Archiv


Sanktionen sind nützlich und legitim gewesen - es kann nicht Normalität werden, dass eine rechtsradikale Regierung oder Partei an der europäischen Gesetzgebung beteiligt ist

    Nutz: Was länger prophezeit wurde, ist gestern am frühen Abend tatsächlich wahr geworden. Die Sanktionen der 14 Mitgliedsländer der Europäischen Union gegen die Nummer 15 Österreich wurde aufgehoben. Eine bittere Entscheidung für die französische Ratspräsidentschaft, da Paris ja mit Urheber der Strafmaßnahmen war, gegen Wien und gegen die an der Regierung beteiligte FPÖ des Rechtspopulisten Jörg Haider. Sieben Monate waren die Sanktionen in Kraft und ebenso lange auch unter den Mitgliedsländern umstritten. Am Wochenende dann hatte ein von der EU beauftragter Rat der Weisen seinen Bericht veröffentlicht. Die Strafmaßnahmen seien kontraproduktiv, hat es darin geheißen, auch wenn die FPÖ weiterhin Anlas zu ernster Sorge böte. - Ich begrüße nun zum Thema Christian Sterzing, den europapolitischen Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion und auch Mitglied im Fraktionsvorstand der Partei. Guten Morgen!

    Sterzing: Schönen guten Morgen Frau Nutz.

    Nutz: Herr Sterzing, wie erwartet hat Frankreich mit der Aufhebung der Sanktionen dennoch einen Zusatz eingefügt. Die FPÖ als Regierungspartner in Wien solle weiter unter besonderer Wachsamkeit stehen. Was muss man sich denn darunter vorstellen?

    Sterzing: Es gibt keinen genauen Überwachungsmechanismus. Ich glaube was die EU-14 mit diesem Passus zum Ausdruck bringen wollen ist, dass sie eben auf der Grundlage des Berichtes, der ja, wie Sie schon erwähnt haben, erhebliche Sorge auch ausgedrückt hat gegenüber der FPÖ, weiterschauen wollen. Ich glaube man kann nicht sagen, dass die Sanktionen vergeblich gewesen sind. Sie sind durchaus auch nützlich gewesen. Der Bericht zeigt, dass es durchaus Anlas zur Sorge gab, dass diese Sanktionen nicht nur nützlich, sondern auch legitim waren angesichts des Anlasses. Und dass man dort genau schauen wird, halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Es kann in Europa nicht Normalität werden, dass eine rechtsradikale Regierung oder Partei an der europäischen Gesetzgebung beteiligt ist.

    Nutz: Nun muss man diese Diplomatensprache doch richtig verstehen. Die einen sprechen im Bericht von kontraproduktiv. Daraus macht dann Frankreich das Wort nützlich. Wie muss man das verstehen?

    Sterzing: Da möchte ich schon widersprechen. Das Problem ist, dass die meisten den Bericht natürlich nicht vollständig gelesen haben und eine sehr selektive Wahrnehmung einzelner Passagen in dem Bericht stattfindet. In dem Bericht der drei Weisen wird durchaus gesagt, dass diese Maßnahmen der EU-14 sinnvolle Wirkungen gehabt haben. Die österreichische Regierung habe sich erheblich angestrengt. Die europäischen Werte seien nicht nur in Europa gestärkt worden. Die österreichische Zivilgesellschaft habe eine zusätzliche Motivation für ihre Aktivitäten erhalten. Diese positiven Wirkungen werden in dem Bericht beschrieben. Es wird dann darauf hingewiesen, dass sie aber eben in der letzten Zeit kontraproduktiv wurden, weil sie in Österreich innenpolitisch, parteipolitisch, nationalistisch instrumentalisiert worden sind, weil in der österreichischen Politik eben nicht mehr so die innenpolitischen Themen und Reformen auf der Tagesordnung standen, sondern der nationale Schulterschluss gefragt war.

    Nutz: Herr Sterzing, was war denn an diesen Sanktionen nützlich?

    Sterzing: Wir haben in Österreich in den letzten Monaten zum Beispiel eine sehr rasche Regelung über die Zwangsarbeiterentschädigung aus österreichischer Perspektive erlebt. Wir haben einen Gesetzentwurf gehabt, der sich mit dem Schutz der Minderheiten in Österreich beschäftigt. Ich glaube, dass diese besondere Beobachtung, die Österreich zuteil wurde, gerade die österreichische Regierung dazu geführt hat, in besonderer Weise unter Beweis zu stellen, dass sie weiterhin diesen europäischen Grundwerten Demokratie, Minderheitenschutz, Rechtsstaat und so weiter verpflichtet ist. Insofern glaube ich, dass dieser Druck durchaus hilfreich war.

    Nutz: Unter besonderer Wachsamkeit soll die FPÖ stehen. Sie haben eben selber angemerkt, es ist dafür kein Mechanismus vorgesehen. Auf der anderen Seite will man nun auch über Mechanismen nachdenken, wie man in vergleichbaren Situationen, so heißt es, diese besser vorhersehen und besser handeln kann. Ist das überhaupt möglich? Wir haben in der Vergangenheit bei vergleichbaren Situationen ja erlebt, dass die EU entweder überhaupt nicht gehandelt hat und im Falle Österreichs erst gehandelt hat und dann über den Sinn der Aktion nachgedacht hat. Wie kann man solche Mechanismen ausdenken? Ist das überhaupt möglich?

