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Sanktionen gegen Russland
Schulz warnt vor leeren Drohungen

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hält den Beschluss für vernünftig, mit der Umsetzung weiterer Sanktionen gegen Russland noch zu warten. Derzeit laufe ein Dialog zwischen Russland und der Ukraine an. Die EU werde allerdings nicht ernst genommen, wenn sie immer nur drohe, sagte Schulz im DLF.

Martin Schulz im Gespräch mit Silvia Engels |
    Martin Schulz (SPD), der Präsident des Europäischen Parlaments
    Martin Schulz (SPD), der Präsident des Europäischen Parlaments (dpa / picture-alliance / Olivier Hoslet)
    In der Frage härterer Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Konflikts hätten die EU-Staaten nun ein hohes Maß an Übereinstimmung erreicht, sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Er halte es für "vernünftig zu sagen, wir sind zu harten Sanktionen bereit, wir verhängen sie aber noch nicht, weil wir dem anlaufenden Dialog zwischen Russland und der Ukraine eine Chance geben wollen." Es sei zwar möglich, dass Russlands Präsident Wladimir Putin nur spiele und ausreize, "wie weit er gehen kann, um zu vermeiden, dass es am Ende hart wird". Ebenso könnten die bereits verhängten Sanktionen aber auch zu einer Einsicht geführt haben, dass dieser Dialog jetzt tatsächlich nötig sei.
    Schulz hofft auf Umsetzung der Sanktionen
    Ein Problem ist laut Schulz , dass sich alle immer für Sanktionen aussprächen, einzelne Länder diese dann aber doch immer wieder infrage stellten, wenn ihre wirtschaftlichen Interessen betroffen seien - ob bei Gasimporten, Waffenexporten oder dem Einfrieren von Kapital. Schulz betonte, er hoffe deshalb, dass die derzeitigen Androhungen weiterer Sanktionen auch umgesetzt würden. Man könne nicht ernstzunehmend auftreten, wenn man in Wirklichkeit immer nur drohe, sagte der EU-Parlamentspräsident. Zudem müsse man die Bevölkerung darauf hinweisen, dass weitere Sanktionen gegen Russland auch negative Folgen für die EU haben könnten, etwa was Energiepreise und Im- und Exporte angeht.
    Die Botschafter der 28 EU-Länder beraten am Mittwoch in Brüssel über die geplanten Sanktionen gegen Russland. Die EU-Mitgliedsstaaten hatten das härtere Vorgehen zwar am Montagabend endgültig beschlossen, die Anwendung aber verzögert. Dies soll Russland einige Tage Zeit geben, sich im Ukraine-Konflikt um Frieden zu bemühen.

    Das Interview in voller Länge:
    Silvia Engels: Auf ihrem EU-Gipfel Ende August hatten sich die Staats- und Regierungschefs der EU im Grundsatz darauf verständigt, angesichts des russischen Eingreifens in der Ukraine-Krise härtere Sanktionen gegen Russland auf den Weg zu bringen. Sie sollten je nach russischem Verhalten zügig und konkret umgesetzt werden. Bislang ist diese Umsetzung aber noch in der Schwebe. Heute Vormittag beraten darüber erneut die EU-Botschafter. Vor gut einem halben Jahr sagte grundsätzlich zu Sanktionen EU-Parlamentspräsident Schulz im Deutschlandfunk:
    "Eins ist ganz klar: Wenn das Prinzip Krim ausgeweitet werden sollte auf andere Regionen, dann wird die EU sicher harte Sanktionen verhängen müssen."
    Engels: Herr Schulz, wir haben Sie noch einmal gehört. Tatsächlich sind ja seit März härtere Sanktionen der EU in Kraft. Ist aber mittlerweile der Punkt für noch härtere Schritte gegen Moskau erreicht?
    Schulz: Ich glaube zunächst mal, dass erreicht worden ist, dass die Länder sich auf gemeinsames Vorgehen geeinigt haben. Das war ja nicht immer ganz einfach in den letzten Wochen, weil die Interessenlagen der einzelnen Länder auch sehr unterschiedlich sind. Mein Gefühl war – ich war ja bei den Beratungen nicht dabei -, dass jetzt ein Punkt erreicht worden ist, wo ein hohes Maß an Übereinstimmung erzielt wurde. Und ich fand den Beschluss, der da gefasst worden ist, diesen konditionierten Beschluss, relativ vernünftig zu sagen, wir sind jetzt wirklich zu harten Sanktionen bereit, wir verhängen sie aber noch nicht, weil wir dem anlaufenden Dialog, den es ja jetzt gibt zwischen der Ukraine und der russischen Regierung, eine Chance geben wollen. Das fand ich relativ vernünftig. Wenn das aber scheitert, wenn es weiter aggressives Verhalten von Russland gibt, dann wird es sicher Sanktionen geben.
    Engels: Ist das denn wirklich ein anlaufender Dialog, oder erkennen Sie ein Muster, dass der russische Präsident Putin in der Ukraine-Krise immer dann zu Waffenstillstand und Gesprächen neigt, wenn Sanktionsbeschlüsse drohen oder große Gipfel tagen, um diesen Gipfeln die Spitze zu nehmen?
