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Saubere Mädchen bekommen mehr Allergien

Ein bisschen Schmutz ist gut fürs Immunsystem, sagen die Anhänger der Hygiene-Hypothese, die zu viel Sauberkeit im Kindesalter für schädlich halten. Da Jungs sich immer noch eher dreckig machen dürfen, als Mädchen, müssten erwachsene Frauen auch anfälliger für Krankheiten sein als Männer. Bei einigen Leiden ist das offenbar tatsächlich so.

Von Marieke Degen |
    Ein bisschen Dreck ist gesund. Zumindest in den ersten Lebensjahren. Davon sind die Anhänger der Hygiene-Hypothese überzeugt. Wenn kleine Kinder regelmäßig im Stall spielen oder im Matsch graben, dann trainieren sie ihr Immunsystem. Zu viel Sauberkeit kann zu Allergien und Asthma führen, und möglicherweise auch zu Autoimmunerkrankungen wie Rheuma. Sharyn Clough ist von der Hygiene-Hypothese fasziniert. Die Philosophin von der Oregon State University hat diverse Studien darüber gelesen.

    "Was mich richtig schockiert hat: In keiner Studie wird erwähnt, dass Frauen mit Abstand am häufigsten an Allergien leiden - und auch öfter an Autoimmunerkrankungen wie Rheuma oder Multipler Sklerose."

    In den USA zum Beispiel leiden sechs Prozent aller Männer an Asthma. Bei den Frauen sind es neun Prozent, und Frauen sterben auch häufiger daran. Außerdem erkranken Frauen doppelt so oft an Multipler Sklerose, und dreimal so oft an Rheuma. Warum das so ist, weiß keiner.

    "Es gibt eine bekannte Studie zur Hygiene-Hypothese, die besagt, dass Kinder, die von Anfang an mit Haustieren aufwachsen, besser vor Allergien und Asthma geschützt sind. Die Forscher haben auch geschrieben, dass dieser Effekt bei Jungen viel größer war als bei Mädchen, aber dass sie keine Ahnung hätten, warum."

    Die Erklärung dafür liege doch auf der Hand, sagt Sharyn Clough. Es sei die Art und Weise, wie kleine Kinder sozialisiert werden. Vielleicht hätten sich die Jungen von ihren Haustieren ablecken lassen dürfen oder seien öfter mit ihnen draußen herumgetobt. Denn Jungs dürften sich schmutzig machen, Mädchen nicht. Das habe sich in den letzten 50 Jahren kaum geändert. Sharyn Clough hat dafür extra ganze Reihe soziologischer Studien ausgewertet, aus den USA, Kanada und Großbritannien.

    "Kleine Mädchen werden öfter in Klamotten gesteckt, in denen sie schlecht herumtollen können, in Kleidchen zum Beispiel. Sie spielen viel weniger an der frischen Luft, sie machen auch weniger Sport draußen als Jungen. Sie bekommen eher selten Spielsachen geschenkt, mit denen man im Dreck graben kann - Schaufeln und Bagger und solche Dinge. Außerdem werden Mädchen beim Spielen öfter von Erwachsenen überwacht."

    Auf diese Weise würden Mädchen systematisch vom Dreck ferngehalten, und damit auch von Keimen, die wichtig fürs Immunsystem sind.

    "Wenn wir davon ausgehen, dass Hygiene etwas mit Autoimmunerkrankungen und Allergien zu tun haben könnte, dann scheint es doch ziemlich offensichtlich, dass die Erziehung eine große Rolle spielt. Ich finde, das sollten sich die Epidemiologen genauer anschauen."

    Erika von Mutius ist Epidemiologin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sie erforscht Allergien und Asthma bei Kindern. Sharyn Cloughs Ansatz findet sie nicht uninteressant. Aber bestätigen kann sie ihn nicht.

    "Im Kindesalter ist das anders als im Erwachsenenalter, im Kindesalter haben mehr Buben Asthma als Mädchen, und deswegen ist diese Idee, dass Mädchen, weil sie sauberer aufwachsen als Buben, mehr allergische Erkrankungen haben, mehr Asthma haben, nicht haltbar, es ist genau andersherum. Im Kindesalter haben die Buben mehr Asthma, mehr Heuschnupfen, mehr allergische Reaktionen."

    Das ändert sich dann plötzlich in der Pubertät.

    "Ja das ist ein ulkiges Phänomen. Das Geschlechterverhältnis kehrt sich in der Pubertät um. Diejenigen, die in der Pubertät neu Asthma bekommen, sind mehr die Mädchen, und auch später im Erwachsenenalter sind es in der Tat mehr die Frauen, warum das so ist, hat bislang wirklich noch keiner verstanden,"

    Es gibt dazu nur wenig Daten, aber immerhin ein paar Hinweise. Und die haben auch mit Sauberkeit zu tun. Frauen, die viel mit Putzmitteln hantieren, haben offenbar ein höheres Asthma-Risiko als andere.

    "Allerdings ist unklar, ob diese Putzmittel von sich aus Chemikalien erhalten, die dieses Risiko erhöhen, was ja auch sehr gut denkbar ist, oder ob es tatsächlich ein indirekter Effekt ist, nämlich dadurch, dass da viel geputzt wird, dass da im Sinne der Hygienehypothese einfach weniger Dreck ist und dass das Asthmarisiko erhöht. Das hat aber keiner geklärt."

    Dafür müssten noch viel mehr Studien gemacht werden.