Mario Dobovisek: Auch wenn es Teilen der Union nicht schmecken mag, Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen hat mit ihren Plänen für eine Zuschuss-Rente offenbar ein wichtiges Thema angestoßen. Laut ARD-"Deutschlandtrend" hat ein Drittel der Erwerbstätigen Angst vor Armut im Alter. 40 Prozent der Befragten sprechen sich für die Einführung einer Mindestrente aus. Selbst die SPD lässt es sich offenbar nicht nehmen und legt mit einem eigenen Rentenkonzept nach. Parteichef Sigmar Gabriel fordert demnach eine Mindestrente, eine Solidarrente von 850 Euro im Monat, die aus dem Bundeshaushalt erwirtschaftet werden soll, wie es heißt. Betriebsrenten sollen ausgeweitet werden, am angestrebten Rentenniveau von 43 Prozent eines Durchschnittslohns und der Rente mit 67 will Gabriel allerdings festhalten. Am Telefon begrüße ich den Juso-Vorsitzenden Sascha Vogt, den Chef der Jugendorganisation der SPD sozusagen. Guten Morgen, Herr Vogt.
Sascha Vogt: Einen schönen guten Morgen!
Dobovisek: Befindet sich Ihr Mutterschiff da auf richtigem Kurs, Herr Vogt?
Vogt: Man wird sich dieses Papier jetzt noch mal genau anschauen müssen, das ist ja erst gestern Abend veröffentlicht worden. Ich glaube, es gibt da Teile drin, die in die richtige Richtung gehen, ich glaube, man muss das tun für die Leute mit niedrigen Einkommen. Es gibt aber einen fundamentalen Fehler im Papier, eben dass man an die Frage des Rentensicherungsniveaus überhaupt nicht rangehen möchte, dass man weiterhin bei der Absenkung auf 43 Prozent bleiben möchte.
Dobovisek: Wie hoch sollte denn Ihrer Meinung nach das Rentenniveau ausfallen?
Vogt: Unsere Vorstellung ist, dass man zumindest am derzeitigen Stand, das sind rund 50 Prozent bleibt. Ich finde, es wäre auch für viele Beschäftigte einfach eine gute Aussage, wenn man sagen könnte, zumindest 50 Prozent des bisherigen Einkommens werden über die gesetzliche Rentenversicherung auch wirklich abgesichert.
Dobovisek: Wie wäre das zu finanzieren?
Vogt: Das ist relativ einfach zu finanzieren, das würde bedeuten, wenn sich alles so weiterentwickelt, wie das prognostiziert wird, dass man im Jahr 2030 über zwei bis drei Beitragssatzpunkte mehr sprechen würde, die paritätisch aufgebracht werden, das heißt anteilig, hälftig von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gezahlt werden.
Dobovisek: Das heißt, Sie halten, wenn ich das richtig deute, nichts davon, den Rentenbeitragssatz wie geplant im kommenden Jahr herabzusenken.
Vogt: Überhaupt nichts halte ich davon. Ich finde, der Deutsche Gewerkschaftsbund hat da einen guten Vorschlag gemacht – das bringt doch überhaupt nichts, jetzt kurzfristig den Beitragssatz zu senken, wenn ohnehin schon selbst bei Absenkung des Rentenniveaus klar ist, dass er in Kürze wieder ansteigen muss. Es wäre sinnvoller, den Beitragssatz dann bei dem derzeitigen Niveau jetzt erst mal zu halten, die überschüssigen Mittel dann aufzubewahren, quasi für schlechte Zeiten, und damit dann eine sogenannte Demografie-Reserve zu haben.
Dobovisek: Schauen wir uns doch noch mal die Angst vor der sogenannten Altersarmut an: Ein Praktikum hier, ein Projekt dort, eine Befristung für zwei Jahre, dann wieder ein Minijob – das ist durchaus Arbeitsrealität für viele Menschen unter 40. Führt diese neue Arbeitsrealität zwangsläufig in die Altersarmut?
