Fabian Elsäßer: Die männliche Adele, so hat man Sam Smith schon mal tituliert. Mit seinem Debüt "In the Lonely Hour" wurde er im Jahr 2014 über Nacht zum erfolgreichsten britischen Soulsänger. Er durfte sogar den Titelsong des jüngsten James-Bond-Films machen: "Writing's on the Wall". Und diesen Freitag ist sein zweites Album erschienen: "The Thrill of It All" damit will er nun zum internationalen Superstar werden. Mein Kollege Jens Balzer hat es schon gehört für das Corso Musikmagazin. Hallo erst mal.
Jens Balzer: Hallo, schönen guten Tag.
Smith klingt weniger britisch
Elsäßer: Herr Balzer, tja, was lässt sich sagen über dieses zweite Album von Sam Smith? Wie klingt das denn?
Balzer: Ja, Sie haben es schon gesagt: Er will damit jetzt offensichtlich zum internationalen Superstar werden. Das heißt: Es klingt noch weniger - ich sage mal "britisch" als zu seinen Anfängen. Da versucht er sich ja noch, in so eine britische Dancefloor-Plus-Soul-Tradition zu stellen, auch mit Unterstützung von damals jungen Produzenten wie Disclosure, die inzwischen selber zu Superstars geworden sind. Nun hat er aber offensichtlich die Idee - auch die korrekte Idee: Wer international groß werden will, muss erst mal den amerikanischen Markt erobern. Daran sind ja schon viele britische Künstler gescheitert. Ich sage mal: Stichwort Robbie Williams. Er und seine Produzenten und Songschreiber haben jedenfalls versucht, die Soul-Elemente, die es bei ihm immer schon gab, noch "amerikanischer" zu machen, also noch wuchtiger und gospelhafter. Religion spielt auch in den Texten eine weit größere Rolle - wie in dem Stück "Pray".
Es sind ansonsten viele, na sagen wir mal, Rockballaden mit Streichern zu hören, die man auch so aus dem Formatradio-Programm US-amerikanischer Sender gut kennt. Es gibt ein schunkelndes Doo-Wop-Stück und hier und da ein Saxofonsolo. Ich finde das alles insgesamt nicht unangenehm und manchmal auch ganz kompetent gemacht - also gerade was das "tear jerking", das Tränendrüsen-Drücken angeht. Aber auf Dauer ist dann der Zucker- und Glutamatgehalt doch relativ hoch.
Elsäßer: Also: Achtung - Kitschgefahr?
Balzer: Ja - ach, ich meine, es ist immer die Frage, wo der Kitsch anfängt. Also er will wirklich auf Nummer sicher gehen. Oder sagen wir mal: seine Produzenten oder welche Gremien da auch immer so im Hintergrund arbeiten bei einem der wenigen Künstler der Generation, die sich vielleicht überhaupt noch zum Superstar aufbauen lassen. Die versuchen halt alles richtig zu machen und drücken dann, meines Erachtens immer ein bisschen zu sehr auf das Gaspedal.
"In einer gewissen Dosis ganz angenehm"
Elsäßer: Sie haben gerade schon das Thema Religion angesprochen. Wovon handeln die Songs sonst? Gibt es so etwas wie einen roten Faden?
Balzer: Naja, wie es bei ihm eigentlich länger schon ist, handeln die erst einmal vom Abschiednehmen. Er ist so ein großer Herzschmerz-, Trennungsballaden-Experte. Es gab ja schon vor ein paar Wochen die erste Single zu hören: "Too Good at Goodbyes" hieß die da. Da bittet er sich gewissermaßen selbst um Entschuldigung dafür, dass er von einem geliebten Menschen immer wieder Abschied nimmt und sich von ihm Stück für Stück immer weiter entfernt. Und auch immer mehr Schmerzen zufügt. Aber er kann dann irgendwie nicht anders. Dann gibt es ein anderes Stück, das heißt "Midnight Train". Da hat er gerade Abschied genommen und fährt dann in demselben "Midnight Train" durch die Nacht in die Fremde.
Es gibt einen "One Last Song", den er für einen geliebten Menschen singt und ein Stück namens "Burning", in dem er den beklagenswerten Gefühlszustand nach der Trennung beschreibt. Also es hat doch einen sehr starken Zug ins - na, ich hätte fast gesagt ins Wehleidige, Verjammerte. Aber das durchaus mit so großen Gesten, die - zumindest, wenn man so zwei, drei Songs zur Zeit anhört oder nur in einer gewissen Dosis - dann ganz angenehm ist.
Entschuldigung beim Vater und dem lieben Gott
Elsäßer: Jetzt hat sich Sam Smith in der Zeit zwischen dem ersten und diesem zweiten Album geoutet als homosexuell. Ist das auch ein Thema auf diesem Album?
Balzer: Ja, es gibt einen Song, der ist am Ende der ersten Hälfte. Also da, wo man gewissermaßen bei einer Vinylplatte umdrehen würde danach. Da nimmt das Album dann wirklich eine ganz erstaunliche Wendung. Ich hatte schon gesagt, es wird sich viel entschuldigt auf dieser Platte. Und da, in diesem Song entschuldigt er sich dann zunächst bei seinem Vater und dann auch noch beim lieben Gott dafür, dass er schwul geworden ist. Das Stück heißt "HIM" und da gibt es Zeilen wie: "I'm not the boy that / You thought you wanted / Please don't get angry / Have faith in me". Also: Ich bin nicht der Junge, den du haben wolltest, aber bitte glaube trotzdem an mich und sei mir nicht böse. Das ist sowohl an den lieben Gott als auch an den Vater gerichtet. Und wofür er sich entschuldigt, ist halt, dass er Männer liebt: "It is him I love". Und da habe ich mich jetzt schon gefragt, ob man da jetzt der schwulen Emanzipation nicht vielleicht eher einen Bärendienst erweist.
