„Die Sanktionen haben dazu geführt, dass die Reichweite der russischen Staatsmedien sehr stark runtergegangen ist.“ Julia Smirnova, in Russland aufgewachsene Journalistin, hatte eine gute Nachricht dabei, beim Herbstgespräch des hessischen Verfassungsschutzes. „Der Traffic aus der EU zu RT-Seiten ist zu 74 Prozent eingebrochen.“
RT- das sind die Anfangsbuchstaben des russischen Auslandsfernsehens „Russia Today“, das seit 2014 auch in deutscher Sprache sendete. Nach dem Kriegsbeginn wurde die Ausstrahlung in der gesamten EU verboten. Ebenso wie das staatliche russische Medienportal Sputnik.
Expertin: Kreml geht bei Desinformation andere Wege
Julia Smirnova schrieb für den „Spiegel“ sowie die „Zeit“ und war überdies mehrjährige Korrespondentin der Zeitung „Welt“ in Moskau. Heute arbeitet sie als Politikberaterin und Analystin für das Institut für Strategischen Dialog – kurz ISD – in Berlin. Das Institut kooperiert unter anderem mit dem Auswärtigen Amt sowie dem Bundesinnenministerium. Ihre Botschaft: die Mediensanktionen gegen den Aggressor wirken, aber:
„Der Kreml versucht trotzdem, die gleichen Inhalte auf anderen Wegen nach Deutschland zu bringen. Über alternative Domains, aber auch sehr viel über verdeckte Accounts. Zum Beispiel die Inhalte von RT werden unter einem anderen Namen vermarktet wie `People Say´ oder `Deep documentary´. Und dann kommt auch es immer wieder zu verdeckten Operationen, die teilweise an private Akteure ausgelagert werden.“
Beispiel: Lügengeschichte aus der Voreifel
Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) erinnerte an ein auf Emotionen zielendes Fake-News-Video aus der Anfangsphase des Krieges aus dem nordrheinwestfälischen Euskirchen, dessen Spuren nach Russland führten:
„Ein herausragender Fall von Fake News in diesem Zusammenhang war die angebliche Tötung eines russischsprachigen Jugendlichen durch eine Gruppe von Ukrainern in NRW. Das Video, das in kurzer Zeit mehr als 150.000 Mal angesehen wurde, basierte auf einer frei erfundenen Lügengeschichte.“
Mahnung zu präziser Sprache
Tom Buschardt, Medientrainer in Pulheim bei Köln und langjähriger ARD-Redakteur mahnte bei der Podiumsdiskussion in Wiesbaden die hiesigen Medien, bei der Sprache zum Kriegsgeschehen in der Ukraine präzise zu sein, Begriffe nicht unkritisch zu übernehmen und erinnerte an ähnliche Diskussionen zu Beginn des Kosovokriegs 1999.
„Als die NATO damals im Kosovo eingegriffen hat, nannte man das in den NATO-Briefings eine Kampagne. Und da haben wir in der Redaktion zusammengesessen, kurz vor der Sendung, und haben gesagt: Wir können doch jetzt nicht von einer Kampagne sprechen. Und das ZDF hat das lange Zeit gemacht, wir haben die NATO-Briefings mehr oder weniger Eins zu Eins übersetzt.“ Es wurde beim ZDF weiter von einer Kampagne gesprochen, obwohl Bomben auf Belgrad fielen, so Buschardt.
Neues Portal gegen Verschwörungserzählungen
Das Land Hessen kündigt nun an, der Fake-News-Flut ein weiteres digitales Stopp-Schild entgegenzustellen. Ein neues Portal mit dem Namen „Der Fabulant“ soll mit informativen und humorvollen Beiträgen sollen über grassierende Verschwörungserzählungen aufklären. Peter Beuth, der hessische Innenminister: „Das wirkt im besten Fall auch Ängsten und Unsicherheiten entgegen, die infolge der jüngsten Krisen bei vielen Bürgerinnen und Bürgern entstanden sind.“
Doch die westlichen Demokratien erwiesen sich gerade als wehrhafter, als es die Autokraten in Russland und China erhofft hatten. Diese Meinung vertrat Andreas Fahrner vom Bundesnachrichtendienst. Die deutsche Gesellschaft sei durch die Pandemie genauso durchgekommen wie zuvor durch die Migrationskrise. „Wir haben jetzt einen Krieg in Europa und wir haben Energiepreissteigerungen und Inflation – da kommt schon viel auf uns zu. Aber gleichwohl, das Schiff schwimmt. Und wir sollten uns auch nicht immer auf uns selber konzentrieren.“ Das öffentliche Bewusstsein sei der Tod der Desinformation, glaubt der Geheimdienstler.