    Schulz: Das ist eine Frage - ich glaube, wenn ich sie Ihnen beantworten könnte, wäre ich glücklicher, als ich das bin, weil man ja Wladimir Putin nur schwer berechnen kann. Es kann sein, dass das so ist, wie Sie es in Ihrer Frage beschreiben, dass der spielt und es genauso macht: Immer ausreizen, wie weit kann ich gehen, um zu vermeiden, dass es am Ende hart wird, die anderen ziehen zurück und dann gehe ich wieder einen Schritt weiter. Das ist möglich. Es kann aber auch sein, dass die bereits verhängten Sanktionen, die nach meinem Kenntnisstand die Wirtschaft Russlands bereits treffen, dazu führen, dass der Dialog tatsächlich geführt wird. Da muss ich offen bekennen: Beides ist möglich. Ich hoffe, dass die letzte Variante, dass die Wirkungen der bisher verhängten Sanktionen zur Einsicht führen, dass, wenn man sich jetzt nicht einigt, es immer weitergeht und es härter wird und dass das dann auch Rückwirkungen auf Putins Popularität im Lande hat. Dass Druck im Lande von interessierten Kreisen aus der Wirtschaft auf ihn ausgeübt wird, sich vernünftiger zu verhalten. Das kann auch sein. Und ich hoffe, dass das der Weg ist und dass das der Grund ist, warum es jetzt so ist wie es ist.
    "Sanktionen können auch bei uns wirtschaftlich negative Folgen haben"
    Engels: Es wird vielleicht härter für Russland, aber möglicherweise dann im Gegenzug auch härter für die EU-Partner. In Rede aus Moskau stehen ja, möglicherweise keine Überflüge europäischer Fluggesellschaften mehr zu genehmigen, oder gar Rohstofflieferungen nach Europa zu reduzieren. Wird die EU das aushalten? Was nehmen Sie wahr aus den verschiedenen Lagern?
    Schulz: Bis dato habe ich wahrgenommen, dass alle immer für Sanktionen sind, aber dass das Sankt-Florians-Prinzip herrscht: "Sankt Florian, Du lieber Mann, verschon' mein Haus, zünd' andere an." Alle sind sich einig, wir brauchen Sanktionen, aber die einen sagen, bitte nicht bei den Gasimporten, die anderen sagen, bitte nicht beim Einfrieren des Kapitals, die dritten sagen, bitte nicht bei den Waffenexporten. Das haben wir ja alles in den vergangenen Wochen gesehen. Das ist genau der Punkt, auf den, glaube ich, die Leute in Moskau schauen, auf den Putin schaut. Wenn ich einen gegenüber sitzen habe, oder eine Gruppe von Menschen gegenüber sitzen habe, die zwar als Gemeinschaft auftreten, ich aber weiß, ich kann den einen gegen den anderen ausspielen, dann habe ich schon gewonnen. Deshalb hoffe ich, dass das, was es an Sanktionsdrohungen jetzt gibt, auch tatsächlich umgesetzt wird und nicht wieder, unmittelbar nachdem die Sanktionen beschrieben worden sind, nachdem ihre Verhängung angedroht worden ist, durch Einzelne die Sanktionen wieder infrage gestellt werden. Denn man kann nicht ernst zu nehmend auftreten und glauben, man würde auch ernst genommen, wenn man in Wirklichkeit immer nur droht.
    Umgekehrt glaube ich – und das war in Ihrer Frage ein ganz wichtiges Element -, wenn man wirklich dann die Sanktionen durchsetzen will, dann muss man die Bevölkerung hier bei uns auch darauf hinweisen, dass das zu Rückwirkungen, zu steigenden Energiepreisen unter Umständen, zur Verlangsamung des Wachstums, zur Einschränkung von Exporten oder Importen, zu Verlusten von Firmen, die in Russland investiert haben oder investieren wollen, führen kann. Ja, diese Sanktionen können auch bei uns wirtschaftlich negative Folgen haben.
    Engels: Sie sagen, Sie hoffen. Eine gewisse Skepsis haben Sie offenbar, dass die EU dann auch geschlossen steht. Wen sehen Sie denn als Wackelkandidaten, wenn es um Sanktionen geht?
    Schulz: Ich will da jetzt nicht einzelne Länder herausgreifen, Frau Engels. Aber wir wissen alle – und wir haben ja auch in den letzten Gesprächen, die wir geführt haben, es immer und immer wieder gesehen -, alle kommen angefahren. Sie kennen ja die Bilder: Die fahren dann vor, die Regierungschefs, vor dem Europäischen Rat, geben dann Interviews und sagen, jetzt ist aber Schluss, jetzt wird hier mal richtig aufgeräumt, mit der Faust auf den Tisch gehauen, und jetzt wollen wir doch mal... Und wenn die Türen dann verschlossen sind, dann sind die einzelnen wirtschaftlichen Interessen einzelner Länder so wichtig, dass dann wieder Einschränkungen angekündigt werden, Relativierungen beschlossen werden. Ich glaube, wir werden als Europäische Union mit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik vom Grundsatz her, nicht nur in diesem Fall, nur dann ernst genommen, wenn das, was man beschließt, am Ende auch das ist, was man umsetzt.
