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Sauberer Sprit unter Druck

Die Ära von Benzin und Diesel nähert sich – so scheint es – dem Ende. Das Öl wird knapp, zudem qualmt aus den Auspuffen der heutigen Autos das klimaschädliche Treibhausgas CO2. Einen goldenen Ausweg verspricht der Wasserstoff. Die Vision: Wasserstoff soll in großen Mengen und überall auf der Welt aus Wasser und grünem, regenerativ erzeugtem Strom gewonnenwerden.

Von Frank Grotelüschen | 09.07.2006
    Hamburg, Haltestelle Niendorf Nord. Leise nähert sich ein Linienbus, schick lackiert in silbermetallic. "Fuel Cell Bus", steht auf der Seite, auf deutsch Brennstoffzellenbus. Er sieht kaum anders aus als ein gewöhnlicher Bus. Nur sein Dach ist etwas höher.

    Fahrer Rainer Benthien drückt auf einen Knopf. Der Elektromotor startet, der Bus setzt sich in Bewegung. Aus dem Auspuff kommt keine stinkende Wolke aus Ruß und Kohlendioxid, sondern eine matte weißliche Schwade. Es ist reiner Wasserdampf.

    Der Bus von Rainer Benthien fährt mit Wasserstoff. Das Gas kommt aus einem Drucktank auf dem Dach und wird in ein Spezialaggregat geleitet, die Brennstoffzelle. In ihr reagiert der Wasserstoff mit dem Sauerstoff aus der Luft. Heraus kommen Wasserdampf und Strom – Strom, der über einen Elektromotor die Räder des Busses antreibt. Eine ganz andere Art von Antrieb als ein Dieselmotor. Wie fährt sich der Bus?

    "Wie ein ganz normaler Standardbus. Überhaupt kein Unterschied festzustellen. Das einzigste: Er ist leiser und vibrationsfreier."

    Benthien drückt aufs Gaspedal, das Gefährt beschleunigt ganz normal. Es hat mehr als 300 PS unter der Haube, genauso viel wie ein Dieselbus. Die Fahrgäste sind angetan.

    "Schöner ist es, das Fahren. Er fährt leiser."
    "Also ich finde ihn ganz toll."
    "Sehr interessant. Neue Technologien. Ich denke mal, dass das auch sauber ist."

    Das Gefährt von Rainer Benthien ist einer von neun Wasserstoffbussen, die derzeit im Hamburger Linienbetrieb fahren. Die neun Busse gehören zu einem groß angelegten EU-Projekt: Clean Urban Transport for Europe, kurz CUTE. CUTE startete im Herbst 2003 und sollte zeigen, dass sich die Wasserstofftechnologie nicht nur im Labor bewährt, sondern auch im rauen Alltag. Ein Schlüsselprojekt. Denn Wasserstoff gilt als der Energieträger für den Verkehr der Zukunft – als Treibstoff für die Autos von morgen.

    Professor Dan Sperling, Universität von Kalifornien, Davis/USA.

    "Wasserstoff ist eine mögliche Lösung des Ölproblems und Klimaproblems. Außerdem kann er helfen, die Luftverschmutzung zu verringern. Aber um eine Wasserstoffwirtschaft in Gang zu bringen, müssen sich die Energieversorger grundlegend umstellen, ebenso die Automobilkonzerne. Das kann dauern. Doch in Regionen, die massiv auf Wasserstoff setzen, könnte der Übergang ziemlich schnell passieren."

    Hugo Vandenborre, Firma Hydrogenics, Oevel/Belgien.

    "Fossile Kraftstoffe sind auf wenige Stellen konzentriert, vor allem auf den mittleren Osten. Dort holt man das Öl aus dem Boden, um es dann mit viel Aufwand nach Europa zu transportieren. Wasserstoff hingegen lässt sich aus Wasser und Strom erzeugen – vor allem auch mit dem Strom, der aus Solarzellen, Wind und Wasserkraft kommt. Wir könnten also zu Hause unseren eigenen Treibstoff erzeugen – einen Treibstoff, der uns ganz neue Möglichkeiten bietet."

