass das Baumkuchenbacken eine sehr kultivierte Form ist, von was sehr Archaischem. Kuchen backen am Stock, so wie Schwein am Spieß. Ich denke, das hat eine sehr alte Wurzel."
- "Ich glaube, dass das Baumkuchenbacken eine sehr kultivierte Form ist, von was sehr Archaischem. Kuchen backen am Stock, so wie Schwein am Spieß. Ich denke, das hat eine sehr alte Wurzel."
1807 kam Bäcker Andreas Fritz Schernikow von seiner Wanderschaft zurück nach Salzwedel und brachte ein Baumkuchenrezept mit. Woher es stammte, ist nicht bekannt. Es ging von einer Generation auf die nächste über. Schernikows Sohn wurde königlicher Hoflieferant.
"Bis dann unser Vorgänger Fritz Kruse, die Familie Kruse die Rezeptur innehatte. Er hatte vor Gründung der DDR das Monopol hier auf Baumkuchenbacken. Und als die DDR dann gegründet werden sollte, ging man hier im Land herum und hat geguckt, welche Betriebe sich denn gut eignen würden, um die DDR-Wirtschaft im Schwung zu bringen."
Das Baumkuchenunternehmen sollte Volkseigentum werden. Fritz Kruse weigerte sich und wurde zwangsenteignet. Seine Tochter Gertrud durfte Geschäftsführerin des Betriebs bleiben. Ihr Konditor Oskar Hennig hatte von Fritz Kruse das Baumkuchenhandwerk gelernt und war mit Gertrud freundschaftlich verbunden.
"Wir waren ihre Familie und umgekehrt. Bevor sie 1984 verstorben ist, war ja noch DDR-Zeit, hat sie meine Eltern vorsorglich als ihre Universalerben eingesetzt. Mit den Worten: Ich glaube fest daran, dass Deutschland mal wieder ein Land wird. Wenn das passiert, ich weiß nicht wann und ihr das noch könnt und machen wollt, dann nehmt die Originalrezeptur und backt wieder unseren Schernikow-Baumkuchen."
Jahrzehntelanges Versteck: Rezeptur lagerte in einer Steinwand
In der Kriegs- und Nachkriegszeit und auch zu DDR-Zeiten wurde das Rezept verändert. Zum Beispiel Margarine statt Butter oder auch Eipulver statt Frischei. Nach der Wende wurde wieder nach dem Originalrezept von 1807 gebacken. Oskar Hennig wusste, wo es war:
"Die Originalrezeptur war die ganze Zeit über in dem Kruse-Haus. Das ist ein großes Haus und hatte zwei Böden. In dem obersten Spitzboden war die Rezeptur in einem Stein versteckt. Man konnte den Stein aus der Wand ziehen, da war das Rezeptbuch hinter."
Das genaue Rezept sei natürlich geheim, schmunzelt Heike Hennig. Die Gewürzmischung mache den Unterschied. Die Besucher und Besucherinnen probieren. Baumkuchen in verschiedenen Variationen. Zum Beispiel pur, mit Schokolade oder mit Fondant, der Zuckerglasur. Wichtig sei: das richtige Aufschneiden des Kuchens, der bis zu 60 cm hoch sein kann. Zum Beispiel als beliebter Altmärker Hochzeitskuchen.
"Baumkuchen wird sehr elegant in Schollen immer im Kreis herum, von oben nach unten, abgetragen. Ich finde die Schneidweise genial, die Stücke sehen dekorativ aus, man kann die Maserungen sehen."
- "Der Baumkuchen ist lecker, aber das weiße Fondant ist mir zu süß. Ich liebe ja Zartbitter, das ist lecker."
- "Also mir schmeckt er auch so, muss ich sagen. Ich esse das erste Mal Baumkuchen und mir schmeckt er auch mit dem Weißen."
- "Also mir schmeckt er auch so, muss ich sagen. Ich esse das erste Mal Baumkuchen und mir schmeckt er auch mit dem Weißen."
Heute gibt es verschiedene Baumkuchenanbieter in Salzwedel.
"Über die 40 Jahre DDR hat sich natürlich diese verteilte Nachkriegsrezeptur verselbstständigt. Jeder hat versucht, das besser zu machen und so sind verschiedene Rezepturen in der Gegend entstanden."
Ein Hauch von Mittelalter und Hansezeit
Über Kopfsteinpflaster schlendern wir durch Salzwedel. Der Baumkuchen ist überall präsent. Ob in Cafés hinter Fachwerkfassaden oder auf dem Weihnachtsmarkt an der Mönchskirche. Gaby Mohaupt von der Salzwedeler Touristeninformation teilt die Besucher in zwei Gruppen:
"Das sind einmal die, die wegen des Baumkuchens hierher kommen, dann erst sehen, wie schön die Stadt Salzwedel ist. Wir haben nämlich ein geschlossenes Altstadt-Ensemble in unserer Stadt. Und die anderen Touristen sind die, die herkommen, um sich die Fachwerkhäuser und das Backstein anzusehen und dann erst was vom Baumkuchen erfahren."
Wir gehören zur ersten Gruppe und sind enttäuscht, dass wir so spät nach Salzwedel aufgebrochen sind. Allein 700 unter Denkmalschutz stehende Fachwerkhäuser hat Salzwedel, erzählt Gaby Mohaupt. Langsam wird es dunkel. Die letzte Chance für heute, noch etwas zu sehen, ist die Aussicht von diesem Turm, sagt sie und zeigt zur rückwertigen Tür der Touristenzentrale. Da hindurch geht es zum achteckigen Turm des ehemaligen Renaissance-Rathauses der Neustadt. Bis zur 25 Meter hohen Aussichtsplattform sind es 120 Stufen.
Ein Hauch von Mittelalter und Hansezeit umweht uns hier oben. Wir sollten wieder kommen. Am Tage und wenn es wärmer ist. Hier oben steht uns der Sinn eher nach einem heißen Getränk. Und gegen einen Baumkuchen hätten wir natürlich auch nichts.
"Zu einer schönen Tasse Kaffee, Mokka, Tee, Kakao. Baumkuchen passt auch zu einem schönen Glas Rotwein oder jetzt zu einem Glühwein."