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Sang- und klanglos zur letzten Ruhe

Das Ordnungsamt lässt Verstorbene, von denen keine Angehörigen aufzufinden sind, anonym beerdigen. Doch gegen diese Massenbestattungen engagieren sich in immer mehr Städten Menschen, um der Toten würdig zu gedenken.

Von Lena Gilhaus |
    In Köln wurde die anonyme Bestattungspraxis abgeschafft. Eine Steele weist heute Namen und Gräber aus. Auch ein monatlicher ökumenischer Gottesdienst wurde für Unbedachte ins Leben gerufen.

    Immer dann, wenn in Köln vor einigen Jahren jemand starb und sich binnen mehrerer Tage niemand finden ließ, der die Person beerdigen wollte, erhielt der Kölner Bestatter Brian Müschenborn ein Fax: Darin stand zum Beispiel, zu lesen:

    "Hilde Schmidt ist gestorben, bitte abführen ins Krematorium, und anonym bestatten."

    Die Verstorbenen wurden eingeäschert, die Urnen bei einer anonymen Massenbestattung ohne Trauerfeier und ohne Geistlichen auf einer Wiese des Kölner Nordfriedhof beigesetzt: Müschenborn nennt das "Nummernbetrieb".

    "Es gab keinen Namen, kein Kreuz, es wurde nur ein Loch in die Erde geschraubt, Urne kam rein, Grasnarbe wieder drauf und alles war damit vollzogen."

    Es war dies die günstigste Variante für die Kommune. Doch für Angehörige und Freunde stellten sich anonyme Bestattungen oft als Problem heraus: Es gab keinen Ort, keine Anlaufstelle zum Abschiednehmen. Zahlreiche Anrufe von Angehörigen erreichten Brian Müschenborn.

    "Wo dann die Tochter sagt: Wir haben erfahren, dass meine Mutter gestorben ist, ein halbes Jahr später. Das zeigt natürlich, dass da kein Kontakt da war, aber dann ist es trotzdem furchtbar zu erfahren, die ist anonym bestattet worden. Oder, das ist der Willi, mit dem habe ich im Schützengraben gelegen und ich hab den nie wieder gefunden."

    Denn natürlich haben scheinbar anonym verstorbene Personen oft noch soziale Kontakte. Das weiß auch Ursula Feld, Leiterin der Arbeitsgruppe für ordnungsbehördliche Bestattungen der Stadt Köln. Häufig sind es ältere Menschen, deren Angehörige nicht mehr leben. Aber nicht nur:

    "Mitnehmen tut uns immer, wenn wir Kinder haben. Man kann es nicht festlegen. Es geht quer durch alle Gesellschaftsschichten."

    In der Bestattungspflicht sind in Nordrhein-Westfalen zuerst Ehepartner, dann Eltern, dann Geschwister, schließlich die volljährigen Enkel und die Großeltern. Freunde eines Verstorbenen haben keinen Anspruch auf Kostenbeihilfe vom Sozialamt, wenn sie denn einspringen wollen. Erklärt sich niemand zur Bestattung bereit, muss das Ordnungsamt einschreiten. Besonders häufig seien es die 40- bis 50-Jährigen, die sich weigerten ihre Eltern zu bestatten, sagt Feld.

    "Ein wesentliches Argument ist, kein Kontakt seit Jahren. Da müssen wir sagen, das interessiert das Gesetz überhaupt nicht. Oder Verfehlungen in der Vergangenheit, die Bestattungspflicht nicht beseitigen können. Oder ich schlage das Erbe aus, dann hab ich damit nichts zu tun. Das ist auch ein Trugschluss."