    Lyon, Mitte Juni. Hugo Vandenborre und Dan Sperling sind zwei von rund 1000 Fachleuten, die ins Kongresszentrum am Standrand geströmt sind. Der Anlass:

    Der Weltkongress für Wasserstoffenergie.

    Die Schirmherren: Jacques Chirac, Staatspräsident Frankreich, Manuel Baroso, Präsident der EU-Kommission.

    Der Gastredner: Janez Potocnik, EU-Forschungskommissar.

    Die Sponsoren: Shell, Renault, Total, BP.

    Eine Liste prominenter Namen. Sie zeigt: Wasserstoff steht hoch im Kurs bei Politik und Industrie.

    In den USA läuft die Wasserstoff-Initiative, ausgerufen von George Bush persönlich. Das Budget: 1,2 Milliarden US-Dollar, verteilt auf einen Zeitraum von fünf Jahren. Japan und die Europäische Union haben nachgezogen und ähnlich finanzstarke Programme aufgelegt.

    In der Tat: Die Vision klingt viel versprechend, und zwar aus zwei Gründen. Erstens:

    Mit Wasserstoff macht man sich unabhängig vom Öl. Denn Wasserstoff lässt sich aus Wasser und Strom gewinnen. Und Wasser und Strom gibt es überall – jedenfalls im Prinzip.

    Zweitens: Wasserstoffautos stoßen reinen Wasserdampf aus, also weder Schadstoffe noch das Treibhausgas CO2. Wird der Wasserstoff, mit dem die Autos fahren, regenerativ erzeugt, etwa mit Wind- oder Solarenergie, hat man einen durch und durch sauberen Energieträger im Tank.

    Gute Gründe, unsere Ölgesellschaft in eine Wasserstoffwirtschaft zu verwandeln – finden die Befürworter. Ihr Zeitplan: Jeremy Bentham, Shell Hydrogen, Den Haag/Niederlande.

    "Wir sehen die Möglichkeit, in den nächsten Jahren die ersten kommerziellen Brennstoffzellen auf den Markt zu bringen – vor allem als Batterieersatz für tragbare Geräte wie Laptops. In fünf Jahren dürfte die Technologie soweit sein, dass sie – vorausgesetzt man produziert in Serie – auch bei PKWs für den Verbraucher attraktiv und bezahlbar wird. Bis Ende des nächsten Jahrzehnts könnte so eine Massenfertigung angelaufen sein. In diesem Fall könnten im Jahr 2020 in Europa 5 bis 10 Millionen Wasserstofffahrzeuge auf den Straßen fahren. Und wenn die Rahmenbedingungen stimmen, könnte diese Zahl anwachsen bis auf 300 Millionen Fahrzeuge im Jahre 2050."

    Aber: Die Stimmen der Skeptiker werden immer lauter.

    "Wir müssen ein Energieproblem lösen und nicht ein Energieverteilungsproblem."

    Ulf Bossel, Chef des Europäischen Brennstoffzellenforums, Luzern/Schweiz.

    "Wasserstoff ist ja keine Energiequelle, sondern lediglich ein Energieträger, d.h. ein Transportmittel für Energie. Und niemand würde zum Beispiel das Wasserproblem in der Sahelzone dadurch lösen, dass er Wassertransportmittel, sprich Eimer, an die Leute verteilt. Sondern hier müssen neue Quellen erschlossen werden. (1:03) Wir haben die Wasserstoffwirtschaft untersucht und die verschiedenen Schritte, die da wesentlich sind. Und wir haben festgestellt, dass sie alle sehr, sehr verlustbehaftet sind. Und deshalb meinen wir, dass die Wasserstoffwirtschaft nicht der richtige Weg ist, um das Energieproblem zu lösen."

    Bossels Haupteinwand: Bei Produktion und Verbrauch von Wasserstoff geht viel zuviel Energie verloren.

