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Sandra Hüller spielt Hamlet
"Ich habe nur mich"

In Film und Theater ist Sandra Hüller eine der gefragtesten Schauspielerinnen ihrer Generation. Ihr Lebensmittelpunkt ist Leipzig, ihre Arbeit am Schauspielhaus Bochum. Dort steht sie ab dem 15.6. als „Hamlet" auf der Bühne. „Ich bin mir schon bewusst, was für’n Klopper das ist", sagte sie im Dlf.

Profilansicht der Schauspielerin Sandra Hüller
Schauspielerin Sandra Hüller (www.imago-images.de)
Sigrid Fischer: Wie ist das, wenn man weiß, ich bin jetzt vielleicht zwei, drei Spielzeiten hier, und dann wieder woanders. Kann man sie einlassen auf eine Stadt oder kommt man wirklich nur – das ist arbeiten, und dann bin ich eigentlich wieder weg.
Sandra Hüller: Also das merke ich schon, weil ich tatsächlich immer nach Hause fahre, sobald ich die Möglichkeit dazu habe, weil mein Kind eben nicht hier lebt, sondern in Leipzig, und mein Mann auch, dass das natürlich eine reine Arbeitsverabredung ist. Auf der anderen Seite sind der Johan Simons und auch Teile der Belegschaft, sind wir schon so lange verbunden, dass das natürlich nie eine reine Arbeitsverbindung war. Also deswegen vermischt sich das sowieso. Aber Bochum kennengelernt in dem Sinne hab ich noch nicht, das kann ich jetzt nicht sagen.
Trennung zwischen oben und unten wird aufgehoben
Fischer: Sie sagten es gerade, Sie sind so lange mit Johan Simons verbunden. Was ist das denn genau, was Sie beide auf der kreativen Ebene so verbindet, wo Sie gut mit klar kommen miteinander.
Hüller: Das weiß man manchmal nicht. Es ist so ein Grundverständnis von Theater vielleicht, auf so eine bestimmte Art da auch eine Befreiung stattgefunden hat, von, glaube ich, veralteten Vorstellungen, die ich hatte, oder einem bestimmten Druck, unter dem ich immer gestanden habe. Das ist etwas, womit der Johan Simons gar nicht operiert. Da entsteht einfach so eine große Freiheit im Denken und im Tun. Ich denke, der Johan Simons denkt das tatsächlich als Kollektiv, er denkt ja sogar die Zuschauer mit als Kollektiv. Das heißt also, dass man – also mir passiert das häufiger in letzter Zeit, dass ich das Gefühl habe, jetzt denken wirklich gerade alle dasselbe. Und da wird auch diese Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum, zwischen oben und unten, auf eine ganz zärtliche Art und Weise aufgehoben. Und das gefällt mir sehr gut.
Sandra Hüller als "Hamlet" am Schauspielhaus Bochum
Fischer: Das spüren Sie von oben?
Hüller: Ja. Also grundsätzlich kriegen wir alles mit auf der Bühne. Wir kriegen auch mit, wenn sich jemand ein Bonbon auspackt. Das wissen die Leute unten immer nicht. Die denken auch, wenn sie husten, dann hören das nur sie. Aber wir kriegen auch mit, wenn Leute rausgehen. Und es gibt Stücke, die sind so hell auf der Bühne, dass man jeden Einzelnen im Zuschauerraum sieht. Und für mich wäre das dann ein bißchen Quatsch, denen dann auszuweichen. Ich muss die dann schon angucken, sonst kriege ich Angst vor denen.
Fischer: Jetzt sind Sie ja dadurch, dass Sie viele Filme drehen, und dann gab es den Toni Erdmann "Bohei" nenne ich es mal, sind Sie jetzt wahrscheinlich – aha, Sandra Hüller ist der Star im Ensemble. Dachte ich auch bei Lars Eidinger, der ist an der Schaubühne eine hervorgehobene Figur. Kann das für ein Ensemble auch ein bißchen blöd sein?