Vogt: Tja, das ist mit Sicherheit zunächst auch mal ein arbeitsmarktpolitisches Problem. Das schönste Rentensystem bringt nichts, wenn man vorher prekäre Arbeitsverhältnisse hat, die Sie gerade beschrieben haben. Deswegen muss man arbeitsmarktpolitisch einiges tun. Wir brauchen den Mindestlohn, wir müssen schauen, dass wir Befristung wirklich nur dann machen, wenn sie absolut notwendig ist, das heißt, die sachgrundlose Befristung abschaffen, wir müssen Leiharbeit eindämmen – das alles ist richtig, das alles hilft aber nicht, um Altersarmut vorzubeugen, wenn man das Rentenniveau absenkt, weil die Zahlen von Ursula von der Leyen – in dem Punkt hat sie ja recht – haben ja gezeigt, dass selbst eine Person, die 40 Jahre lang gearbeitet hat und ein Durchschnittseinkommen von 2100 Euro im Monat bezieht, in Altersarmut dann leicht landen kann, und das kann nicht sein. Das sind ja keine prekären, wirklich prekären Beschäftigungsverhältnisse, wenn man ein konstantes Einkommen von 2100 Euro im Monat hat.
Dobovisek: Nun haben wir inzwischen allerdings auch gelernt, Herr Vogt, dass die Zahlen Ursula von der Leyens nicht durchweg stimmig sind, dass es nicht zu befürchten ist, dass ein Drittel aller Erwerbstätigen vor der Altersarmut steht. Was will die Politik da dieser Tage erreichen?
Vogt: Na gut, es kursieren in diesen Tagen unheimlich viele Zahlen und Berechnungen. Vieles von dem, was da gesagt wird, hat auch mit Vermutung zu tun. Ich sage auch immer, es ist sehr schwierig zu prognostizieren, was im Jahr 2030 genau sein wird. Wir wissen nicht, ob es irgendwie eine weitere Wirtschaftskrise oder gar mehrere Krisen geben wird. Wir wissen nicht, wie sich insgesamt die Wirtschaft entwickelt. Wir wissen nicht, wie sich der Arbeitsmarkt entwickelt – das alles sind Annahmen. Was man aber mit Sicherheit sagen kann, ist, dass das derzeitige System mit der Absenkung des Rentenniveaus schon dazu führen kann, dass ein erheblicher Teil der Beschäftigten in Altersarmut landen kann, weil man alleine aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem durchschnittlichen Einkommen nicht mehr leben kann. Das heißt, man braucht eine betriebliche Vorsorge oder private Vorsorge, und da wissen wir jetzt nach zehn Jahren, dass das keineswegs alle Beschäftigten erreicht und dass das Alibilösungen sind.
Dobovisek: Die SPD will ja, so haben wir gehört, an der Rente mit 67 festhalten. Sie sind vor einem Monat 32 geworden, Herr Vogt – wie alt werden Sie wohl sein, wenn Sie die erste Überweisung von der Rentenkasse erhalten? 70, 75, 80?
Vogt: Ich gehe doch mal davon aus, dass auch das eine Sache ist, die ich individuell jetzt überhaupt nicht prognostizieren kann. Was den Beschluss zur Rente mit 67 angeht, steht in dem Papier, soweit ich das jetzt kenne, auch, dass wir uns weiterhin auf unsere Einigung innerhalb der Partei berufen, dass wir sagen, Rente mit 67 erst dann, wenn ein größerer Teil der Beschäftigten überhaupt so lange arbeiten kann. Ich glaube, das ist die entscheidende Voraussetzung. Ich weiß gar nicht, wie es mir in 30 Jahren gesundheitlich zum Beispiel gehen wird, was ich beruflich bis dahin noch gemacht habe. Ich kenne auch aus meinem Arbeitsumfeld Leute, die durchaus kein Problem damit haben, länger als 65 zu arbeiten – andere wiederum sind mit Ende 50 körperlich einfach nicht mehr in der Lage zu arbeiten. Ich glaube, für die müssen wir eine vernünftige Lösung finden.
