Wer sich den Twitter-Account von Ziga Malek anschaut, sieht: Er ist niemand, der politische Ansichten regelmäßig öffentlich zur Schau stellt. Malek schreibt hier mal über Sport und mal über seine Katze, aber noch mehr über das Klima und wie es unsere Welt verändert. Damit kennt er sich aus. Am Institut für Umweltgeographie der Freien Universität Amsterdam forscht er als Assistenz-Professor zu „Landnutzung und Ökosystemdynamik“.
Er habe sich „Tausende von Satellitenbildern angesehen“, hält Malek nun in einem für ihn außergewöhnlichen Tweet fest. Das sei „der beste Weg, um zu sehen, wie wir unseren Planeten verändern“. Und ergänzt, noch nie habe er solche Gräueltaten gesehen wie auf einem Bild von Butscha. Das Bild, das an seiner Nachricht hängt, zeigt ein großes Gebäude, wahrscheinlich eine Kirche. Daneben zu erkennen: Straßen, Häuserdächer, Bäume.
Aber mehr? Auf den ersten Blick sind die dunklen Flecken auf den Straßen kaum zu erkennen. Es sind die Leichen, über die seit Tagen die ganze Welt spricht.
Das Bild stammt von Maxar Technologies, einer US-Satellitenbildfirma. Über Erkenntnisse zu den massenhaften Ermordungen im Kiewer Vorort Butscha berichtete zunächst die „New York Times“, die die Aufnahmen beauftragt hatte. Eine Recherche, die dann Medien weltweit verbreitet haben.
Zuvor hatte es bereits Bilder von Maxar gegeben über andere Kriegsvorgänge in der Ukraine, wie etwa russische Truppenbewegungen.
Bellingcat-Journalistin: Potenzial wird oft verschenkt
Ein Sprecher des privaten Unternehmens erklärte, die nun gemachten Bilder seien „hochauflösend" und sie "bestätigen die jüngsten Videos und Fotos in den sozialen Medien, auf denen Leichen zu sehen sind, die seit Wochen auf der Straße liegen".
Medien werten diese Bilder immer öfter aus. Über Stand und Entwicklung des „Satellitenjournalismus“ informierte vor Kurzem ein Artikel im Magazin „Fachjournalist“. Zu Wort kommt hier der Journalist Marcus Pfeil, der in der Vergangenheit etwa per GPS-Tracking recherchiert hat, wo sein alter Fernseher gelandet ist. Außerdem stellt Johanna Wild von der Rechercheplattform Bellingcat fest, es werde journalistisch zwar immer öfter mit Satellitenbildern experimentiert, doch am Ende mangele es an der tatsächlichen Analyse der Aufnahmen. Hier werde noch „oft Potenzial verschenkt“, so Wild.
Journalist Anthony: Demokratisierung bei Satellitenbildern
Der Markt für Satellitenbilder habe sich in den vergangenen fünf Jahren stark verändert, sagte Michael Anthony dem Deutschlandfunk. Der Unternehmer und Journalist hat gemeinsam mit Marcus Pfeil am Medieninnovationszentrum Babelsberg (MIZ) das Projekt Vertical52 zum Umgang mit Satellitendaten ins Leben gerufen hat. Denn, so Anthony: Es habe eine "Demokratisierung" stattgefunden, weg von einer rein militärischen Nutzung hin zu einer Nutzung auch für den Journalismus.
Hier gebe es inzwischen einfache Tools, die den Umgang mit solchen Daten möglich mache. Wichtig sei vor allem, dass die Aufnahmen richtig analysiert würden. "Ein Satellitenbild an sich ist immer zu starr in seiner Perspektive, es braucht einen lokalen Kontext, um es richtig zu interpretieren", so Anthony.
Grundsätzlich bestehe die "Fernerkundungsindustrie" aus öffentlich geförderten und privaten Anbietern. Der Vorteil an den Raumfahrtagenturen sei, dass sie ihre Daten kostenfrei zur Verfügung stellten. Die privaten Anbieter dagegen verfügten über eine höhere Auflösung und damit eine größere Genauigkeit. Und genau das sei im Kriegsfall nötig für eine forensische Analyse.
Weltraum-Experte: „Ein mächtiges Rechercheinstrument“
Von Satelliten gelieferte Daten könnten den Journalismus immer mehr bei ihren Recherchen unterstützen, stellt auch Tomas Hrozensky gegenüber dem Deutschlandfunk fest. Der Slowake forscht am Europäischen Institut für Weltraumpolitik in Wien zu diesem Thema. Und er beobachtet dabei einen wachsenden Markt von Unternehmen, die Regierungen, NGOs und auch Medien „maßgeschneiderte Partnerschaften“ anböten.
Satellitendaten könnten im Allgemeinen als „vertrauenswürdiges Instrument“ betrachtet werden, so Hrozensky. Möglichkeiten einer Manipulation oder Verfälschung seien „begrenzt“ und „in der Regel nachweisbar“. Die aktuellen Bilder von Butscha zeigten zudem, dass Satellitenbilder noch „leistungsfähiger“ seien, wenn sie mit anderen Quellen und technischen Lösungen wie beispielsweise Bodenuntersuchungen oder meteorologischen Daten kombiniert würden. Deshalb sei „eine wachsende Rolle von Weltraumtechnologien bei der Überwachung künftiger Krisen zu erwarten“, prognostiziert Hrozensky.
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In Europa seien die Daten des Satellitensystems Copernicus der EU frei verfügbar, hebt der Wissenschaftler hervor. Informationen, die Journalistinnen und Journalisten „ein mächtiges Rechercheinstrument an die Hand geben“ könnten – und das „nicht nur für die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen“.
Wissenschaftler: „Jeder kann Nachrichten überprüfen“
Auch Ziga Malek unterstreicht die Bedeutung der neuen technischen Möglichkeiten für seine Arbeit. Im schriftlichen Interview mit dem Deutschlandfunk erklärt der Umweltgeograph: „Was ich an Satelliten liebe: Egal, wie sehr verschiedene Regierungen behaupten, dass sie verschiedene Nachhaltigkeitsziele verfolgen – Satellitendaten liefern den Gegenbeweis.“ Ein gutes Beispiel sei hier Brasilien, wo Präsident Bolsonaro die jüngste Abholzung heruntergespielt habe, aber Satelliten dann das Gegenteil gezeigt hätten.
Er sei kein Kriegsexperte, so Malek, „aber ich kann anhand von Satellitendaten ziemlich gut erkennen, was auf dem Boden passiert“. Und die Satellitenbilder aus der Ukraine, „nicht nur aus Butscha“, hätten ihm das Ausmaß der „totalen Zerstörung“ bewusstgemacht.
„Normalerweise prüfe ich jedes Jahr, wie sich ein bestimmtes Gebiet verändert. Ich hatte nie das Bedürfnis, Satellitenbilder so oft zu überprüfen, da ich noch nie zuvor Grausamkeiten in einem solchen Ausmaß und in so kurzer Zeit gesehen habe. Aber jetzt sind wir alle mit Informationen ausgestattet, die wir täglich verfolgen können.“ Jeder könne heutzutage Nachrichten vom Weltraum aus überprüfen. Und er hoffe, so Malek, dass auch Journalisten das künftig tun werden.