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"Sandy" hat 70 Prozent der Ernte auf Haiti zerstört

Der Hurrikan "Sandy" hat weite Teile der Anbauflächen auf Haiti zerstört, sagt Astrid Nissen vom Deutschen Roten Kreuz. Es sei bereits die zweite Ernte in Folge, die kaputt gegangen sei - es drohten " extreme Engpässe in der Versorgung der Bevölkerung".

Das Gespräch führte Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Über 100 Tote hat der Hurrikan Sandy an der Ostküste der USA gefordert. Ganze Stadtteile wurden zerstört. In New York und andernorts haben immer noch viele Einwohner keinen Strom. Darüber berichten wir in den letzten Tagen häufiger. Aber Sandy – das muss man natürlich auch festhalten – hat nicht nur die Küste der USA verheert, sondern auch Staaten in der Karibik: Kuba zum Beispiel oder das bitterarme Haiti. Und Haiti leidet ja ohnehin noch an den Folgen des Erdbebens von vor knapp drei Jahren. Damals starben über 200.000 Menschen, eine nationale Tragödie. – Astrid Nissen ist für das Deutsche Rote Kreuz in der Hauptstadt Port au Prince auf Haiti. Guten Morgen beziehungsweise guten Abend, Frau Nissen.

    Astrid Nissen: Guten Morgen.

    Meurer: Wie schlimm sind denn die Folgen des Hurrikans Sandy auf Haiti gewesen?

    Nissen: Es ist tatsächlich erst jetzt in den letzten Tagen, wo langsam die Wassermassen zurückgehen, dass man das ganze Ausmaß der Schäden sehen kann, und vor allen Dingen auch, weil es sehr viele Schäden an der Straßeninfrastruktur gegeben hat, man erst jetzt in einige der betroffenen Landesteile vordringen kann. Und die Schäden sind massiv, vor allen Dingen an den landwirtschaftlichen Anbauflächen, wo etwa 70 Prozent der Ernten zerstört wurden.

    Meurer: Kann man sagen, dass das nicht die Gebiete sind, die vom Erdbeben vor drei Jahren betroffen waren?

    Nissen: Das ist korrekt. Es sind hauptsächlich betroffen die drei südwestlichen Departements des Landes, und das sind genau die Teile, die nicht in so großem Ausmaß vom Erdbeben betroffen waren. Es gibt schon einige Überschneidungen. Es gibt Städte, die Region Les Palmes, Petite Revière, die auch sehr stark vom Erdbeben betroffen waren, aber die weitläufigen Schäden sind im Süden und ganz im Westen des Landes, wo es keine Schäden durch das Erdbeben gegeben hatte.

    Meurer: Es gibt etwa 50 Tote, schätzt man. Aber jetzt, wenn die landwirtschaftlichen Gebiete betroffen sind, die Ernte vernichtet wird, was könnte das bedeuten? Droht sogar eine Hungersnot auf Haiti?

    Nissen: Hungersnot ist ein sehr drastisches Szenario. Auf jeden Fall müssen wir uns auf extreme Engpässe in der Versorgung der Bevölkerung einstellen. Es ist nämlich so, dass es nicht nur die Schäden sind jetzt durch Wirbelsturm Sandy, sondern es ist im Grunde schon das zweite Mal, die zweite Ernte in diesem Jahr, die für viele Bauern kaputt gegangen ist oder zerstört wurde. Es hat Anfang des Jahres eine sehr lang anhaltende Trockenperiode gegeben, und da waren bereits viele Bauern davon betroffen, und nun ist das sozusagen ein zweiter Schlag, und das bei auf dem Weltmarkt ansteigenden Preisen für Grundnahrungsmittel. Das ist eine Kombination, die die Leute hier bei der ökonomischen Situation der meisten Familien schwer verkraften können, und deswegen wird es da sicherlich auf jeden Fall zu drastischen Krisensituationen in einigen Teilen des Landes kommen, weil die Leute einfach im Moment aus eigenen Mitteln ihre Versorgung nicht gewährleisten können.

    Meurer: Frau Nissen, was kann da zum Beispiel das Deutsche Rote Kreuz jetzt tun?