Dobovisek: Schauen wir noch mal auf die Riester-Rente. Sie haben es angesprochen, Herr Vogt, die erreicht durchweg nicht jeden Erwerbstätigen. Wann folgt der Ausstieg aus der Riester-Rente?
Vogt: Ich glaube, man muss nicht aus der Riester-Rente aussteigen, man muss sich aber überlegen, ob die Riester-Rente das halten kann, was versprochen werden sollte. Die Riester-Rente sollte eben diese Lücke, die durch die Senkung des Rentenniveaus entsteht, schließen. Nur stellen wir fest, dass maßgeblich die Leute mit höheren Einkommen die staatliche Förderung mitnehmen und die niedrigen Einkommensgruppen eben überhaupt nicht die Möglichkeit haben, oder warum auch immer, auf jeden Fall sorgen sie privat nicht vor und profitieren von der Förderung auch nicht. Da muss man sich noch mal genau anschauen, kann man den staatlichen Zuschuss dort entsprechend verändern, dass man zum Beispiel untere Einkommensgruppen noch mal stärker fördert. Ich glaube aber, das sind auch alles Scheinlösungen, ich glaube, wir kommen einfach nicht an der gesellschaftlichen Debatte vorbei, dass demografischer Wandel nun mal Geld kostet. Und alle, die was anderes behaupten, die lügen dort, das sind alles Verteilungsfragen, die geklärt werden müssen, gar keine Frage, aber ich sage, wir müssen diese Frage klären, und bin deswegen sehr klar für ein vernünftiges Sicherungsniveau aus der gesetzlichen Rentenversicherung, wo man einen stabilen Anspruch hat.
Dobovisek: Dann lassen Sie uns gemeinsam, Herr Vogt, zu einem anderen Thema kommen, das mindestens genau so viel Geld kostet und junge Generationen umtreibt, nämlich die überbordenden Schulden. Die Europäische Zentralbank steigt mit ihren Beschlüssen vom Donnerstag in die ihr eigentlich untersagte Staatsfinanzierung ein, kauft Anleihen von Krisenstaaten gegen den Willen der Bundesregierung, die Grünen-Politikerin Rebecca Harms in unserem "Interview der Woche", das Sie morgen ab 11:05 Uhr bei uns hören können, hat Folgendes gesagt:
Rebecca Harms: Was Draghi heute macht, ist eigentlich die hundertprozentige Konsequenz aus dem Nicht-Handeln, aus dem auch, finde ich, wider besseres Wissen Nicht-Handeln der deutschen Bundesregierung, die aus Angst vor einer schwierigen Debatte in Deutschland sich nicht trauen, die Instrumente zu unterstützen, die fast alle anderen Europäer für richtig halten.
Dobovisek: Rennen, Herr Vogt, alle anderen EU-Länder blind ins Verderben, oder sitzen die Blinden in Berlin?
Vogt: Ich glaube, in Berlin laufen ziemlich viele blinde Politikerinnen und Politiker von Schwarz-gelb rum, die nicht einsehen wollen, dass, wenn man eine gemeinsame Währungsunion hat, man auch eine wirkliche Fiskalunion braucht, die nicht nur daraus besteht, dass man Schuldenbremsen einführt, sondern wo man natürlich auch in einem gewissen Prozess darüber sprechen muss, wie man Schulden gemeinsam absichert. Denn das, was die EZB jetzt tut, kann ich ihr überhaupt nicht vorwerfen. Das muss sie eigentlich als Zentralbank auch tun, eben durch diese Anleihen-Aufkäufe ein bisschen Stabilität ins System zu bringen. Die Motivation der EZB ist jetzt ja nicht zu sagen, wir möchten unbedingt Staatsfinanzierung betreiben, sondern es geht darum, die Zinsen auf einem vernünftigen Niveau zu halten und damit zu einer Beruhigung zu kommen. Ich glaube, der richtige Schritt wäre in der Tat, über Euro-Bonds oder ähnliche Modelle zu sprechen. Da gibt es ja verschiedene Modelle, es geht ja auch überhaupt nicht darum, zu sagen, wir sollen jetzt irgendwie für alle Schulden aller Staaten aufkommen, das ist ja auch Unsinn, das will ja auch niemand, aber ich glaube, wir werden in den nächsten Monaten in Richtung eines gemeinsamen Europas gehen müssen.
