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Zum Tod von Samuel Huntington
Ein Weltbürger, der den "Clash" der Kulturen prophezeite

Samuel P. Huntington lehrte fast 60 Jahre Politik an der Harvard University, er schrieb 17 Bücher und 90 wissenschaftliche Artikel. Sein weitaus einflussreichstes Werk heißt auf deutsch "Kampf der Kulturen". Nun ist Huntington 81-jährig gestorben.

Von Kersten Knipp |
    Der Harvard-Politologe Samuel P. Huntington bei einem Vortrag in München am 17. Januar 1999
    Der Harvard-Politologe Samuel P. Huntington (1927 - 2008) bei einem Vortrag in München 1999 (picture-alliance / dpa / Fotoreport_Strub)
    Zu den Schwächen von Fragezeichen gehört, dass sie bisweilen allzu leicht oder geflissentlich übersehen werden. Dann verwandelt sich das, was zunächst als vorsichtige Mutmaßung gemeint war, in eine dröhnende Behauptung. So sah sich plötzlich auch Samuel Huntington als politischer Marktschreier in Misskredit gebracht. Dabei hatte er seine These vom "Clash of Civilizations", dem "Kampf der Kulturen", zunächst mit einem Fragezeichen versehen.
    1993 war das, als er sie erstmals in der Zeitschrift "Foreign Affairs" vorstellte. Dabei trug er durchaus nüchterne, wenig spektakuläre Thesen vor. Die weltweit zu beobachtende Besinnung auf lokale Traditionen entspräche einer tiefen Verunsicherung, hervorgerufen durch den sozialen Wandel in nahezu allen Regionen der Welt, schrieb er. Und verschärft werde er durch den Willen der nicht-westlichen Gesellschaft, sich vom Westen – verstanden als westliche Supermächte mit Amerika an der Spitze – abzusetzen, wozu ihnen ganz wesentlich die Kultur diene. So verstand er seine These vor allem als Beschreibung, aber nicht als politisches Programm.
    "Kämpfe zwischen Staaten und Gruppen unterschiedlicher Kulturen lehne auch ich ab. Aber wenn die sagen, dass sie den Kampf der Kulturen ablehnen und meinen, dass sie die Entwicklung weiterer Kämpfe nicht für möglich halten – das ist Ermessenssache. Ich habe aber einige Indizien für diese These. Wie wir gesehen haben, gibt es Gruppen auf der Welt, u.a. Osama Bin Laden und Al Qaida auf der einen Seite und viele Amerikaner auf der anderen Seite, die den Kampf der Kulturen offenbar gut finden ... "
    Huntingtons Kritiker wiesen darauf hin, dass er die "Zivilisationen" oder "Kulturen" als allzu statisch beschreibe, ihnen also keine innere Wandlungsfähigkeit oder Tendenz zur Öffnung attestierte. Dabei machten die deren Leben doch erst aus, ja sicherten sogar deren Überleben.

    Identität, Religion und Theologie

    Gewichtiger ist aber noch ein anderer Einwand: Geht es in den aktuellen Konflikten tatsächlich um Kultur, um ein Ringen um nationale oder regionale Identität? Huntington selbst schrieb, dass der Westen mittels der internationalen Institutionen, seiner militärischen und ökonomischen Macht den Rest der Welt auf eine Art beeinflusse, die westliche Interessen und Werte offensiv vertrete. Zumindest, fügt er hinzu, sähe es der Rest der Welt so. Oft wies er selbst auf die politischen Ursachen hin.
    "Islamische Gruppen waren in den letzen zwei Jahrzehnten in ungefähr 15 kleineren Konflikten mit nicht-islamistischen Gruppen involviert. Ich glaube nicht, dass es etwas wesentliches mit der inhärenten Theologie oder Doktrinen des Islams zu tun hat. Ich vermute, es liegt an einigen politischen Problemen, so etwa an der Bevölkerungsexplosion in der islamischen Welt oder daran, dass diese Länder oft von Regierungen gelenkt werden, in denen viele nicht muslimische Politiker sitzen."

    Kulturelle oder territoriale Spannungen?

    Genau diese Analyse untergräbt aber seine These vom Kampf der "Kulturen": Was hier zur Debatte steht, sind eben keine kulturellen Werte, sondern politische und ökonomische Interessen. Auf dasselbe Ergebnis läuft Huntingtons Beschreibung der 1.300 Jahre alten Beziehungen zwischen Orient und Okzident hinaus. So kann man etwa die Kreuzzüge, die ottomanischen Invasionen und schließlich den westlichen Kolonialismus kaum als ausschließlich kulturellen Konflikt deuten. Dasselbe gilt auch für den Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis, auf den Huntington sich bezieht: Ihm liegen weniger kulturelle als territoriale Spannungen zugrunde.
    Wer hätte also Interesse daran, die Spannungen zwischen der westlichen und der arabischen Welt kulturell zu deuten? Interesse haben die politischen Demagogen dieser Welt: Einst der Ayatollah Chomeini, dann Bin Laden, dann auch all jene saudi-arabischen Öl-Milliardäre, die in alle Welt den Wahhabismus-Fundamentalismus exportieren – sehr zum Ärger der großen Zahl der gemäßigten Muslime im Übrigen. Für sie alle ist der Fundamentalismus ein Instrument zur Sicherung der politischen Macht.

    Huntington sah den Irakkrieg als Fehler an

    Ein zynisches Spiel, an dem sich auf westlicher Seite nicht minder große Zyniker beteiligen, allen voran einige Mitglieder der in wenigen Tagen abtretenden US-amerikanischen Regierung. George Bush, Dick Cheney, Donald Rumsfeld und andere: Inzwischen ist erwiesen, dass sie die Öffentlichkeit ganz bewusst und systematisch täuschten, um den Krieg gegen den Irak zu legitimieren – auch mit Hilfe jener Topoi und Bilder, die seit jeher zum Arsenal des Kulturkampfes gehören.
    Einen solchen Kampf hat Samuel Huntington nie propagiert. Den Irakkrieg bezeichnete er als großen Fehler. Ein anderer großer Fehler könnte sein, dass er darauf verzichtete, das Fragezeichen, das über seinem Aufsatz stand, nicht auch hinter den Titel seines Buches zu setzen.