Hüller: Na, ich sag mal so: da müsste man jetzt das Ensemble fragen. Das ist, ja, das ist echt ne schwierige Frage. Sowohl Lars als auch ich haben ja mit Theater angefangen. Deshalb ist das so absurd, dass man dann ein paar Filmexkurse macht und kommt dann zurück ist dann plötzlich anscheinend jemand anders. Aber ist man ja gar nicht. Manchmal führt das auch dazu, dass man härter arbeitet, als vorher, einfach damit man nicht in den Verdacht gerät, nicht in irgendeiner Art und Weise abgehoben zu sein oder so. Aber im Moment behandelt mich niemand irgendwie komisch. Gott sei dank.
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Dominik Dos-Reis, Ann Göbel, Stefan Hunstein, Jing Xiang (v. li.), Hamlet-Aufführung Bochum (JU Bochum)
"Ich kann niemandem nacheifern"
Fischer: Hamlet zu spielen, das ist ja anders als beim Kino, es gibt nun mal Hunderte, die Hamlet vor Ihnen gespielt haben, auch Frauen, die Hamlet gespielt haben. Im Moment scheint es nur einen Hamlet zu geben, Lars Eidinger. Wie frei kann man denn da aufspielen, oder spielt man da auch ein bißchen gegen an und denkt: ich muss jetzt meinen Akzent setzen und dem so eine Prägung geben
Hüller: Nee, wenn ich so denken würde, dann brauche ich gar nicht anfangen. Das funktioniert nicht. Also es gibt natürlich ganz klar ein Bewusstsein darüber, dass es jetzt ein weiterer Versuch ist, und dass er auch durchaus scheitern kann, das ist ja klar. Ich hab' nur mich. Ich kann niemandem nacheifern. Ich kann das auch nicht besser machen, als ich es eben kann. Ich hab' jetzt überhaupt keinen Anspruch, ehrlich gesagt, außer dem, dass ich mir das selber irgendwie glaube.
Fischer: Gut, aber fragt man sich schon, was es bedeutet, wenn eine Frau Prinz Hamlet spielt.
Hüller: Ich glaube schon, dass gerade das Verhältnis mit der Mutter sicherlich sich anders anfühlt als wenn das ein Junge spielt oder ein Mann. Die Bereitschaft zur Verbindung und zur Versöhnung vielleicht größer ist oder sowas? Das ist tatsächlich eine Untersuchung, die hier stattfindet, und wir gucken mal, wohin wir damit kommen. Und das heißt nicht, dass es da keine Anstrengung gibt oder Aufregung oder sonst irgendwas. Ich bin mir wohl bewusst, was für ein Klopper das ist, und versuche gerade deswegen es sozusagen einfach ein bißchen runterzufahren.
Fischer: Ich glaube aber, viele Leute haben eine Hemmschwelle zu sagen: ich geh mir mal in Bochum Hamlet angucken, weil: kenn ich mich nicht aus, verstehe ich vielleicht nicht. Diese Hemmschwelle, kann man die wegspielen?
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Schauspielerin Sandra Hüller als "Hamlet" (JU Bochum)
Hüller: Ja, vielleicht bin ich da ignorant, aber ich verstehe das Argument wirklich vom tiefsten Inneren her nicht. Weil, ich gehe gerade in einen Theaterabend, weil ich nichts darüber weiß. Keine Ahnung, weil sich mein Horizont in irgendeiner Weise erweitert. Das ist doch sozusagen das Ziel, deswegen sind wie hier! Also selbst wenn ein Abend mit total fremd bleibt, und ich nicht einsteigen kann, hab ich immer noch das Erlebnis, mit vierhundert, fünfhundert Leuten in einem Raum zu sitzen, mich zu verbinden an der Stelle. Deswegen würde ich sagen, eben, gerade wenn die Leute noch nie was von Hamlet gehört haben, kommt rein, guckt es Euch an, und selbst wenn Ihr hinterher nix versteht: Na und.