Dobovisek: Also ein gemeinsames Schulden-Europa, eine Schuldenunion, Herr Vogt?
Vogt: Nein, ich sage, eine Fiskalunion, weil mich stört an dieser Debatte auch, dass man immer nur über Schulden redet. Ich finde, man muss auch über gemeinsame Einnahmen sprechen. Wir haben jetzt mit der Finanztransaktionssteuer einen ersten Baustein. Ich glaube, wir müssen aber zum Beispiel auch drüber sprechen, wie wir denn eine Mindestbesteuerung von Unternehmen und Kapitaleinkünften sicherstellen, weil es kann doch nicht sein, dass wir in einigen Staaten der Europäischen Union ganz, ganz niedrige Unternehmensteuern haben und wir somit zu einem Dumpingwettbewerb kommen. Ich glaube, auch das gehört eben zu einer Fiskalunion. Und ein Element einer solchen Fiskalunion ist in der Tat: Wie kann man gemeinsam Schulden absichern?
Dobovisek: Die Verbindung wird gerade ein bisschen schlechter. Allerdings trotzdem noch eine Frage: Sie fordern nicht die Schuldenunion, allerdings andere Politiker aus der SPD fordern das schon. Sind die dann ebenso blind wie jene aus Schwarz-gelb?
Vogt: Überhaupt nicht. Ich glaube, wir sind da in der SPD im Großen und Ganzen sehr einig. Ich mag nur dieses Wort Schuldenunion nicht, weil ich die Debatte nicht darauf beschränken würde zu sagen, wir müssen gemeinsam für Schulden haften, dann ist alles gut, sondern wir brauchen ja mehr gemeinsames Europa, eine stärkere Koordinierung der gesamten Fiskalpolitik, und da ist die Bedienung des Schuldendienstes nur eine Seite der Medaille, die andere Seite ist eben die Stärkung der Einnahmen, weiter noch dort zu einer Koordinierung zu kommen, das ist unser Bild, und da müssen wir in den nächsten Monaten drauf hinarbeiten.
Dobovisek: Der Juso-Vorsitzende Sascha Vogt über Rente und Schuldenkrise. Vielen Dank für das Gespräch!
Vogt: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Sascha Vogt: Einen schönen guten Morgen!
Dobovisek: Befindet sich Ihr Mutterschiff da auf richtigem Kurs, Herr Vogt?
Vogt: Man wird sich dieses Papier jetzt noch mal genau anschauen müssen, das ist ja erst gestern Abend veröffentlicht worden. Ich glaube, es gibt da Teile drin, die in die richtige Richtung gehen, ich glaube, man muss das tun für die Leute mit niedrigen Einkommen. Es gibt aber einen fundamentalen Fehler im Papier, eben dass man an die Frage des Rentensicherungsniveaus überhaupt nicht rangehen möchte, dass man weiterhin bei der Absenkung auf 43 Prozent bleiben möchte.
Dobovisek: Wie hoch sollte denn Ihrer Meinung nach das Rentenniveau ausfallen?
Vogt: Unsere Vorstellung ist, dass man zumindest am derzeitigen Stand, das sind rund 50 Prozent bleibt. Ich finde, es wäre auch für viele Beschäftigte einfach eine gute Aussage, wenn man sagen könnte, zumindest 50 Prozent des bisherigen Einkommens werden über die gesetzliche Rentenversicherung auch wirklich abgesichert.
Dobovisek: Wie wäre das zu finanzieren?
