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Satire beim Düsseldorfer Rosenmontagsumzug
"Die rote Linie ist noch lange nicht erreicht"

In Düsseldorf wird an diesem Sonntag der Rosenmontagsumzug nachgeholt. Die Wagen des Wagenbauers Jaques Tilly gelten dabei als die bissigsten - in diesem Jahr hat sich Polen über einen seinen Wagen beschwert. Doch Tilly lässt sich nicht einschüchtern: Es gehe ihm zwar nicht darum, "auf Teufel komm raus" zu provozieren, sagte er im DLF: "Trotzdem müssen wir das, was wir für die Wahrheit halten, ganz eindeutig auf die Wagen bringen."

Jacques Tilly im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Ein Karnevalswagen zeigt am 08.02.2016 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) das Motiv "Regierungswechsel in Polen" mit Jaroslaw Kaczynski, dem Vorsitzenden der Partei Prawo i Sprawiedliwosc (PiS). Foto: Federico Gambarini/dpa
    Über diesen Düsseldorfer Zugwagen konnten viele Polen nicht lachen: Er zeigt Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzenden der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit". Der polnische Außenminister Witold Waszczykowski hatte sich öffentlich darüber beschwert. (picture alliance / dpa / Federico Gambarini)
    Jürgen Zurheide: Wenn Sie sich an diesem Sonntag nach Düsseldorf verirren sollten, und kein Karnevalsfan sind - vorsichtig: Denn die Stadt feiert im März den Karnevalsumzug, der ausgefallen ist, weil es zu sehr gestürmt hat am regulären Karnevalstag. Mehrere hunderttausend Menschen werden erwartet. Es sollen sogar Kölner auf dem Weg von Köln nach Düsseldorf sein. Über dieses Thema wollen wir weniger reden, als über die Frage, welche Wagen werden wir da sehen? Da gibt es einen Wagenbauer, Jaques Tilly heißt er, er ist einer der bekannteren, aber auch einer der umstrittensten in Deutschland, weil er sich mit Vielen angelegt hat in der Vergangenheit über seine Karnevalswagen. Die gelten als die bissigsten überhaupt. Das führt uns zu der Frage: Was darf, was muss, was soll Satire, was darf sie vielleicht auch nicht? Genau darüber wollen wir reden und jetzt begrüße ich am Telefon Jacques Tilly, guten Morgen Herr Tilly!
    Jacques Tilly: Ja, guten Morgen!
    Jacques Tilly, Düsseldorfer Künstler und Wagenbauer
    Jacques Tilly, Düsseldorfer Künstler und Wagenbauer (dpa / picture-alliance / Federico Gambarini)
    Zurheide: Herr Tilly, zunächst einmal: Wie viel Proteste erwarten Sie denn am Wochenende, am Sonntagmorgen, wenn Sie da wieder neue Wagen auf den Weg schicken, von denen Sie uns natürlich jetzt noch nicht verraten, welche es sein werden?
    Tilly: Ja ich hoffe, dass keine Proteste kommen. Die Wagen sollen den Leuten ja gefallen. Und ich hoffe, dass auch die Gemeinden eine hohe Toleranzschwelle haben. Das ist ja nicht der Sinn der Sache, Proteste hervorzurufen, sondern wir wollen deftige, schöne, scharfe Satire machen.
    "Es ist nicht der Sinn der Sache, auf Teufel komm raus zu provozieren"
    Zurheide: Zumindest am richtigen Karneval in Düsseldorf, da haben Sie den einen oder anderen Wagen in diesem kleinen Zug ja laufen lassen und haben es in diesem Jahr geschafft - ich will das nicht als Erfolg werten, aber zumindest ist es aufgefallen -, dass sowohl der polnische Botschafter wie der türkische Botschafter sich beschwert haben, weil mal Kaczynski da satirisch zwischengenommen wurde von Ihrer Seite und dann auch Erdogan. Wie reagieren Sie auf so was?