    "Es geht schon damit los, dass wir Wechselstrom haben, den wir in Gleichstrom umwandeln müssen: 5 Prozent Verluste. Dann wird der Gleichstrom in den Elektrolyseur getan. Dort wird Wasser gespalten: 30 Prozent Verluste. Und hinterher haben wir eine Brennstoffzelle, die aus dem Wasserstoff wieder Strom macht – mit einem Wirkungsgrad von höchstens 50 Prozent. Dann hat der Kunde zum Schluss wieder das, was er auch hätte haben können, wenn er den Strom aus der Steckdose geholt hätte. Nur: Im Vergleich zur Steckdose, wo 90 Prozent der ursprünglichen Energie ankommen, ist bei Wasserstoff nur noch 25 Prozent nutzbar."

    Gleich mehrere Fragen scheinen noch offen.

    Wie lässt sich Wasserstoff effektiv speichern? Ist Wasserstoff sicher? Und lässt sich Wasserstoff überhaupt wirtschaftlich herstellen?

    Eines ist klar: Der Übergang zum Wasserstoffauto würde einen kompletten Systemwechsel mit sich bringen. So gut wie alles wäre anders als heute.

    Brennstoffzellen statt Diesel- und Benzinmotoren. Drucktanks oder tiefgekühlte Flüssigtanks statt simpler Metalltanks. Wasserstoffpipelines und Wasserstofftankstellen statt Tanklaster und Dieselzapfsäule.

    Auch die Herstellung von Wasserstoff müsste komplett anders laufen. Bislang braucht man ihn vor allem in der chemischen Industrie. Und dafür wird er aus Erdgas hergestellt. Dem Klima hilft dieser Wasserstoff nicht.

    Die Vision der nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft sieht vor, den Wasserstoff ohne fossile Brennstoffe und ohne Treibhausgas-Emissionen zu erzeugen. Ideen dafür gibt es genug.

    Andalusien, Südspanien. Auf dem Gelände des Forschungszentrums "Plataforma Solar" stehen 300 Spiegel, jeder groß wie eine Plakatwand. Sie bündeln das Sonnenlicht auf einen einzigen Punkt – auf die Spitze eines Betonturms. Der Turm ist 80 Meter hoch und steht am Rand des Spiegelfelds.

    Der Spiegel Nummer 5 0 3 wird getestet. Per Funk gibt Ingenieur Thorsten Denk das Kommando.

    Stück für Stück rückt der Spiegel weiter, getrieben von einem Elektromotor. Diese automatische Nachführung sorgt dafür, dass der Sonnenstrahl den ganzen Tag lang auf die Turmspitze zielt.

    Im Turm fährt der Fahrstuhl nach oben, dorthin, wo die Lichtstrahlen der Spiegel ankommen. Aufgefangen werden sie vom Receiver – einem Gebilde, das aussieht wie die Schubdüsen eines Raketentriebwerks.

    "Das Licht kommt von unten hier an. Und die Receiver sind mit 35 Grad geneigt, schauen also praktisch nach unten auf das Feld. Das Sonnenlicht kommt hier mit einer Konzentration von etwa 500fach an und wird noch mal um den Faktor 4, auf 2000fach, konzentriert.”"

    Autor: Das reicht, um Temperaturen bis zu 2000 Grad Celsius zu erzeugen. Mit dieser Hitze will Aldo Steinfeld von der ETH Zürich Wasserstoff erzeugen, und zwar in einem speziellen chemischen Reaktor.

    "Zuerst spaltet der Reaktor Zinkoxid in Zink und Sauerstoff. Dann lassen wir das Zink mit Wasser reagieren. Als Resultat erhalten wir Wasserstoff. Und wir erhalten Zinkoxid, das wir in einem Kreislauf wiederverwerten. Unsere Methode hat das Potenzial, Wasserstoff mit einem Wirkungsgrad von mehr als 50 Prozent zu erzeugen. Im Prinzip kann also mehr als die Hälfte der eingesetzten Sonnenenergie in Wasserstoff umgesetzt werden."