Vogt: Das ist relativ einfach zu finanzieren, das würde bedeuten, wenn sich alles so weiterentwickelt, wie das prognostiziert wird, dass man im Jahr 2030 über zwei bis drei Beitragssatzpunkte mehr sprechen würde, die paritätisch aufgebracht werden, das heißt anteilig, hälftig von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gezahlt werden.
Dobovisek: Das heißt, Sie halten, wenn ich das richtig deute, nichts davon, den Rentenbeitragssatz wie geplant im kommenden Jahr herabzusenken.
Vogt: Überhaupt nichts halte ich davon. Ich finde, der Deutsche Gewerkschaftsbund hat da einen guten Vorschlag gemacht – das bringt doch überhaupt nichts, jetzt kurzfristig den Beitragssatz zu senken, wenn ohnehin schon selbst bei Absenkung des Rentenniveaus klar ist, dass er in Kürze wieder ansteigen muss. Es wäre sinnvoller, den Beitragssatz dann bei dem derzeitigen Niveau jetzt erst mal zu halten, die überschüssigen Mittel dann aufzubewahren, quasi für schlechte Zeiten, und damit dann eine sogenannte Demografie-Reserve zu haben.
Dobovisek: Schauen wir uns doch noch mal die Angst vor der sogenannten Altersarmut an: Ein Praktikum hier, ein Projekt dort, eine Befristung für zwei Jahre, dann wieder ein Minijob – das ist durchaus Arbeitsrealität für viele Menschen unter 40. Führt diese neue Arbeitsrealität zwangsläufig in die Altersarmut?
Vogt: Tja, das ist mit Sicherheit zunächst auch mal ein arbeitsmarktpolitisches Problem. Das schönste Rentensystem bringt nichts, wenn man vorher prekäre Arbeitsverhältnisse hat, die Sie gerade beschrieben haben. Deswegen muss man arbeitsmarktpolitisch einiges tun. Wir brauchen den Mindestlohn, wir müssen schauen, dass wir Befristung wirklich nur dann machen, wenn sie absolut notwendig ist, das heißt, die sachgrundlose Befristung abschaffen, wir müssen Leiharbeit eindämmen – das alles ist richtig, das alles hilft aber nicht, um Altersarmut vorzubeugen, wenn man das Rentenniveau absenkt, weil die Zahlen von Ursula von der Leyen – in dem Punkt hat sie ja recht – haben ja gezeigt, dass selbst eine Person, die 40 Jahre lang gearbeitet hat und ein Durchschnittseinkommen von 2100 Euro im Monat bezieht, in Altersarmut dann leicht landen kann, und das kann nicht sein. Das sind ja keine prekären, wirklich prekären Beschäftigungsverhältnisse, wenn man ein konstantes Einkommen von 2100 Euro im Monat hat.
Dobovisek: Nun haben wir inzwischen allerdings auch gelernt, Herr Vogt, dass die Zahlen Ursula von der Leyens nicht durchweg stimmig sind, dass es nicht zu befürchten ist, dass ein Drittel aller Erwerbstätigen vor der Altersarmut steht. Was will die Politik da dieser Tage erreichen?
Vogt: Na gut, es kursieren in diesen Tagen unheimlich viele Zahlen und Berechnungen. Vieles von dem, was da gesagt wird, hat auch mit Vermutung zu tun. Ich sage auch immer, es ist sehr schwierig zu prognostizieren, was im Jahr 2030 genau sein wird. Wir wissen nicht, ob es irgendwie eine weitere Wirtschaftskrise oder gar mehrere Krisen geben wird. Wir wissen nicht, wie sich insgesamt die Wirtschaft entwickelt. Wir wissen nicht, wie sich der Arbeitsmarkt entwickelt – das alles sind Annahmen. Was man aber mit Sicherheit sagen kann, ist, dass das derzeitige System mit der Absenkung des Rentenniveaus schon dazu führen kann, dass ein erheblicher Teil der Beschäftigten in Altersarmut landen kann, weil man alleine aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem durchschnittlichen Einkommen nicht mehr leben kann. Das heißt, man braucht eine betriebliche Vorsorge oder private Vorsorge, und da wissen wir jetzt nach zehn Jahren, dass das keineswegs alle Beschäftigten erreicht und dass das Alibilösungen sind.