    Tilly: Ja. Es ist ja ein gutes Recht zu protestieren. Wir leben ja hier in Deutschland zumindest in einer freien, offenen Diskursgesellschaft und jeder hat das Recht, seine Meinung da zu äußern und auch Protest loszuwerden. Ich habe halt eine andere Sichtweise auf die Dinge als die Gemeinden. Insofern ist das alles in Ordnung. Die rote Linie, die rote Grenze liegt da, wo Gewalt ins Spiel kommt, und das ist hier noch lange nicht erreicht, trotz des Shitstorms, den ich aus Polen geerntet habe.
    Zurheide: Wie wirkt das eigentlich auf Sie? Ist das befremdlich oder sagen Sie im Umkehrschluss, na ja, wenn ich so viel Proteste kriege, habe ich es vielleicht auch richtig gemacht? Wo ist da für Sie die Grenze, die Sie gerade selbst ansprechen?
    Tilly: Es ist nicht der Sinn der Sache der Karnevalswagen, auf Teufel komm raus zu provozieren und Leute wirklich zu verärgern und ganze Nationen zu verletzen. Das ist eigentlich nicht der Sinn. Trotzdem müssen wir natürlich das, was wir zumindest aus unserer Perspektive für die Wahrheit halten, ganz eindeutig auf die Wagen bringen, und wenn wir da Proteststürme ernten, dann frage ich mich schon, wie sieht es dort mit der Toleranz, mit der Pressefreiheit, mit der Meinungsfreiheit in diesen Ländern aus, die sich anscheinend über so einen harmlosen Karnevalswagen aufregen. Das muss man eigentlich aushalten können in einer pluralistischen Gesellschaft.
    "Da, wo in meinen Augen etwas schiefläuft, wird närrischer Senf dazu geliefert"
    Zurheide: Um das Bild jetzt noch mal für die zu beschreiben, die es möglicherweise nicht gesehen haben. Kaczynski haben Sie als den neuen Herrn in Polen gezeigt. Davor war jemand in einer demütigen Pose. Und bei Erdogan war es so, dass er das Blut trank, wo Sie "Kurden" draufgeschrieben haben. Das war jetzt die Kurzfassung.
    Tilly: Genau.
    Zurheide: Was passiert bei Ihnen vorher, dass Sie sich sagen, das muss ich dieses Jahr machen?
    Tilly: Na ja. Ich bin ja ein Homo Politicus und als politischer Mensch beobachte ich natürlich die Szene. Ich habe so meine eigenen moralisch-politischen Kriterien und da, wo in meinen Augen irgendetwas schiefläuft, dann wird dort närrischer Senf dazu geliefert. Und gerade im Fall der Türkei sieht man ja, dass Erdogan sich da zum Diktator aufspielt und Cäsarenwahn entwickelt und einen Krieg gegen die Kurden führt, die als einzige eigentlich einen sinnvollen militärischen Beitrag am Boden gegen den IS liefern. Das finde ich also skandalös, dass wir unserem NATO-Partner das erlauben. Und in Polen ist es ähnlich. Da greift auch die nationalkonservative Regierungspartei nach der Macht und missachtet die Verfassung, und das muss natürlich närrisch aufgespießt werden. Das ist ja wohl klar.
    "Der Freiheitsgrat einer Gesellschaft zeigt sich darin, wie weit Humor und Satire gehen dürfen"
    Zurheide: Sie haben das jetzt bezogen aufs Ausland beschrieben. Sie haben sich ja auch hier in Deutschland schon mit Mächtigen angelegt. Ich nenne mal nur Helmut Kohl, dann aber auch Kardinal Meisner war ein besonders, ich will nicht sagen, beliebtes Ziel, aber eines, von dem Sie glaubten, dass Sie das tun müssen. Ist das eigentlich unterschiedlich, der Protest, den Sie aus dem Ausland ernten, oder der, der dann von hier manchmal kommt?
