Manfred Stolpe, Matthias Platzeck, Dietmar Woidke – SPD-Ministerpräsidenten in Brandenburg. Das einzige ostdeutsche Bundesland, in dem die Sozialdemokraten – seit der Neugründung 1990 - durchgängig die Regierungschefs stellen und regieren. Und dennoch – so schreiben die Autoren Astrid Lorenz und Hendrik Träger – in ihrem Beitrag im Sammelband "Rechtsparteien in Brandenburg" ist es das Bundesland "mit dem höchsten Anteil politisch motivierter Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund". Im roten Brandenburg haben Rechtsaußenparteien also immer eine große Rolle gespielt, weshalb sich die Herausgeber Gideon Botsch und Christoph Schulze vorgenommen haben, einen geschichtlichen Abriss der Rechtsaußenparteien – also der Parteien rechts der CDU und FDP – vorzulegen.
Den Autoren geht es um die gesellschaftliche Verankerung der Parteien in der Öffentlichkeit. Wie haben sie mobilisiert, was unterscheidet sie programmatisch, gab es regionale Schwerpunkte, welche Erfolge hatten sie bei Kommunal-, Landtags-, Bundestags-, oder Europawahlen. Insgesamt geht es um 23 Organisationen im Zeitraum seit 1990, die die Autorinnen in den Blick nehmen.
"Die Hochburgen entstanden vor allem in den peripheren Regionen im Osten und Südosten Brandenburgs, wo die Grenze zu Polen in der Nähe ist und teilweise den Alltag der Bevölkerung beeinflusst, wo die anderen Parteien aufgrund niedriger Mitgliederbestände nur in sehr begrenztem Umfang über Organisationsstrukturen vor Ort verfügen und deshalb kaum sichtbar sind und wo die Menschen spezifische politische Probleme wahrnehmen. In dieser Hinsicht ähnelt die Struktur in Brandenburg jener in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und in Ostmitteleuropa", resümieren die Wissenschaftlerin Astrid Lorenz und ihr Kollege Hendrik Träger vom Institut für Politikwissenschaften der Universität Leipzig.
Geschichtlicher Abriss der rechten Kleinparteien
In zehn Beiträgen wurde ein geschichtlicher Abriss der rechten Klein- und Kleinstparteien vorgelegt. Man beginnt mit einer Art Vogelperspektive auf das Land Brandenburg. Analysiert Wahlergebnisse, die Strukturen und betrachtet die Motivation von Wählerinnen der Parteien am rechten Rand. Um sich dann in die Tiefen zu begeben, also die Froschperspektive einzunehmen.
Es werden die rechten Parteien porträtiert, die in der politischen Geschichte Brandenburgs seit 1990 und bis jetzt eine Rolle spielten. Es geht unter anderen um die Republikaner, die NPD, die DVU - die immerhin zwei Legislaturperioden im Potsdamer Landtag vertreten war. Aber es geht auch um die Offensive D – besser bekannt unter dem Namen Schill-Partei oder die 2004 gegründete 50Plus – Bürger- und Wählerinitiative Brandenburg. Eine Anti-Establishment–Bewegung, die sich der DDR-Nostalgie bedient. Eine fundamentaloppositionelle, rechtspopulistische Bewegung, wie sie auch heute in der Programmatik der AfD zu finden ist.
"Die brandenburgischen Rechtsparteien entwickelten im Lauf der Jahre ein steigendes ostdeutsches Selbstbewusstsein. Blieb die DSU stets eine Ostpartei, so zeigte sich aber auch bei den Republikanern frühzeitig eine gewisse Renitenz gegenüber der ‚Bevormundung aus dem Westen‘. Dagegen forcierten bürgerlich-rechte Milieus aus Brandenburg selbst die Einfuhr des westdeutschen Projekts Schill-Partei zu Beginn der 2000er; als dieses in Hamburg in eine Sackgasse geriet, erprobte die Brandenburger Offensive neue und eigenständige Formen der Mobilisierung. 50Plus war dann in der zweiten Hälfte der 2000er eine rein brandenburgische Gründung, die den Schulterschluss mit ‚Bürgerbewegungen‘ auf der Straße und im kommunalen Bereich deutlich erfolgreicher vollzog. So bereiteten die Rechtsparteien den Politikstil der hiesigen AfD mit vor."
Herausgeber Gideon Botsch in seinem Beitrag im Sammelband.
AfD nutzt wie keine andere Rechtsaußenpartei die Potenziale im Land
Wer – mit Blick auf die Bundestagswahlen im Herbst – die Erfolge der AfD im Osten verstehen möchte, müsse auch ihre Vorgeschichte, d.h. ihre Vorläufer in den Blick nehmen. Die AfD kam eben nicht aus dem Nichts, sondern konnte auf die parteipolitische Arbeit der Rechtsaußenparteien setzen, sagt Mitherausgeber Christoph Schulze.
"Es wurde das aufgesogen, was jahrelang aufgebaut, erprobt worden ist. Es wird in einem neuen und größeren Maßstab umgesetzt. Die AfD hat es vermocht, wie noch keine andere Rechtsaußen-Partei vor ihr, die Potentiale für eine Rechtsaußenpolitik im Land zu erkennen, anzusprechen, zu nutzen und umzusetzen. Alexander Gauland hat die Öffnung der Partei zum Rechtsextremismus betrieben, hat sie in den Rechtsextremismus hineingeführt."
Der Sammelband ist eine leserliche Abhandlung. Wenig Neues. Für Leserinnen, die sich nicht in den Verästelungen der Rechtsaußenparteien in Brandenburg auskennen, eine enzyklopädische Wissens-Sammlung zu den verschiedenen Facetten der Rechtsparteien in Brandenburg.
Der vorliegende Band legt aber auch die Fehlstellen in der Wissenschaft offen, wie im Aufsatz von Astrid Lorenz und Hendrik Träger.
"Der Forschungsbedarf zum Thema ist beträchtlich. Die dominierenden quantitativen Studien müssen durch qualitative Studien zu gesellschaftlichen Einstellungen gerade auch in der ländlichen Peripherie ergänzt werden. Strukturell werden die dünner besiedelten ländlichen Räume auch von der Wissenschaft weniger erfasst. […] Um Kausalitätsmechanismen besser zu verstehen, wären auch Vergleiche zwischen Regionen und Bundesländern sowie im postsozialistischen Raum dringend nötig."
Dringend nötig wäre aber auch ein genaueres Lektorat, so haben sich in den Texten sprachliche Ungenauigkeiten eingeschlichen. Aber das tut letztlich dem Inhalt keinen Abbruch, es handelt sich um eine fundierte Betrachtung der Rechtsparteien in Brandenburg. Ein Nachschlagewerk, das im Bücherregal von politisch interessierten Brandenburgerinnen nicht fehlen darf.
Gideon Botsch, Christoph Schulze (Hg.): "Rechtsparteien in Brandenburg. Zwischen Wahlalternative und Neonazismus, 1990 - 2020"
Be.bra Verlag, 352 Seiten, 24 Euro.
Be.bra Verlag, 352 Seiten, 24 Euro.