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Sanktionen gegen Russland
"Von der Krise profitiert nur China"

Mit seinen Sanktionen provoziere der Westen Russland vor allem, sagte der Historiker Christian Wipperfürth im Deutschlandfunk. Es wäre sinnvoll, in bestimmten Fragen auf Moskau zuzugehen - auch mit Blick auf die Weltpolitik.

Christian Wipperfürth im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Russlands Premier Putin und US-Präsident Obama 2012 beim G20-Gipfel in Mexiko.
    Beziehungen am Tiefpunkt: Russlands Premier Putin und US-Präsident Obama. (dpa/ei Nikolsky/Ria Novosti/Krem)
    Dirk Müller: Die Krim-Krise und die Folgen – darüber hat mein Kollege Jürgen Liminski mit dem Historiker und Russland-Experten Christian Wipperfürth von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik gesprochen. Was wird Putin zu den Sanktionen heute im russischen Parlament sagen?
    Christian Wipperfürth: Ich glaube, letztlich wird er auf Zeit spielen. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass Russland die Krim in nächster Zeit aufnehmen wird, sondern Russland wird die Krim als Hebel nutzen wollen, um mit dem Westen und um mit der Ukraine ins Gespräch zu kommen.
    Jürgen Liminski: Wenn es zu einer Eskalation der Sanktionen kommt, also wenn er nicht auf Zeit spielt, sondern tatsächlich auch von russischer Seite aus Sanktionen beschließt, wo kann so etwas enden? Oder mit anderen Worten: Was träfe Russland wirklich so empfindlich, dass Moskau in der Krim-Krise einlenken würde?
    Wipperfürth: Die Sanktionen, die bislang vom Westen beschlossen wurden, sind symbolischer Natur, erscheinen durchaus auch mitunter willkürlich. Mir ist zum Beispiel nicht klar, wieso nun ausgerechnet Walentina Matwijenko, die Vorsitzende des Föderationsrates, mit einem Einreiseverbot in den USA belegt wird. Bei einigen Personen ist es nicht so richtig klar, warum die nun rausgepickt wurden. So was Ähnliches könnte die russische Seite unternehmen, allein als Symbol. Welche Sanktionen wirklich weh tun würden, die täten auch dem Westen wirklich weh. An diese Art Sanktionen denkt aber letztlich niemand. Der Ölpreis und der Gaspreis haben sich in den letzten Wochen auch kaum verändert. Die Märkte rechnen auch nicht damit, dass es zu sehr ernsthaften Sanktionen kommt. Da wären sehr große US-amerikanische und britische Energiekonzerne auch sehr betrübt, weil die nämlich sehr stark engagiert sind in Russland.
    Liminski: Also nur symbolische Wirkung, sozusagen ein Muskelspiel mit Wirtschaftsfaktoren. Wenn Wirtschaftssanktionen nichts bringen, was schlagen Sie denn vor?
    Wipperfürth: Die sind kontraproduktiv, die Sanktionen, die jetzt verhängt wurden, weil das ist so, wie einen Bären mit Nadelstichen zu einem bestimmten Verhalten veranlassen wollen, und das führt eher dazu, dass er wild wird.
    Liminski: Und was schlagen Sie vor? Was sollte man stattdessen tun?
    "Auf Russland in bestimmten Fragen zugehen"
    Wipperfürth: Na ja, es wäre ein bisschen pessimistisch formuliert, wenn ich sage, dass das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Aber die Eskalationsspirale läuft ja nun schon seit ein paar Wochen. Man muss miteinander ins Gespräch kommen.
    Liminski: Wie kann man das machen?