Dobovisek: Die SPD will ja, so haben wir gehört, an der Rente mit 67 festhalten. Sie sind vor einem Monat 32 geworden, Herr Vogt – wie alt werden Sie wohl sein, wenn Sie die erste Überweisung von der Rentenkasse erhalten? 70, 75, 80?
Vogt: Ich gehe doch mal davon aus, dass auch das eine Sache ist, die ich individuell jetzt überhaupt nicht prognostizieren kann. Was den Beschluss zur Rente mit 67 angeht, steht in dem Papier, soweit ich das jetzt kenne, auch, dass wir uns weiterhin auf unsere Einigung innerhalb der Partei berufen, dass wir sagen, Rente mit 67 erst dann, wenn ein größerer Teil der Beschäftigten überhaupt so lange arbeiten kann. Ich glaube, das ist die entscheidende Voraussetzung. Ich weiß gar nicht, wie es mir in 30 Jahren gesundheitlich zum Beispiel gehen wird, was ich beruflich bis dahin noch gemacht habe. Ich kenne auch aus meinem Arbeitsumfeld Leute, die durchaus kein Problem damit haben, länger als 65 zu arbeiten – andere wiederum sind mit Ende 50 körperlich einfach nicht mehr in der Lage zu arbeiten. Ich glaube, für die müssen wir eine vernünftige Lösung finden.
Dobovisek: Schauen wir noch mal auf die Riester-Rente. Sie haben es angesprochen, Herr Vogt, die erreicht durchweg nicht jeden Erwerbstätigen. Wann folgt der Ausstieg aus der Riester-Rente?
Vogt: Ich glaube, man muss nicht aus der Riester-Rente aussteigen, man muss sich aber überlegen, ob die Riester-Rente das halten kann, was versprochen werden sollte. Die Riester-Rente sollte eben diese Lücke, die durch die Senkung des Rentenniveaus entsteht, schließen. Nur stellen wir fest, dass maßgeblich die Leute mit höheren Einkommen die staatliche Förderung mitnehmen und die niedrigen Einkommensgruppen eben überhaupt nicht die Möglichkeit haben, oder warum auch immer, auf jeden Fall sorgen sie privat nicht vor und profitieren von der Förderung auch nicht. Da muss man sich noch mal genau anschauen, kann man den staatlichen Zuschuss dort entsprechend verändern, dass man zum Beispiel untere Einkommensgruppen noch mal stärker fördert. Ich glaube aber, das sind auch alles Scheinlösungen, ich glaube, wir kommen einfach nicht an der gesellschaftlichen Debatte vorbei, dass demografischer Wandel nun mal Geld kostet. Und alle, die was anderes behaupten, die lügen dort, das sind alles Verteilungsfragen, die geklärt werden müssen, gar keine Frage, aber ich sage, wir müssen diese Frage klären, und bin deswegen sehr klar für ein vernünftiges Sicherungsniveau aus der gesetzlichen Rentenversicherung, wo man einen stabilen Anspruch hat.
Dobovisek: Dann lassen Sie uns gemeinsam, Herr Vogt, zu einem anderen Thema kommen, das mindestens genau so viel Geld kostet und junge Generationen umtreibt, nämlich die überbordenden Schulden. Die Europäische Zentralbank steigt mit ihren Beschlüssen vom Donnerstag in die ihr eigentlich untersagte Staatsfinanzierung ein, kauft Anleihen von Krisenstaaten gegen den Willen der Bundesregierung, die Grünen-Politikerin Rebecca Harms in unserem "Interview der Woche", das Sie morgen ab 11:05 Uhr bei uns hören können, hat Folgendes gesagt:
Rebecca Harms: Was Draghi heute macht, ist eigentlich die hundertprozentige Konsequenz aus dem Nicht-Handeln, aus dem auch, finde ich, wider besseres Wissen Nicht-Handeln der deutschen Bundesregierung, die aus Angst vor einer schwierigen Debatte in Deutschland sich nicht trauen, die Instrumente zu unterstützen, die fast alle anderen Europäer für richtig halten.