    Sterzing: Ja. Es gibt bereits einen Mechanismus im EU-Vertrag. Der sagt im Artikel 7, dass bei gravierenden und andauernden Verletzungen der Grundwerte die Mitgliedschaftsrechte eines EU-Landes ausgesetzt werden können. Das ist aber bildlich gesprochen eine Keule. Erstens müssen quasi justiziable Verstöße vorliegen und zweitens ist der Stimmrechtsentzug eine ganz schwere Strafe. Ich glaube wir sind uns in der EU weitgehend einig, dass es eine niedrigere Schwelle für Interventionen geben muss. Europapolitik ist heute europäische Innenpolitik. Das ist nicht mehr reine Außenpolitik. Wir machen gemeinsam Gesetze in Europa und da müssen wir früher reagieren. Die drei Weisen sagen auch, wir brauchen einen Präventivmechanismus, der es ermöglicht, früh zu reagieren, anzuzeigen, dass dort Sorge ist. Ich glaube, dass jetzt auf der Regierungskonferenz eine gute Gelegenheit ist, hier über ein Verfahren nachzudenken, das ein früheres Eingreifen und Reaktionen auf einem niedrigeren Niveau als bisher im Vertrag vorgesehen ermöglicht.

    Nutz: Felix Austria, so konnte man Kanzler Schüssel gestern verstehen. Wien will nun seinerseits die EU-Partner beobachten und hat laut Gutachten der sogenannten drei Weisen dabei auch gute Karten. Man attestiert Österreich, dass es europäische Werte achtet und vor allem manchmal besseren Umgang in der Integration von Ausländern bescheinigt als in anderen Ländern. Wie weit wird der Schaden dieser Sanktionen in die Zukunft reichen?

    Sterzing: Ich glaube, dass eine wechselseitige Beobachtung durchaus möglich und notwendig ist. Wir sind in Europa auf eine vielfältige Weise miteinander verbunden, auch eben politisch. Insofern geht uns das, was in anderen Ländern passiert, durchaus etwas an. Ich glaube nicht, dass es unzulässig ist, sich auf diese Art und Weise mit den anderen Mitgliedsstaaten zu beschäftigen. So etwas wie eine unzulässige Einmischung in innere Angelegenheiten gibt es meines Erachtens nicht. Es ist vollkommen richtig, dass wir auch in anderen europäischen Ländern, nicht zuletzt natürlich in Deutschland fürchterliches erleben, was Rechtsextremismus, Gewalttaten gegen Ausländer und so weiter anbelangt. Hier müssen wir, glaube ich, in Europa alle zusammenhalten. Man muss nur deutlich sehen, dass auch ein Unterschied darin besteht, ob es solche Gewalttaten, rechtsextremistische Ausschreitungen in einem Land gibt, oder ob eine Partei - und das wird der FPÖ ja auch in dem Bericht bescheinigt - diese Stimmungen für Wahlkampfzwecke ausdrücklich ausnutzt. Das ist eine andere politische Qualität. Da wird auch ein Tabu gebrochen. Insofern glaube ich, dass es schon sinnvoll und richtig war, gerade eben auf die österreichische Entwicklung so zu reagieren. Das täuscht nicht darüber hinweg, dass wir alle ein Problem haben mit fremdenfeindlichen, ausländerfeindlichen und rechtsradikalen Parteien.

    Nutz: Wie steht es denn um die Glaubwürdigkeit europäischer oder innereuropäischer Politik? Wenn Sie sagen, diese Sanktionen waren nützlich, wir haben einiges erreicht, so hat man doch gemerkt, dass diese Sanktionen in der Praxis und auch in der Glaubwürdigkeit nicht wirklich durchzuhalten sind.

    Sterzing: Man muss sich wirklich genau anschauen, was die EU-14 damals beschlossen haben. Es wird ja jetzt auch immer wieder von der Aufhebung der Sanktionen geredet. Es waren keine Sanktionen. Die EU-14 haben auf dem niedrigsten diplomatischen Level beschlossen: wir frieren diese bilateralen Beziehungen etwas ein. Das ist auf der Eskalationsleiter möglicher diplomatischer Reaktionen auf irgendwelche Ereignisse die allerniedrigste Stufe. Wir müssen natürlich auch sehen, dass dies aus den unterschiedlichsten Gründen in Österreich, aber eben auch hier von der Opposition in Deutschland sehr stark aufgebauscht worden ist. Insofern glaube ich schon, dass die Maßnahmen ein Ausdruck dessen waren, dass diese Europäische Union auf dem Weg ist von der Wirtschaftsgemeinschaft zu einer Wertegemeinschaft. Die Reaktionen auf solche Maßnahmen sind natürlich ambivalent, aber ich denke sie machen diese Entwicklung deutlich. Die ist natürlich noch nicht abgeschlossen, aber wir sind auf dem Weg und da werden die Staaten auch untereinander neue Wege gehen, um einen geänderten Umgang miteinander auszuprobieren. Ich finde es sehr wichtig, dass wir auf diesem Weg sind und auf diesem Weg auch weitergehen.

    Nutz: Christian Sterzing im Deutschlandfunk, europapolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

    Link: Interview als RealAudio