    Aus der Verpflichtung zur Bestattung kommen Angehörige nicht heraus: Das Ordnungsamt fordert von ihnen bis zu 2350 Euro für die Bestattung und den Verwaltungsaufwand zurück. Die günstigste Beerdigung ohne Amt ist heute dagegen schon für 1500 Euro möglich. Warum weigern sich die Angehörigen also, wenn sie mehr zu zahlen haben? Ursula Feld hat die Erfahrung gemacht, dass viele Betroffenen einfach nichts mehr für den Verstorbenen tun wollen. So ist die Zahl der ordnungsbehördlichen Bestattungen in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. 600 davon gibt es allein in Köln. Die Abschaffung des Sterbegeldes unter der Regierung Schröder im Jahr 2004 habe dazu beigetragen, heißt es aus dem Ordnungsamt. Doch es sei auch zu einer systemischen Verschiebung in der Gesellschaft gekommen.

    "Die systemische Problematik besteht darin, dass es nicht nur Menschen sind, die keine Angehörigen haben, sondern dass es kein Verantwortungsgefühl gibt. Menschen gehen in einer Großstadt anders verloren, als es in einer Kleinstadt oder Dorf der Fall ist. Das System Freundeskreis Familie wird immer kleiner. Wir haben durchaus auch Bestattungen im normalen Bereich, wo bei einem Finanzbeamten von 80 Jahren nur drei Leute auf der Beerdigung sind."

    Sagt Bestatter Brian Müschenborn. Doch Menschen, die niemand beerdigen wollte oder konnte, einfach in der Erde verschwinden zu lassen, das war Müschenborn unerträglich.

    "Nicht nur, dass ein Mensch so ratz-fatz entsorgt wird, muss ein Ende haben, sondern, ich glaube, jeder Mensch lebt schon noch in irgendwelchen sozialen Bezügen drin. Sie hat 'ne Nachbarin, 'ne nette Arzthelferin, die Kassiererin im Supermarkt, wo ein Pläuschchen stattfindet."

    Müschenborn wollte einen Raum zum Abschiednehmen schaffen. Er wandte sich mit dem Bestatter-Verband an die Kirchen und die Stadt und traf auf Gleichgesinnte. 2008 wurde die anonyme Bestattungspraxis abgeschafft. Eine Steele weist Namen und Gräber aus. Auch wurde ein monatlicher ökumenischer Gottesdienst für Unbedachte ins Leben gerufen: abwechselnd in einer evangelischen und einer katholischen Kirche. Vorher werden die Namen der Verstorbenen in einer Zeitungsanzeige veröffentlicht. Durch ehrenamtliches Engagement und Sponsoren entstehen der Stadt keine Zusatzkosten.

    An diesem Tag findet der Gottesdienst in der Antoniter City Kirche statt, mitten in Köln. 20 Trauernde sind gekommen. Man wolle einen würdigen Rahmen schaffen, um der Unbedachten zu gedenken, sagt der evangelische Pfarrer Markus Herzberg:

    "Der Gottesdienst ist immer gleich. Es gibt keine Predigt, immer dieselbe Liturgie, das heißt, es ist ein fester Rahmen. Das Ordnungsamt gibt uns die Namen derer, die bestattet wurden, und vor dem Altar wird das Buch vorgelesen. Die Namen und das Buch wird begleitet von einer Kerze in die Vitrine getragen, wo es aufgeschlagen in der jeweiligen Kirche liegt."

    Als die Gottesdienste ihren Anfang nahmen, kamen stets auch viele Nachbarn, teilweise sogar die Angehörigen: Ursula Feld vom Ordnungsamt macht das allerdings wütend.

    "Es kommt mit der Ärger hoch, wenn ich Leute im Gedenkgottesdienst sehe, die ich im Büro gesehen habe und die sich geweigert haben, vehement, lautstark, irgendwas für den Verstorbenen, Vater oder Mutter, zu tun, aber dann mit ihren Kindern im Gedenkgottesdienst auftauchen. Denn das ist verlogen. Für mich persönlich wird dann klar, dass bestimmte Sachen vorgeschoben werden: Lassen wir mal die anderen die Arbeit machen, aber in den Gottesdienst gehen wir und gedenken mal dem Opa, ne."