    Wipperfürth: Indem der Westen auch direkt stärker auf Russland zugeht. Bislang wird vom Westen ja gefordert, dass Russland im Prinzip einseitige Schritte unternimmt, sich auf der Krim zurückzieht, die Eigenständigkeit, das Abstimmungsergebnis von gestern soll nicht anerkannt werden. Es wäre sinnvoll, auf Russland in bestimmten Fragen zuzugehen, bei denen die Russen gar nicht mal so schlechte Argumente haben, zum Beispiel, dass die offensichtlich rechtsradikalen Minister aus der ukrainischen Regierung aussteigen.
    Liminski: Ist das alles? Glauben Sie, dass Russland das beeindrucken würde?
    Wipperfürth: Nein, das ist noch nicht alles. Aber, ich glaube, ein wesentlicher Grund für das völkerrechtswidrige Eingreifen Russlands auf der Krim war, dass der Westen keine Sorge dafür getragen hat und sich auch nicht darum gekümmert hat, dass das Abkommen vom 21. Februar in Kiew eingehalten wurde. Das wurde in Anwesenheit der Außenminister von Deutschland, Frankreich und Polen unterzeichnet, ein Vertreter Russlands war dabei und die neue Kiewer Führung hat sich nicht daran gehalten. Also aus Moskauer Sicht entstand der Eindruck, die neue Kiewer Führung kann dann letztlich machen, was sie will, und der Westen guckt zu.
    Liminski: Aber der russische Vertreter bei diesem Ereignis hat auch nicht unterschrieben.
    Wipperfürth: Ja. Jedenfalls der polnische Außenminister meint, dass Präsident Putin den damaligen Präsidenten Janukowitsch sehr dazu gedrängt habe, zu unterschreiben. Russland hat wohl eine wichtige, wenn nicht unentbehrliche Rolle gespielt.
    Liminski: Mit solchen Maßnahmen, mit dem Zugehen des Westens auf Russland gewänne man vielleicht ein bisschen Zeit. Aber eine grundsätzliche Lösung der Ukraine-Frage ist das nicht, nämlich wohin gehört die Ukraine, zum Westen oder in den Einflussbereich Russlands. Wie kann eine grundsätzliche Lösung aussehen, mit der sowohl Russland als auch die Ukraine als auch der Westen leben könnten? Gibt es die überhaupt?
    "Ukraine kann weder rein westlich, noch rein östlich sein"
    Wipperfürth: Ich glaube, die Ukraine kann weder rein westlich, noch rein östlich sein. Die Ukraine war in den vergangenen 23 Jahren seit der Unabhängigkeit auch nie wirklich im Einflussbereich Moskaus, hat eine Pendelpolitik betrieben, mehr oder minder. Das ist jetzt in dem Maße nicht mehr möglich, weil sowohl die EU als auch Russland einen weit größeren Ehrgeiz zeigen, die Ukraine auf die eigene Seite zu ziehen. Das heißt, alle drei müssen gemeinsam miteinander sprechen, weil die Eifersüchteleien und die Konkurrenz, die es zwischen den beiden Großen um die Ukraine gab, die haben wesentlich zur Eskalation und zur Gewalt in der Ukraine beigetragen.
    Liminski: Der Historiker Michael Stürmer spricht vom Finnland-Status für die Ukraine, und das erinnert in der Tat fatal an die Zeiten des Kalten Krieges. Was bedeutet diese Krise denn weltpolitisch?
    Wipperfürth: Weltpolitisch bedeutet diese Krise, die Lösung für zahlreiche Krisenherde wird schwieriger. Ich denke an Syrien. Ich denke, möglicherweise wird es schwieriger in Bezug auf Afghanistan und den Truppenabzug westlicher Truppen. Der große Profiteur, wenn es überhaupt einen gibt, dieser Krise ist China. Der eigentliche Konkurrent des Westens ist der richtige Profiteur der Situation, dass sich Moskau und der Westen streiten.
    Müller: Mein Kollege Jürgen Liminski im Gespräch mit dem Historiker und Russland-Experten Christian Wipperfürth.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Der Russland-Experte Christian Wipperfürth ist "Associate Fellow” der “Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik” (DGAP).