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Samuel Beckett in Deutschland

Dass Samuel Beckett während seines Aufenthaltes in Nazideutschland 1937 ein Tagebuch schrieb, war Insidern spätestens nach dem Tode des irischen Dramatikers bekannt. Nun scheint das Eis gebrochen, als erster Teil der ''German Diaries'' soll jetzt das Hamburger Kapitel erscheinen, in einer kleinen, bibliophilen Edition der Hamburger Raamin-Presse. Erika Tophoven kennt die Tagebücher aus erster Hand.

Die Beckett-Übersetzerin Erika Tophoven im Gespräch | 23.09.2003
    DLR: Sie haben - zusammen mit Ihrem Mann Elmar Tophoven - seit den späten 50er Jahren Beckett ins Deutsche übertragen; Sie kennen die Tagebücher mittlerweile aus erster Hand. Wie haben Sie den strengen Erben und Nachlass-Verwalter Edward Beckett davon überzeugen können, einer Veröffentlichung jetzt zuzustimmen?

    Tophoven: Ja, da muss ich sofort sagen, dass ja der Nachlass bei den Editions de Minuit lag, bei dem französischen Verleger, und solange Jérome Lindon noch lebte, der ist vor zwei oder drei Jahren gestorben. Bis dahin war es so zusagend unmöglich, an die Tagebücher heranzukommen, weil er auf keinen Fall wollte, dass sie veröffentlicht werden. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass es eben ein französischer Verleger war, die Tagebücher sind englisch geschrieben, handschriftlich, sehr, sehr schwer lesbar, dass im Grunde genommen niemand wusste, was überhaupt in diesen Tagebüchern stand.

    DLR: Das wäre noch kein Grund, sie nicht veröffentlichen zu wollen.

    Tophoven: Nun ja, man muss ja erstmal wissen, worum es sich handelt, bevor man zustimmt, dass sie veröffentlicht werden. Und sie sollten ja nun nicht als erstes in Deutschland unbedingt veröffentlicht werden, sondern es hätte nahe gelegen, wo alles zuerst erschienen ist, natürlich eine Publikation vom französischen Verleger, nicht?

    DLR: Es gibt die von James Knowlson verfasste Beckett-Biografie, Frau Tophoven, es gibt ein relativ lückenloses Beckett-Bild sogar wohl in Deutschland. Welche neuen Facetten fügen nun die "German Diaries" Ihrer Ansicht nach dem hinzu?

    Tophoven: Nun ja, ein lückenloses Bild - ich finde, von dem jungen Beckett kannte man sehr wenig. Also, man hat eigentlich immer erst angefangen 1953, vor fünfzig Jahren. Ich habe grade jetzt in Berlin daran erinnert, "Godot" vor fünfzig Jahren in Berlin Erstaufführung, und was in den dreißiger Jahren für eine Beziehung zu Deutschland bestand, war den meisten doch unbekannt, und das eigentlich es zurückgeht auf 1928, sechs Besuche in Kassel bei Verwandten, die damals dort lebten, und dann eben diese Reise durch Deutschland vom Oktober `36 bis zum ersten April 1937. Also, über diese Zeit wusste man sehr wenig, und das ist eben sehr wichtig, dass wir jetzt den jungen Beckett kennen lernen, der dreißig Jahre war, nicht 46 wie eben damals in Berlin 1953. Vor dem Krieg und seine enge Bindung an Deutschland, an die Sprache, an die Literatur, die erstaunliche Kenntnis der deutschen Literatur, aber eigentlich von allem, was ihn da in Deutschland so entgegen kam.

    DLR: Samuel Beckett schrieb diese "German Diaries" in prekärer Zeit, im Berlin der dreißiger Jahre. Einer der Briefe, die jetzt auch wieder aufgetaucht sind, Frau Tophoven, ist in relativ guter deutscher Sprache verfasst. Beckett verstand also, was um ihn herum in Deutschland gesprochen wurde. Was für ein Verhältnis zu Deutschland, seiner Kultur, seiner Politik damals auch hatte er eigentlich?

    Tophoven: Nun, man muss sich ja vorstellen, er ist also gekommen um vor allen Dingen in neunzehn deutschen Städten, das hat sich dann so ergeben, die Museen zu besichtigen. Und das ist schon mal etwas ganz Neues, dass man diese Kunstkenntnis bei Beckett bis dahin noch nicht erkannt hatte und wenig darüber wusste. Er wusste natürlich um die Verhältnisse, seine Verwandten aus Kassel hatten längst Deutschland verlassen, und andererseits hoffte er aber, bei dieser Gelegenheit, eben Deutschland noch einmal, eben diese Kunstschätze kennen zu lernen, und sein Deutsch aber vor allem Dingen ja auch zu verbessern. Zweifellos, er las fließend Deutsch, er hatte kurz vorher also den ganzen Faust eins und zwei gelesen, aber in der Pension, in der er ganz bescheiden abstieg, hatte er Mühe, überhaupt sich am Gespräch zu beteiligen und so nach und nach merkt man dem Tagebuch an, wie das immer sicherer wird und immer mehr Deutsches einfließt und dann auch deutsche Wortspielereien. Also, dadurch ist es auch sehr amüsant und unterhaltsam.

    DLR: Äußert er sich zum Nationalsozialismus, zur Diktatur?

    Tophoven: Ja, natürlich! Er kommt ja zusammen mit vielen Kunstkennern und Malern, die schon nicht mehr ausstellen dürfen, und es ist interessant zu sehen, wie man 1936 in Hamburg lebte? Wer durfte noch ausstellen, was wurde noch ausgestellt? Er hatte die Möglichkeit, vieles in den Kellern der Museen, also in den Magazinen noch zu sehen, was offiziell schon gar nicht mehr erlaubt war. Aber bei Gesprächen zeigte sich eben, dass die meisten Maler sagten, na ja, wir dürfen im Moment nicht ausstellen, das dauert ein, zwei Jahre, aber das wird sich wieder geben. Dann gab es natürlich immer noch Milieus, in denen man auch noch frei sprechen konnte. Man darf sich nicht vorstellen, dass Deutschland 1936, jedenfalls Hamburg nicht, abgeschottet war, sondern da verkehrten also auch wirklich Studenten und Leute aus aller Herren Länder noch. Dann ist es nach meiner Meinung wichtig, dass man auch sieht, wie die Städte damals aussahen, denn sie haben sich ja sehr verändert, und natürlich auch drum herum, wie war die außenpolitische Lage, was stand in den Zeitungen, was für Bücher wurden gedruckt, und, nun ja, wirklich ein Zeitbild für uns mit tagtäglichen Aufzeichnungen. Also, da gibt es wenig Zeugen, glaube ich, und so wenige, die scharfsichtig durch die Zeit damals gegangen sind.

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