Elsäßer: Ja, da waren wir doch im Pop schon wesentlich weiter.
Balzer: Ja, würde man denken. Ich persönlich würde auch sagen: Wenn der liebe Gott ein Problem damit hat, dass ich schwul bin, dann ist das das Problem des lieben Gottes. Also gerade bei britischen schwulen Sängern, denken wir an Bronski Beat, also eine der ersten, wirklich großen Empowerment-Hymnen "Smalltown Boy".
Elsäßer: Jimmy Somerville.
Balzer: Genau, Jimmy Somerville. Die waren schon vor 35 Jahren weiter. Vielleicht hängt das ja auch damit zusammen, dass er eben den amerikanischen Markt erobern will. Und das heißt ja auch, das Mainstream-Massen-Publikum, sagen wir mal im mittleren Westen … wenn man da mit so einer schwulen Coming-out- Empowerment-Hymne ankommt, muss man doch vielleicht erst einmal so ganz unterwürfig angewedelt kommen.
"Auch bei Adele gibt es ja viel Herzschmerz, aber die entschuldigt sich nie für irgendetwas"
Elsäßer: Dieser Adele-Vergleich, der klebt ja schon so ein bisschen an ihm wie der Zucker, den man in diesem Album hört.
Balzer: Ja.
Elsäßer: Ist er denn berechtigt?
Balzer: Ja, ich finde ja, dass Adele gar nicht so viel Zucker hat, klanglich. Sie hat natürlich auch diese großen Gesten, die er, finde ich - es gab so ein kleines Showcase vor ein paar Wochen hier in Berlin … Wenn man ihn live sieht, dann finde ich, ist er Adele wesentlich näher als auf Platte. Man hat hier, wie so oft, das Gefühl, dass hier zu viele Köche den Brei verderben, zu viele Produzenten darin herumgerührt haben. Insofern kommt er mir dann doch weniger authentisch vor, um mal dieses Wort zu bemühen, als Adele auf ihren Platten. Und das Interessante ist - um jetzt noch einmal auf diese Entschuldigungs-Nummer zurückzukommen: Auch bei Adele gibt es ja viel Herzschmerz und Liebesleid-Geschichten, aber die entschuldigt sich eigentlich nie für irgendetwas. Wenn sie verlassen wird, ist sie sich ganz sicher, dass der Typ mit der nächsten Freundin viel unglücklicher wird als mit ihr. Und wenn sie jemanden verlässt, dann ist sie eigentlich nur daran interessiert, das mit dem später noch einmal zu klären, damit da keine harten Gefühle übrig bleiben. Aber ansonsten ist sie so ganz die souveräne, selbstbestimmte Frau, während Sam Smith das eher so aus der Perspektive des verjammerten Wims, wie man früher gesagt hätte, alles angeht.
Elsäßer: Des Weicheis.
Balzer: Des Weicheis. Das ist schon ganz interessant: Das britische Königspaar des Retro-Soul, Adele und Sam Smith - da haben wir einmal die starke, souveräne - also bis zur Margaret-Thatcherhaftigkeit - selbstkontrollierte Frau. Und dann so den leicht verjammerten Typ, der für alles "Sorry" sagt. Das sagt sicher etwas über die Geschlechterverhältnisse der Gegenwart aus. Das überlasse ich mal den Analytikern.
"Ein rundes, schmalziges Kompaktpaket aus Wohlfühl-Soul"
Elsäßer: Eine Frage noch zum Schluss: Kann es sein, dass Sam Smith sich als Solo-Künstler wesentlich weniger traut als zum Beispiel, wenn er mit anderen zusammenarbeitet? Sie haben ja vorhin schon das Produzenten-Duo Disclosure erwähnt.
Balzer: Ich glaube, der ist jetzt einfach auf so einer Karrierelinie, wo er dann auch gar nicht mehr so selbst Herr seiner klanglichen Integrität ist. Was hier interessant war, dass er in den ersten Versuchen 2012, 2013 mit seiner schweren erdigen Soul-Stimme eigentlich immer einen ganz guten Kontrast zu diesen ja doch relativ futuristischen Beats abgeben konnte, die ihm von Disclosure geliefert wurden. Dieser Kontrast fehlt einfach. Also ist die Frage, was man jetzt als Hörer oder als Hörerin lieber mag. Also mir persönlich ist so eine Musik, die innerlich gespannt-dynamisch und vielleicht auch von gewissen Brüchen durchzogen ist, immer viel lieber als so ein rundes, schmalziges Kompaktpaket aus Wohlfühl-Soul. Aber wenn man sich für Letzteres entscheidet, auch zu Gunsten der Massenwirksamkeit, dann ist Sam Smith in der richtigen Richtung unterwegs.
Elsäßer: Wenig Kanten, viele Wohlfühl-Momente auf dem neuen, auf dem zweiten Album von Sam Smith: "The Thrill of It All", das gestern erschienen ist. Jens Balzer hat es für das Corso Musikmagazin gehört. Herzlichen Dank!
Balzer: Danke schön!
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Sam Smith: "The Thrill of It All" ist bei Capitol Records erschienen.