Dobovisek: Rennen, Herr Vogt, alle anderen EU-Länder blind ins Verderben, oder sitzen die Blinden in Berlin?
Vogt: Ich glaube, in Berlin laufen ziemlich viele blinde Politikerinnen und Politiker von Schwarz-gelb rum, die nicht einsehen wollen, dass, wenn man eine gemeinsame Währungsunion hat, man auch eine wirkliche Fiskalunion braucht, die nicht nur daraus besteht, dass man Schuldenbremsen einführt, sondern wo man natürlich auch in einem gewissen Prozess darüber sprechen muss, wie man Schulden gemeinsam absichert. Denn das, was die EZB jetzt tut, kann ich ihr überhaupt nicht vorwerfen. Das muss sie eigentlich als Zentralbank auch tun, eben durch diese Anleihen-Aufkäufe ein bisschen Stabilität ins System zu bringen. Die Motivation der EZB ist jetzt ja nicht zu sagen, wir möchten unbedingt Staatsfinanzierung betreiben, sondern es geht darum, die Zinsen auf einem vernünftigen Niveau zu halten und damit zu einer Beruhigung zu kommen. Ich glaube, der richtige Schritt wäre in der Tat, über Euro-Bonds oder ähnliche Modelle zu sprechen. Da gibt es ja verschiedene Modelle, es geht ja auch überhaupt nicht darum, zu sagen, wir sollen jetzt irgendwie für alle Schulden aller Staaten aufkommen, das ist ja auch Unsinn, das will ja auch niemand, aber ich glaube, wir werden in den nächsten Monaten in Richtung eines gemeinsamen Europas gehen müssen.
Dobovisek: Also ein gemeinsames Schulden-Europa, eine Schuldenunion, Herr Vogt?
Vogt: Nein, ich sage, eine Fiskalunion, weil mich stört an dieser Debatte auch, dass man immer nur über Schulden redet. Ich finde, man muss auch über gemeinsame Einnahmen sprechen. Wir haben jetzt mit der Finanztransaktionssteuer einen ersten Baustein. Ich glaube, wir müssen aber zum Beispiel auch drüber sprechen, wie wir denn eine Mindestbesteuerung von Unternehmen und Kapitaleinkünften sicherstellen, weil es kann doch nicht sein, dass wir in einigen Staaten der Europäischen Union ganz, ganz niedrige Unternehmensteuern haben und wir somit zu einem Dumpingwettbewerb kommen. Ich glaube, auch das gehört eben zu einer Fiskalunion. Und ein Element einer solchen Fiskalunion ist in der Tat: Wie kann man gemeinsam Schulden absichern?
Dobovisek: Die Verbindung wird gerade ein bisschen schlechter. Allerdings trotzdem noch eine Frage: Sie fordern nicht die Schuldenunion, allerdings andere Politiker aus der SPD fordern das schon. Sind die dann ebenso blind wie jene aus Schwarz-gelb?
Vogt: Überhaupt nicht. Ich glaube, wir sind da in der SPD im Großen und Ganzen sehr einig. Ich mag nur dieses Wort Schuldenunion nicht, weil ich die Debatte nicht darauf beschränken würde zu sagen, wir müssen gemeinsam für Schulden haften, dann ist alles gut, sondern wir brauchen ja mehr gemeinsames Europa, eine stärkere Koordinierung der gesamten Fiskalpolitik, und da ist die Bedienung des Schuldendienstes nur eine Seite der Medaille, die andere Seite ist eben die Stärkung der Einnahmen, weiter noch dort zu einer Koordinierung zu kommen, das ist unser Bild, und da müssen wir in den nächsten Monaten drauf hinarbeiten.
Dobovisek: Der Juso-Vorsitzende Sascha Vogt über Rente und Schuldenkrise. Vielen Dank für das Gespräch!
Vogt: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.