    Dass die Sache funktioniert, hat Steinfeld mit einem kleinen Prototyp bewiesen. Nur: Ob das visionäre Konzept auch im großen, industriellen Maßstab funktioniert, wird wohl erst in 10 oder 15 Jahren klar sein. Andere Fachleute wollen den Wasserstoff biologisch herstellen.

    Methode 1: Bakterien zersetzen biologisch abbaubaren Müll und erzeugen Biogas. Dessen Hauptbestandteil ist Methan, und aus diesem Methan lässt sich per Dampfreformierung Wasserstoff gewinnen. Methode 2: Man heizt Biomüll und Pflanzenreste unter Sauerstoffabschluss bis auf 1000 Grad auf. Es bildet sich ein wasserstoffhaltiges Synthesegas, aus dem der Wasserstoff herausgefiltert wird.

    Bent Sörensen, Universität Roskilde, Dänemark.

    "Im Labormaßstab gibt es das schon. Bis zur Markteinführung dürfte es aber noch Jahre dauern. Der Kraftstoff würde jedenfalls auf unseren eigenen Feldern wachsen. Und das gäbe uns eine gewisse Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit vom Erdöl und von den politischen Entwicklungen im mittleren Osten."

    Nur: Es ist fraglich, ob genug Wasserstoff vom Acker gewonnen werden kann, um wenigstens zehn oder 20 Prozent des Bedarfs zu decken. Und:

    "Wenn wir Biomasse für den Energiesektor nutzen wollen, wäre es viel nahe liegender, direkt Biokraftstoff draus zu machen als mit viel Aufwand Wasserstoff. Bereits heute gibt es ja Autos, die mit Erdgas fahren und die könnten genauso gut mit Biogas fahren. Ich denke, das wäre schon in ein paar Jahren machbar."

    Deshalb favorisieren die meisten Fachleute zur Herstellung von Wasserstoff die Elektrolyse.

    Ein Aggregat namens Elektrolyseur spaltet mit Strom Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff. Um den Wasserstoff klimaneutral zu erzeugen, darf der Strom nicht aus Kohle- und Gaskraftwerken kommen. Er muss regenerativ erzeugt werden, durch Wasserkraft, Solarenergie – oder durch Wind.

    Der Hafen von Esbjerg an der Westküste Dänemarks. Wir klettern an Bord der "Spar S", ein orange gestrichenes Lotsenboot.

    Eine knappe Lagebesprechung, dann geht's los. Wir legen ab und fahren aufs offene Meer, Kurs Westnordwest. 35 Kilometer liegen vor uns; zwei Stunden sind wir unterwegs. Unser Ziel: Horns Rev, der weltweit erste Windpark auf hoher See.

    Am Horizont tauchen schemenhaft die Rotoren auf, 70 Meter hohe Türme, jeder mit drei mächtigen Rotorblättern, jeweils 40 Meter lang.

    "Das ist der größte Offshore-Windpark der Welt – 80 Turbinen mit je zwei Megawatt Leistung, insgesamt 160 Megawatt. Das ist der erste Offshore-Windpark, der seinen Namen wirklich verdient. Horns Rev befindet sich weit draußen auf hoher See."

    Jens Nybo Jensen arbeitet beim dänischen Energieversorger Elsam. 270 Millionen Euro hat Elsam in den Windpark Horns Rev gesteckt. Die Investition soll sich lohnen, weil hier fast immer eine steife Brise weht und die Windmühlen fast doppelt soviel Strom ernten wie die Rotoren an Land. Weiter westlich in der Nordsee soll ein ähnlicher Windpark entstehen – allerdings mit anderem Ziel.

    ""Wir planen ein Projekt, bei dem wir aus dem Strom unmittelbar Wasserstoff erzeugen wollen."

    Frank Richert, Firma Geo, Enge-Sande/Schleswig-Holstein.

    "Wenn wir von einer Tagesproduktion von 150 bis 160 Tonnen Wasserstoff ausgehen, dann kommen wir auf eine Jahresproduktion von ca. 25.000 Tonnen Wasserstoff. Und das wäre ausreichend für eine Fahrzeugflotte von ungefähr 170.000 bis 200.000 Autos."