    "Poroschenko versucht Krieg zu vermeiden"
    Engels: Herr Schulz, dann wechseln wir die Perspektive. Sie reisen morgen wieder nach Kiew. Dort steht ja Präsident Poroschenko auch unter Druck von seinem eigenen Lager, den Kampf fortzusetzen. Was sagen Sie ihm?
    Schulz: Dass er nach meinem Dafürhalten einen sehr vernünftigen Kurs fährt. Poroschenko ist ein Mann, der unter allen Umständen zu vermeiden versucht, dass es Krieg gibt. Das muss, glaube ich, mal offen auch gesagt werden. Es droht nach wie vor – das wird immer schön umschrieben – eine bewaffnete Auseinandersetzung. Was ist das? Eine bewaffnete Auseinandersetzung ist Krieg. Poroschenko versucht, den Weg zu gehen, in einem Land, in dem die Menschen sich bedroht fühlen, alles zu tun, um einen Krieg zu vermeiden und zugleich sein Land zusammenzuhalten. Das ist nicht ganz einfach, oft eine Gratwanderung, und er ist in seinem Land auch unter Druck von Leuten, von Freischärlern, von Oligarchen, die ihre Milliarden nicht etwa an den Staat zahlen, sondern an militarisierte Verbände zahlen, die in ihrem, also im Namen der Oligarchen, und nicht im Namen der Ukraine handeln. Auf der anderen Seite hat er eine Armee, die nicht im besten Zustand ist. Er hat es nicht ganz einfach, der Herr Poroschenko, und deshalb: Was er auch braucht – das werde ich auch morgen in Kiew sagen – ist: Wenn wir Geld in die Hand nehmen, dann bitte, um die sozialen Ungleichgewichte in der Ukraine zu beseitigen, um dem Land zu helfen, über den Winter zu kommen, um die Wirtschaft im Land wieder anzukurbeln. Weil die innere Stabilität der Ukraine ist auch eine wichtige Voraussetzung, damit dasLand als Partner überhaupt mit Russland vernünftig reden kann.
    Engels: Weitere Perspektiven in Richtung EU können Sie nicht bieten?
    Schulz: Ganz sicher nicht! Ich glaube, dass wir das Assoziierungsabkommen jetzt unterschrieben haben. Ich habe mit Herrn Poroschenko vor 14 Tagen, als er hier in Brüssel war, vereinbart, dass wir auch als symbolischen Akt das Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der EU am gleichen Tag im ukrainischen Parlament und im Europaparlament verabschieden werden, also ratifizieren werden. Ich hoffe, dass das in der nächsten Woche geschehen kann, dass dann in Kiew und in Straßburg zeitgleich dieses Abkommen ratifiziert wird – auch ein wichtiges Signal, dass wir bereit sind, das Europäische Parlament, die EU-Institutionen insgesamt, mit der Ukraine auch vor der Weltöffentlichkeit zu demonstrieren, wir wollen auch eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit. Aber ehrlicherweise muss man sagen, ein schneller Beitritt der Ukraine zur EU ist sicher nicht möglich.
    Kein Kommentar zu Pierre Moscovici
    Engels: Das Stichwort EU-Institutionen haben Sie genannt. Lassen Sie uns ganz zum Schluss noch einen kleinen Schwenk vollziehen. Heute wird Jean-Claude Juncker seine Liste wohl für die neue EU-Kommission vorstellen. Es ist noch nicht sehr viel bekannt, aber wohl schon, dass tatsächlich der französische ehemalige Finanzminister Moscovici als Währungskommissar genannt ist. Was denken Sie von diesem Tableau? Wird er damit die Mehrheit im EU-Parlament bekommen?
    Schulz: Sie werden sicher Verständnis dafür haben, dass ich Jean-Claude Juncker jetzt nicht vorgreifen kann. Der wird heute Mittag seine Kommission in Struktur und von den Namen her vorstellen. Das gebietet auch der Respekt vor dem Kollegen und seinem Vorgehen als designiertem Kommissionspräsidenten, dass ich da jetzt nichts Kommentierendes zu sage, was Pierre Moscovici angeht. Wenn er dieses Dossier bekommen sollte, kann ich nur sagen, dass wir einen qualifizierten Kommissar haben werden. Und bis dato war es eigentlich guter Brauch, dass wenn ein Land einen Kommissar vorgeschlagen hat, nicht irgendein anderes Land da Kommentare zu abgibt. Ich habe aus Frankreich weder bewertende, positive, noch negative Äußerungen über Herrn Oettinger gehört. Mich hat die eine oder andere Äußerung über Herrn Moscovici aus unserer Hauptstadt schon auch überrascht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.