Großbritannien leidet derzeit unter eine besonders starken Coronapandemie. Die Infektionszahlen sind wohl auch wegen einer neuen Virenvariante sehr hoch, die Krankenhäuser völlig überlastet. Ein Element der Gegenstrategie: Seit einer Woche wird auf der Insel die zweite Impfung hinausgezögert. Stattdessen erhalten mehr Personen ihre erste Impfung und damit wenigstens eine teilweisen Schutz vor SARS-CoV-2.
Währenddessen wird in Deutschland über den zögerlichen Impfbeginn viel geklagt. Trotzdem warnt die Ständige Impfkommission (STIKO) davor, die zweite Impfung hinauszuzögern. Warum das so ist, erläuterte der STIKO-Vorsitzende auf einer Pressekonferenz des Science Media Center.
Dlf-Wissenschaftsjournalist Volkhart Wildermuth erklärt, wieso es erst einmal verlockend klingt, möglichst vielen Menschen einen ersten Schutz zu geben und die zweite Impfung nachzuholen, wenn hoffentlich genug Impfstoff vorfügbar ist - denn es scheint, dass die Wirkung nach der zweite Impfung vielleicht sogar besser ist.
Volkart Wildermuth: Die Deutsche Gesellschaft für Immunologie hat in einer Stellungnahme und auch im Deutschlandfunkinterview gesagt: Wenn die zweite Impfung bis zu 60 Tage später kommt, ist die Wirkung vielleicht sogar besser. Die Immunologen verweisen auf allgemeine Erfahrung mit anderen Impfstoffen.
Aber das genügt dem Vorsitzenden der Ständige Impfkommission Thomas Mertens nicht. Dessen Mantra lautet: gesicherte Wirksamkeit, gesicherte Sicherheit. Und das geht nur über Daten, Daten, Daten. Und die fehlen noch für Änderungen am Impfschema.
Zehn bis vierzehn Tage nach der ersten Impfung bilden die meisten Menschen zwar Antikörper und sie sind dann auch etwas geschützt. Aber nach der zweiten Impfung, da haben sie 10 bis 20 Mal so viele Antikörper im Blut und dann erst greift dieser sehr hohe Schutz von um die 95 Prozent.
Gefahr einer möglichen Resistenz gegen die Impfung
Uli Blumenthal: Aber ist ein bisschen Schutz für viele nicht besser, als ein hoher Schutz für wenige?
Wildermuth: Erst einmal: der Schutz ist am Anfang wirklich nicht so gut, verschiedene Heime berichten ja, dass sich die geimpften alten Leute eine Woche später noch angesteckt haben.
Deshalb ist es so wichtig, trotz der Impfung weiterzumachen mit den ganzen Schutzmaßnahmen in den Heimen, Abstandhalten, FFP2-Maske, Schnelltests. Und es könnte sein, dass diese Phase der teilweisen Immunität, des Teilschutzes besonders problematisch ist, sagte der Virologe Florian Krammer aus New York.
Wenn jemand geimpft ist und infiziert sich, dann hat er nur wenige Antikörper und das Virus vermehrt sich trotzdem weiter. Dann hat es aber die Gelegenheit, sich genau an die durch die Impfung gebildeten Antikörper anzupassen. Es könnte resistent werden. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit dafür ist, das kann niemand sagen. Aber der Immunologe Harmut Hengel aus Freiburg verwies darauf, dass die verzögerte Impfung beim Mumps schon zur entstehung resistenter Varianten geführt hat.
Wenn so was bei SARS-CoV-2 passiert, gäbe es ein Problem, denn fast alle Impfstoffe nutzen ja das Spike-Protein. Wenn das Virus dagegen eine Impfung resistent wird, dann ist es gegen alle anderen wohl gleich mit resistent. Wie gesagt, ob das wahrscheinlich ist oder nicht, keiner weiß es. Aber das Risiko ist da, und deshalb sehen viele Experten die Verzögerung der zweiten Impfung in England als problematisch an.
Viele könnten eine 2. Impfung vergessen
Blumenthal: Kann man denn da nichts machen, um mehr Impfstoff zur Verfügung zu haben?
Wildermuth: Die STIKO sieht natürlich auch die Probleme und hat die Empfehlung in einem Punkt etwas aufgeweicht, könnte man sagen. In der Zulassung wird bei BioNTech der Mindestabstand zur zweiten Impfung auf drei Wochen festgelegt, bei Moderna sind es vier. Dieser Abstand ist notwendig, um eine erste Immunantwort aufzubauen, die dann mit der zweiten Spritze verstärkt und verfeinert wird. Aber es gibt in der Zulassung auch einen Höchstabstand von sechs Wochen. In der aktuellen Empfehlung wird ausdrücklich gesagt, das ist in Ordnung, so lange zu warten.
Letztlich ist das gar nicht mehr so weit entfernt, von dem Vorschlag der Deutschen Gesellschaft für Immunologie mit den 60 Tagen. Das aber wäre von der Zulassung nicht abgedeckt und über die will die STIKO nicht hinausgehen. Aus Gründen der rechtlichen Haftung und auch, um das Vertrauen in die Impfung hoch zu halten.
Was man auch nicht vergessen darf: Wenn die zweite Impfung jetzt variabel gehandhabt wird, dann stellt das die Impfzentren vor logistische Herausforderungen stellen. Und bei der langen Wartezeit, vergessen vielleicht manche, dass da noch eine zweite Impfung ansteht. Wichtig: die Impfung muss mit dem Impfstoff abgeschlossen werden, mit dem sie auch begonnen wurde.
Viele Wege, verfügbaren Impfstoff effektiver zu nutzen
Blumenthal: Gibt es noch andere Wege, die vorhanden Impfdosen effektiver zu nutzen?
Wildermuth: Bereits gestattet ist ja, wo immer es geht, sechs statt der garantierten fünf Impfungen aus einem BioNTech-Fläschchen herauszuholen. Spielraum gibt es auch, wenn Menschen sich auf natürlichem Wege mit SARS-CoV-2 angesteckt haben. Ein Impfung ist dann übrigens unproblematisch.
Aber es reicht danach vielleicht eine einzige Impfung aus, um den vollen Schutz zu erhalten. Dazu laufen gerade Studien. Und wenn sich jemand nach der ersten Impfung infiziert, dann erhält er ja sozusagen eine natürlich zweite Dosis, dann - so empfiehlt die STIKO - kann auf die zweite Impfung verzichtet werden. Das sind wohl eher Einzelfälle, aber das hilft, Impfstoff zu sparen.
Was bei dem Impfstoff von Moderna viel bringe würde, wäre, die Dosis zu halbieren. Hört sich erst einmal verrückt an, aber der Impfstoff enthält viel mehr der wirksamen RNA als der Impfstoff von BioNTech. Die Phase-2-Studien belegen, dass schon geringere Mengen hohe Antikörperspiegel auslösen. Aber auch das geht nur, wenn entsprechende Studien vorliegen und die Zulassung geändert wird. Also es sind eine ganze Reihe Wege vorstellbar, den verfügbaren Impfstoff effektiver zu nutzen, aber das geht nicht einfach so, sondern nur, wenn es auch harte Daten gibt.