    Ein Windpark auf hoher See, der Wasserstoff erzeugt. Der Name des Projekts: H220. Die Vision: 80 riesige Rotoren leisten 400 Megawatt – soviel wie ein mittelgroßes Kohlekraftwerk.

    "Das Projekt H220 liegt in einem Bereich, wo die einzige Erdgas-Förderplattform in Deutschland steht – im sog. Entenschnabel, 180 km entfernt von der Küste. Dort wird derzeit Erdgas gewonnen und über eine Erdgas-Pipeline an Land transportiert. Irgendwann sind diese Felder ausgebeutet. Wir erwarten hier einen Bereich von 2020. Wir würden also versuchen, die bestehende Infrastruktur weitgehend zu nutzen."

    Der Wasserstoff soll durch die vorhandene Erdgas-Pipeline an Land kommen.

    "Da ist sicherlich noch Forschungsbedarf. Wasserstoff ist ja ein sehr kleines Element, kommt überall durch, zwängt sich also auch durch die unbemantelten Stahlrohre. Hier müssen also bestimmte Beschichtungen aufgebracht werden, die verhindern, dass der Wasserstoff durch diese Rohre diffundiert."

    Billig wäre der Wasserstoff von der Hochsee allerdings nicht.

    "Da kämen wir ungefähr auf Kosten von ca. 1 Euro pro Dieseläquivalent. Man muss natürlich feststellen, dass dieser 1 Euro unversteuert – die reinen Produktionskosten und Transportkosten – wären. Die ist natürlich um den Faktor 3 bis 4 so hoch wie derzeit Benzin und Diesel."

    Der Preis für umweltfreundlichen Wasserstoff ist hoch – zu hoch. Wann er billiger wird, ist derzeit schwer abzuschätzen.

    In Hamburg steuert Rainer Benthien seinen Wasserstoffbus auf den Betriebshof. Hier steht die Tankstelle: ein Container mit massiven Drucktanks.

    Benthien öffnet eine Klappe über dem Scheinwerfer und betätigt die Hauptsicherung. Sie schaltet den Strom im Bus komplett ab, damit ja kein elektrischer Funke den Wasserstoff entzündet.

    "Die Tür geht nicht mehr zu – also ist der Strom ausgeschaltet. Und jetzt kann er betankt werden."

    Jetzt geht Benthien zum Heck und öffnet die Haube. Wir stehen vor einem Metallklotz mit Zahnriemen – der Elektromotor samt Getriebe. Der Strom kommt über ein Kabel vom Dach des Busses. Dort stecken die Brennstoffzellen und der Wasserstofftank.

    "Deswegen ist das Fahrzeug schwerer, also kopflastiger. Oben sind ungefähr 1,5 Tonnen mehr Gewicht, das sich bei Kurvenfahrten auch eventuell bemerkbar macht."

    Benthien nimmt ein gartenschlauchdickes Kabel zur Erdung von der Zapfsäule und stöpselt es in den Bus.

    Nun hievt er den Tankstutzen von der Säule und verschraubt ihn mit dem Bus. Ein Knopfdruck – und das Wasserstoffgas strömt in den Tank. Wie bei jeder Zapfsäule setzt sich der Zähler in Bewegung.

    "Das ist jetzt Anzeige in Kilogramm. Das Fahrzeug fasst bis maximal 42 Kilo Wasserstoff mit einem Druck von 350 Bar."

    Sagt Benthiens Chef Manfred Kriese. 20 Kilogramm Wasserstoff braucht der Bus auf 100 Kilometer. Die Tankstelle ist ein Versuchsprojekt. Sie wird nicht von Tanklastern beliefert, sondern erzeugt ihren Wasserstoff selbst, mit grünem, regenerativ erzeugtem Strom. Das Herzstück ist der Elektrolyseur – eine metallene Apparatur groß wie ein Mittelklassewagen, die Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspaltet. Den Wasserstoff drückt ein Kompressor in die Hochdrucktanks. Der Sauerstoff wird einfach in die Luft gepustet.