"Mut entsteht durch die Überwindung von Angst"
Fischer: Jetzt schreibt man – also wird Ihnen ja immer so viel Mut und so eine Unerschrockenheit und Angstlosigkeit zugeschrieben. Finden Sie sich so auch selber?
Hüller: Nee. Also Mut entsteht ja immer durch die Überwindung von Angst. Das ist halt Arbeit. Ich weigere mich dann oft einzuknicken vor meiner eigenen Furcht. Und dadurch entsteht, glaube ich, so eine Art von Trotz oder sowas, ich würde es eher so beschreiben. Ehrlich gesagt, je älter ich werde, desto schwieriger wird das.
Fischer: Das ist ja interessant, dass Sie sagen, das wird jetzt fast schwieriger. Weil ich dachte – zwanzig Jahre eigentlich kann man sagen machen Sie das...
Hüller: Ich hab' Bühnenjubiläum, ja. '99 hab ich anfangen, in Jena, im Herbst.
Fischer: Also da passiert ja schon was mit einem.
Hüller: Ja, schwieriger in dem Sinne – ich merke schon, dass - also erstens mal werde ich ehrlich gesagt müder. Ist mir auch peinlich, aber ist halt so. Und muss mir genau überlegen, worauf ich mich einlasse und worauf nicht. Aber da findet auf jeden Fall eine Art von Umbau statt, den ich noch nicht so ganz verstehe. Keine Ahnung, was das ist. Aber so, wie ich das früher gemacht habe, und dass ich gesagt habe, das Theater steht an erster Stelle, werde ich in Zukunft wahrscheinlich gar nicht mehr machen können. Das schaff ich gar nicht. Aber jetzt ist es noch so, und das ist auch gut.
"Toni Erdmann" und die Folgen
Fischer: Dieses "Toni Erdmann", das war, glaube ich, medienmäßig, plötzlich kommt diese Medienwelt auf mich zu. Was ändert sich dadurch? Wahrscheinlich reisen Sie jetzt, wenn Sie zu Festivals fahren, haben Sie vielleicht die Stylistin dabei und einen riesigen Kleiderkoffer. Man muss sich ja auf diese Situation – rote Teppiche, und was man da so alles absolvieren muss – irgendwie einstellen oder?
Hüller: Ja. Ich muss mich darum kümmern. Auf jeden Fall. Das stimmt. Geht halt nicht, ich kann nicht neben Frau Binoche und Frau Styler stehen im Arbeitsanzug. Lustig wär’s, aber dann bin ich halt die lustige Tante.
Wir haben noch länger mit Sandra Hüller gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Fischer: Das muss man wahrscheinlich zu allem auch lernen. Dieses: roter Teppich, und ich präsentiere mich und ich bin jetzt gar nicht so drauf. Vielleicht kann man das als Schauspieler eher, weil man einen Knopfdruck dafür hat.
Hüller: Ja, ich nicht. Also vielleicht muss ich da auch noch mal einen Kurs machen. Ich bin ja jetzt auch nicht die große Lächelerin auf diesen Teppichen. Weil ich die Situation in erster Linie immer angespannt finde. Bei aller Freude, die da herrscht.
Fischer: Und man sagt immer, dem Beruf des Schauspielers ist die Eitelkeit immanent, sonst würde man sich nicht dauernd – man exponiert sich ja. Zwar auf einer Bühne und in einem Rahmen. Wie ist das mit Eitelkeit bei Ihnen?
Hüller: Das ist so ein Klischee, ne, das ist ganz lustig. Also für mich ist das ein Beruf, der immer mehr mit Innen zu tun hat, kann ich nicht anders sagen. Und nicht mit Außen. Dass einem Leute dabei zugucken, wie man seine Forschung betreibt oder betrieben hat, das gehört dann eben dazu. Aber die Hauptarbeit, die liegt für mich Innen. Und auch im Gegenüber. Also für mich hat der Begriff da nichts verloren. Weiß ich auch nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.