Union Square, San Francisco. Die Haltestelle für Touristenbusse. Ich habe einen "Trip" mit dem "Magic Bus" gebucht. Ich bin etwas skeptisch und erwarte eine kitschig verklärende Tour durch Haight-Ashbury. Die Bilder bestätigend, die wir alle von den 60ern im Kopf haben. Und so sieht der alte Schulbus, der vor uns hält, auch aus. Ken Keaseys Merry Prankster Bus lässt grüßen: wild und bunt bemalt. Am Steuer sitzt ein Mann mit strubbligem blondem Haar, Hut und Fellweste, und er stellt sich als die erste Überraschung heraus.
Jens-Peter Jungclaussen: "Ja, ich bin Jens-Peter Jungclaussen und bin hier seit elf Jahren in San Francisco."
Jungclaussen, eigentlich Gymnasiallehrer, hat es aus Flensburg nach San Francisco verschlagen, in den letzten Jahren hat er einen "Teacher Bus"entwickelt, betrieben mit Biodiesel und Solar. Er fährt Kinder damit in die umliegenden Nationalparks, um ihnen die Natur näher zu bringen:
"Und jetzt machen wir das Gegenteil, dass wir die Leute zurück zu den Hippiezeiten bringen. Aber wir benutzen wieder ziemlich moderne Technologie dafür. Man sitzt Rücken an Rücken in der Mitte, guckt aus den Fenstern und dann sind zwölf Videoprojektoren installiert, die gegen Spiegel in der Mitte strahlen und dann zurück auf die Fensterinnenseiten, wo dann Leinwände rauf- und runterlaufen. Und dadurch haben wir die einzig wirklich funktionierende Zeitmaschine kreiert."
"Das ist kein Tourbus, das ist eine Zeitmaschine."
Ein roter Samtvorhang trennt den Fahrerbereich vom Businneren. Wir werden schon erwartet, von Tree Flower, einer in die Jahre gekommenen Hippiefrau, in wallendem Gewand, mit langen braunen Haaren, in denen eine weiße Margerite steckt.
"Ich freue mich so, Euch zu sehen, dies ist der 'Magic Bus', der durch Magie betrieben wird. Wisst ihr, was das heißt: Eure positive Energie, eure Liebe, eure Stimmen, euer Singen, euer Klatschen, euer tanzen. Das treibt unseren Bus an, durch die Stadt und Zeit zu fahren, denn das ist kein Tourbus, das ist eine Zeitmaschine."
Jeder von uns bekommt eine weiße Blüte. Sanft schweben Seifenblasen von der Decke. Die Leinwände fahren herunter. Im Inneren des Busses wird es dunkel. Ein Stroboskop lässt uns Mitfahrende einander in Zeitlupe wahrnehmen.
Chris Hardman: "Willkommen an Bord des Magic Bus'. Ich bin Chris Hardman und werde Sie bei ihrem Flashback durch die 60er begleiten. Um dorthin zu gelangen, reisen wir durch viele Stadtteile San Franciscos. Reale, historische, metaphysische und magische. Es geht um einen Traum, einen Traum von den 60ern, um das was passieren sollte, passiert sein könnte und die Happenings die tatsächlich stattgefunden haben. Und jetzt tauchen wir in die 50er ein, um zu sehen, wie aus scheinbar normalen Kindern Hippies wurden."
Chris Hardman ist kreativer Kopf und technischer Geist zugleich hinter dem Magic Bus. Mitbegründer des legendären Antenna Theaters, das seit Anfang der 80er-Jahre wegweisende Theaterinszenierungen mit dem Walkman produziert hat.
Zunächst fährt der Bus durch China Town, um dann um die Ecke in die Columbus Avenue vorbei an Lawrence Ferlinghettis City Lights Bookstore. Wo sich in den 50er-Jahren Allen Ginsberg, Jack Kerouac und die anderen Beatdichter trafen. In der Ferne leuchtet Alcatraz. Für die ehemalige Gefängnisinsel entstand die allererste Audioführung des Antenna Theaters.