    "Das ist reiner Sauerstoff. Deswegen haben wir hier ein bisschen Kur. Bad Hummelsbüttel sagen wir schon."

    An der Zapfsäule läuft die Uhr immer langsamer. Dann bleibt sie stehen, eine grüne Lampe leuchtet auf. Rainer Benthien hängt die Zapfpistole ein, schraubt das Kabel ab, und fertig ist die Prozedur. An sich ist er zufrieden mit dem Wasserstoffbus. Nur das Tanken dauert noch zu lange – eine Viertelstunde. Und auch die Reichweite ist nicht üppig, sie liegt bei 200 Kilometern. Um sie zu steigern, bräuchte es bessere Wasserstoffspeicher als die Drucktranks auf dem Dach des Busses.

    Bessere Speicher für Wasserstoff – das ist eines der großen Themen auf dem Weltkongress in Lyon.

    Wasserstoff besitzt eine geringe Energiedichte. Ein Liter Flüssigwasserstoff enthält gerade mal ein Zwölftel jener Energiemenge, die in einem Liter Benzin steckt. Heute wird Wasserstoff entweder mit bis zu 700 bar in Drucktanks gespeichert. Das sind klobige Zylinder, zu groß für einen Pkw. Oder er wird bei minus 253 Grad Celsius flüssig gelagert, das kostet Aufwand, Platz und Energie. Also suchen die Fachleute nach Wegen, wie man kleine Tanks mit großem Fassungsvermögen bauen kann.

    Richard Chahine, Universität Quebec, Kanada.

    "Wenn man die Reichweite eines typischen amerikanischen Autos von mehr als 500 Kilometern anstrebt, schaffen das weder die Drucktanks noch die Flüssigtanks. Man muss also Alternativen suchen. Eine davon ist, den Wasserstoff in Materialen zu speichern. Genau solche Systeme sind es, nach denen Wissenschaft und Industrie nun suchen."

    Die Forscher setzen auf zwei Systeme – auf Metallhydride und auf nanoporösen Kohlenstoff.

    Metallhydride sind Metalllegierungen, die Wasserstoff regelrecht aufsaugen. Dabei zersetzt sich das H2-Molekül in seine Bestandteile, in zwei Atome. Diese Atome passen in die Zwischenräume des Metallgitters und werden dort chemisch gebunden. Nanoporöser Kohlenstoff hingegen ist gespickt mit winzigen Poren aus Kohlenstoff, in denen das Wasserstoffmolekül nicht chemisch gebunden, aber doch eingefangen wird. Beide Ansätze versprechen kleinere, kompakte Tanks, sind aber lange noch nicht ausgereift.

    "Nanoporöse Materialen zeigen zwar eine akzeptable Speicherkapazität, funktionieren aber nur bei viel zu tiefen Temperaturen. Und Metallhydride schaffen bislang nicht die erwünschte Kapazität. Deshalb sucht man nun nach besseren Hydriden, die mehr Wasserstoff aufnehmen können, insbesondere Borhydride. Doch das Problem ist, den Wasserstoff wieder aus diesen Materialien herauszulösen. Wir suchen derzeit nach Katalysatoren, die das unterstützen."

    Welche dieser Speichertechniken könnte den Durchbruch bringen, könnte die großen Druck- und Flüssigtanks ersetzen? Der Fachmann zuckt mit den Achseln.

    "Ich wünschte ich wüsste es. Vielleicht brauchen wir ja eine Art Kombination der beiden Ansätze – der nanoporösen Materialien und der Metallhydride. "

    Ein weiterer kritischer Punkt der Wasserstofftechnologie: das Thema Sicherheit.

    "Es ist ein besonders leichtes Gas im Vergleich zu den anderen Brenngasen. Es ist um den Faktor 10 fast leichter. Die zweite kritische Eigenschaft ist die Zündwilligkeit, wenn es vorgemischt ist mit Luft, und die Detonationssensivität, die sich ableitet aus einer relativ hohen Brenngeschwindigkeit."

    Thomas Jordan, Forschungszentrum Karlsruhe. Koordinator von HySafe, einem europäischen Netzwerk für Wasserstoffsicherheit.