    Tilly: Hier in Deutschland ist es wirklich so, dass die Gerichte alle immer entschieden haben, das ist künstlerische Freiheit. Da hat niemand eigentlich eine Chance, in irgendeiner Form juristisch gegen vorzugehen. Das wurde mir oft angedroht, aber alle Richter und alle Anwälte haben immer abgewunken und haben gesagt, das ist in Deutschland eben nun mal so, und da bin ich auch sehr glücklich drüber. Denn der Freiheitsgrat einer Gesellschaft zeigt sich für mich darin, wie weit Humor und Satire gehen dürfen, und da sind wir in Deutschland zum Glück ziemlich weit. Aber wenn ich ins Ausland schaue, dann sehe ich, dass die Maßstäbe doch etwas enger sind und auch immer enger werden. In Putins Russland ist so was nicht möglich, was wir hier machen, und wenn so einen Wagen, wie ich ihn jetzt zu Erdogan gebaut habe, in der Türkei gefahren wäre, dann wären alle, die daran beteiligt wären, in irgendwelchen Kellern verschwunden. Das ist ja wohl klar. Insofern gibt es natürlich schon Riesenunterschiede. Aber hier in Deutschland können Sie mir zum Glück wenig anhaben.
    Zurheide: Gibt es eigentlich für Sie eine Grenze, wo Sie sagen würden, na ja, da haben wir schon mal drüber nachgedacht und dann diskutieren wir - sind Sie das immer ganz alleine, oder diskutieren Sie so was in der Gruppe -, und haben Sie dann mal gesagt, nein, das machen wir doch nicht?
    Tilly: Ja, natürlich. Es kommen viele Ideen auf den Tisch. Die Ideen kommen alle von mir tatsächlich, die erste Anregung und auch die Themen. Aber dann diskutiere ich die mit meinem Team und vor allen Dingen natürlich mit den Karnevalisten, denn die verantworten ja den Zug und die müssen auch dahinter stehen. Wenn ich dann so einen breiten Konsens spüre nach dem Motto, super Idee, kann man machen, muss sein, dann sehe ich schon, der Wagen, der kann gebaut werden. Aber ich habe schon oft freche Motive in den Papierkorb geworfen, weil ich dachte, nein, das ist zu hart. Und dann habe ich sie wieder rausgeholt und habe gedacht, ach, kann man eigentlich doch machen, und das waren am Ende dann die besten Wagen, die am meisten Furore gemacht haben. So kann es auch gehen.
    Geheimhaltung der Wagen: "Das hat uns echte Narrenfreiheit verschafft"
    Zurheide: Auf der anderen Seite: Sie haben früher mal die Wagen immer vorher öffentlich gemacht, auch medienöffentlich. Dann hat es irgendwelche Ereignisse gegeben, da haben Sie gesagt, das machen wir ab jetzt nicht mehr. Warum?
    Tilly: Ja, das war in den 90er-Jahren. Da haben wir es so gemacht wie alle anderen Narrenhochburgen auch, Köln und Mainz: Die Entwürfe werden vorher gezeigt und werden in der Presse diskutiert, vor Rosenmontag. Dann gab es in den 90er-Jahren sehr viele Protestwellen. Die Katholische Kirche hat sich aufgespielt, es ging um Kruzifixe, die Wagen mussten verhüllt werden. Dann hat der Bund Deutscher Karnevalisten sich aufgeregt, mussten Wagen umgebaut werden. Manche durften dann gar nicht fahren, weil einfach der politische Druck zu groß war. Und dann hat unser Geschäftsführer im Jahr 2000 entschieden, wir zeigen nichts mehr vorher, ab jetzt sind Mottowagen geheime Kommandosache, und das hat uns auch wirklich echte Narrenfreiheit verschafft.
    Zurheide: Und die Narrenfreiheit bleibt erhalten. Auch an diesem Wochenende dürfen wir uns freuen. Verraten Sie ein bisschen was? - Nein, tun Sie nicht, oder?
    Tilly: Ich verrate nur, dass es einige schöne, freche, saftige neue Wagen gibt. Wir haben sechs neue Wagen gebaut, die Hälfte ausgetauscht der Mottowagen, damit auch die Düsseldorfer und alle Zugereisten frische närrische Ware am Rosensonntag sehen können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.