Jens-Peter Jungclaussen: "Das war die erste große. Mit Walkman haben sie Theater gestaltet und die Idee kam eben damals, als er einen Walkman auf hatte, als er im Flugzeug, beim Startprozess passte der Soundtrack, den er im Ohr hatte so perfekt zu dem, was er draußen gesehen hatte, dass er dachte, hm, unser Gehirn synchronisiert, was wir sehen und was wir hören und vielleicht kann man das zum Theater benutzen und insofern hat er angefangen das zu entwickeln."
Ausschnitte aus Filmen aus den 60ern laufen über die Leinwand, aus Spielfilmen, Interviews, Dokumentationen. Musik. Apollo, Werbung aus den frühen 60ern. Alle sehen sehr sauber und glücklich aus. Wir werden auch zunehmend glücklicher.
"Schaut in die neuen Gesichter, eure Brüder und Schwestern für die nächsten zwei Stunden oder Wochen oder Jahre. Das ist eine Zeitmaschine, ich kann nichts garantieren, aber ich versuche euch, wieder zurückzubringen.
Jens-Peter Jungclaussen: "Es ist nicht wie ein Dokumentarfilm oder ne normale Tour, wo man sagt, da ist das und das passiert und 1960 wurde das gebaut, sondern es geht darum, die Emotion zu transportieren."
Jens-Peter Jungclaussen: "Es ist nicht wie ein Dokumentarfilm oder ne normale Tour, wo man sagt, da ist das und das passiert und 1960 wurde das gebaut, sondern es geht darum, die Emotion zu transportieren."
Weniger touristische Tour als vielmehr Theaterinszenierung
Die Tour ist im Rahmen eines Kunstfestivals 2010 entstanden. Und so ist der "Magic Bus" keine touristische Tour durch die Hippie-Geschichte San Franciscos. Vielmehr ist es eine Theaterinszenierung, mit ausgeklügelter Multi-Media-Technik, die weit über das übliche Klischee von den Blumenkindern hinausgeht. Gekonnt spielen die Macher mit verschiedenen Wirklichkeiten, Zeiten und inneren und äußeren Räumen.
Ecke Geary Street/Filmore bleiben wir stehen. Auf der Leinwand laufen Bilder in Schwarz und Weiß aus dem Fillmore Auditorium. Dort sind alle aufgetreten: die Greatful Dead, Butterfields Bluesband, The Cream, Jimi Hendrix und viele andere. Dann gehen die Leinwände hoch und blinzelnd, vom Sonnenlicht geblendet, sehen wir auf ein blaues Schild, das eine japanische Automarke bewirbt. Das Filmore ist heute ein Autohaus. Und so geht es weiter und weiter. Auch meine mitreisenden Brüder und Schwestern sind begeistert.
"Ich bin ein Überlebender der 60er, ich habe in Bands gespielt. Psychedelische Musik aus San Francisco hat mir immer gefallen."
Die Frau neben dem Engländer ist ganz offensichtlich zu jung, um die 60er miterlebt zu haben:
"Ich bin etwas zu jung für die Musik. Ich kenne alles aus dem Fernsehen, es ist nicht wirklich neu, aber im Vergleich und mit etwas Theater, das bringt mich in die Stimmung."
An manchen Orten scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Die Haight Street sieht genau so aus, wie man sie sich vorstellt. Kleine, bunte Läden, von der ersten Untergrundzeitung, über den ersten kollektiven anarchistischen Buchladen über einen Schallplattenladen und wahrscheinlich die erste Volksküche. Tatsächlich gab es früher sehr viel weniger Geschäfte, in denen man etwas kaufen konnte. Nach einem Besuch des Golden Gate Parks ist der Trip vorbei. Voller guter Energie verlässt man nach zwei Stunden den Bus und denkt daran, was alles möglich war - oder ist.