    "Besonders in geschlossenen Räumen muss man darauf achten, dass keine brennbaren Gemische entstehen. Man muss darauf achten, dass die gesamte Technik perfekt dicht ist und keine Freisetzungen dieses Gases entstehen können. Das ist besonders heikel, weil Wasserstoff die Eigenschaft einer hohen Diffusivität aufweist. Daneben muss man natürlich darauf achten, wenn es zu Freisetzungen kommt, dass diese Freisetzungen über Ent- und Belüftungsmaßnahmen verdünnt werden, sodass man dann unterhalb der kritischen Gemischlagen ist."

    Entweicht Wasserstoff im Freien, ist das ungefährlich – er entfleucht schlicht nach oben. Anders die Situation in einem Tunnel oder einer Garage. Hier muss eine Entlüftung dafür sorgen, dass sich der Wasserstoff nicht mit der Luft zu einem explosiven Knallgas vermischen kann. Eine Garage muss genügend viele Belüftungsschlitze haben, ein Tunnel leistungsfähige Ventilatoren.

    "Es ist nicht ganz klar, ob die gegenwärtigen Garagen wirklich umgerüstet werden. Wir meinen: wahrscheinlich nicht. Wir wollen belegen, dass die vorhandenen Belüftungsmaßnahmen ausreichend sind. Beim Tunnel ist es sicherlich zu erwägen. Da wird es sicherlich Geld kosten, wenn man es nicht schafft, mit den vorhandenen Verhütungsmaßnahmen solche Vorkommnisse wie ein Umschlag in eine Detonation zu vermeiden. Wenn man sich vorstellen würde, man würde dem nicht Rechnung tragen und würde einen spektakulären Unfall mit Wasserstoff riskieren, dann wäre der volkswirtschaftliche Schaden aus so einem Ereignis erheblich größer als das Investment vorher in solche Infrastrukturen."

    Will heißen: Ein sicherer Umgang mit Wasserstoff ist machbar. Aber er kostet Geld.

    Mai 2006. In Hamburg ziehen die Macher von CUTE Bilanz. Zwei Jahre lang sind 27 Wasserstoffbusse im Linienbetrieb gefahren, nicht nur in Hamburg, sondern auch in acht weiteren Metropolen, in Porto etwa, Amsterdam, Barcelona und London.

    "Die Busse sind wirklich sehr gut gelaufen."

    Heinrich Klingenberg, Firma Hysolution, Hamburg.

    "Sie haben unsere Erwartungen sowohl im täglichen Betrieb als auch der gesamten Einsatzfähigkeit der Brennstoffzellen deutlich übertroffen. Wir waren am Anfang davon ausgegangen, dass wir vielleicht 2000 Stunden erreichen können. Wir liegen bei einigen Fahrzeugen heute schon bei dem Doppelten. Auch klimatische Unterschiede, beispielsweise Kälte in Stockholm oder Hitze in Barcelona haben kaum einen Unterschied ausgemacht."

    850.000 Kilometer haben die 27 Busse zurückgelegt und vier Millionen Fahrgäste befördert. Technische Schwierigkeiten gab es allenfalls im Detail. Das Manko liegt woanders – beim Preis.

    "Unser Problem ist natürlich, dass die Fahrzeuge deutlich teurer sind und dass durch Optimierung der Technik und größere Stückzahlen wir noch einiges erreichen müssen."

    Die Brennstoffzellen sind noch mindestens um den Faktor 10 zu teuer. Und auch die Busse müssen optimiert, müssen leichter und sparsamer gebaut werden – etwa durch elektrische Radnabenmotoren oder eine intelligente Bremsenergierückgewinnung. Bei ihr wirkt der Motor beim Bremsen als Generator, der die Bremsenergie in eine Batterie speist.