    Nissen: Das Deutsche Rote Kreuz arbeitet sowieso schon im Bereich der Ernährungssicherung, auch weil das eine Problematik ist, die nun nicht erst sich mit den Schäden durch Hurrikan Sandy hier eingestellt hat. Wir werden halt einfach in den laufenden Projekten weiter und schnell durch Verteilung von Saatgut - und auch im Fischereisektor hat es Schäden gegeben, also da durch die Vergabe von Booten und Netzen und anderen Materialien, die für die Fischerei benötigt werden – so einfach die betroffenen Familien unterstützen, damit sie unmittelbar ihre knappen ökonomischen Ressourcen dazu aufwenden können, sich und ihre Familien zu versorgen, und gleichzeitig aber durch die Bereitstellung von Saatgut oder anderen Materialien dann ihre nächste Ernte beziehungsweise die nächsten Fischfänge wieder gewährleisten können.

    Meurer: Aber Sie verteilen nicht Lebensmittel? Das macht weniger Sinn Ihrer Meinung nach?

    Nissen: Nein. Ich denke, dass es ...

    Meurer: Sie wollten noch etwas sagen zur Lebensmittelversorgung.

    Nissen: Nein, wir verteilen keine Lebensmittel, und es ist auch noch nicht die Situation, dass dies notwendig wäre.

    Meurer: Nach dem Erdbeben vor knapp drei Jahren, Frau Nissen, ist die Cholera ausgebrochen in Haiti. Gibt es jetzt mehr Cholerakranke infolge des Sturms? Könnte das die Folge sein?

    Nissen: Es hat im Vergleich zu den Wochen vor dem Wirbelsturm einen signifikanten Anstieg der Fallzahlen gegeben in der letzten Woche. Das wurde von mehreren Organisationen, die im Bereich der Cholera-Behandlung tätig sind, und auch vom Gesundheitsministerium bestätigt. Und das ist natürlich die größte Gefahr, die Verseuchung von Trinkwasser, von Brunnen durch eben die Abwässer, die durch die Überschwemmung dann tatsächlich überall herumfließen. Das war ein Risiko, was man sehr, sehr schnell ausmachen konnte, und auch das ist eben ein Bereich, wo wir als Deutsches Rotes Kreuz arbeiten, um die Reinigung von Trinkwasser für die Bevölkerung sicherzustellen.

    Meurer: Was tun Sie da? Wie sieht das aus, wenn Sie helfen, das Trinkwasser zu reinigen?

    Nissen: Das passiert im Wesentlichen durch auch bereits seit Ausbruch der Cholera-Epidemie ende 2010 laufende Programme der Sensibilisierung der Bevölkerung, also die Bevölkerung darin zu unterrichten und zu trainieren, wie sie mit verschiedenen Mitteln das vorhandene Wasser so zubereiten, dass es zu Trinkwasser wird, für sie nicht gefährliches Trinkwasser. Dazu gehören Reinigungstabletten, aber auch andere Methoden wie das Abkochen von Wasser. All das wird mit Freiwilligen auch des haitianischen Roten Kreuzes seit jetzt knapp zwei Jahren praktiziert und das wird im Moment intensiviert und vor allen Dingen in den von den Überschwemmungen betroffenen Regionen sind die Volontierten, die Freiwilligen unterwegs, um die Bevölkerung darauf hinzuweisen und sie damit zu unterstützen, mit Wasserreinigungstabletten oder eben auch mit Seife für die Körperhygiene.

    Meurer: Nach dem Hurrikan Sandy droht wieder die Gefahr von neuen Cholera-Fällen auf Haiti und Lebensmittel werden knapp oder teurer. Danke schön, Astrid Nissen vom Deutschen Roten Kreuz in Port au Prince auf Haiti. Danke und auf Wiederhören!

    Nissen: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Zwei Frauen waten durch die überschwemmten Straßen von Port-au-Prince
    Zwei Frauen waten durch die überschwemmten Straßen von Port-au-Prince (picture alliance / dpa / EFE / Jean Jacques Augustin)