    Die Erzeugung von Wasserstoff, seine Speicherung, seine Verteilung, seine Sicherheit – bei allen Punkten sind noch Fragen offen. Aber: Für all diese Probleme existieren Lösungsansätze, gibt es Ideen. Sollten die technischen Hürden gemeistert sein – wie könnte sie aussehen, die Wasserstoffwirtschaft der Zukunft? Das ist die Lieblingsfrage der Experten auf dem Weltkongress in Lyon.

    "Wasserstoff kann dann eine Rolle spielen, wenn wir effiziente Fahrzeuge haben."

    Stephan Ramesohl, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie.

    "Das Wasserstoffauto der Zukunft muss vor allem eines sein: Es muss ein effizientes Auto sein. D.h. wir brauchen zuerst das 3-Liter-Auto ungeachtet dessen, mit was es betrieben wird. (2:23) Der Wasserstoff kommt aus unserer Sicht dann zum Zuge, wenn wir ab 2030 einen hohen Anteil an erneuerbaren Energien im Stromsystem haben. Das bedeutet drastischer Ausbau der Offshore-Winderzeugung in Deutschland, in Europa. Das bedeutet ab 2030 der zunehmende Import von Sonnenstrom aus Südeuropa und Nordafrika."

    Jeremy Bentham, Shell Hydrogen.

    "Die Bedingungen müssen stimmen, nur dann hat Wasserstoff eine Chance. Wir müssen finanzielle Anreize für eine Serienfertigung schaffen, nur dann kann die Technologie billiger werden. Und wir müssen die Kosten für den Klimawechsel, hervorgerufen durch CO2-Emisionen, in den Energiepreis aufnehmen. "

    Das bedeutet: Die Wasserstoffwirtschaft kann nur dann kommen, wenn die Staatengemeinschaft die CO2-Emissionen ernsthaft reduzieren will und auch bereit ist, dafür zu zahlen. Denn rein wirtschaftlich gesehen hätte Wasserstoff keine Chance. Andere Energieträger sind billiger, jedenfalls auf absehbare Zeit.

    Das Sperling, Universität von Kalifornien.

    "Benzin und Diesel ließen sich auch aus Ölsand, Schweröl oder durch Kohleverflüssigung herstellen. Und dann gäbe es enorme Ressourcen auf der Welt. Für 50 Dollar pro Barrel gibt es fast unbegrenzte Vorkommen. Das Problem: Dadurch produziert man riesige Mengen an CO2 – ein Desaster für unser Klima. Doch das wird die Zukunft sein, wenn die Regierungen nichts tun und die Verbraucher ihr Verhalten nicht ändern."

    Doch selbst, wenn wir von den fossilen Brennstoffen abkommen – Wasserstoff ist nicht die einzige Alternative für einen sauberen, klimaneutralen Verkehr.

    "Die drei wesentlichen Optionen für die Zukunft sind Biokraftstoffe, Elektroautos und Wasserstoff. Biokraftstoffe werden für bestimmte Regionen wichtig sein, vor allem für Brasilien, und vielleicht auch für Australien und für Teile der USA, aber nicht so sehr in Europa, denke ich. Elektroautos werden dann populär, wenn die Batterien besser werden – aber nur für Kleinfahrzeuge in den Innenstädten. Für längere Reichweiten sieht es im Moment so aus, als wäre Wasserstoff die beste Option."

    Gegenüber Wasserstoff hätten die Biokraftstoffe einen gewaltigen Vorteil: Man müsste die Infrastruktur kaum ändern, könnte dieselben Tankstellen und Motoren wie heute benutzen. Ihr Nachteil:

    "Die Potenziale sind hier beachtenswert, aber begrenzt. Dort gibt es Schätzungen zwischen 20 bis 30 Prozent des Kraftstoffbedarfs. Das heißt das wird unser Problem nicht retten, kann aber einen Beitrag dazu leisten."

    sagt Stephan Ramesohl vom Wuppertal Institut. Seine Prognose: Statt unseres einheitlichen Verkehrssystems basierend auf Benzin und Diesel könnten wir es künftig mit einem bunten Mix zu tun haben: Das Elektroauto für die Stadt, das Wasserstoffgefährt für die Langstrecke, dazwischen Autos mit Verbrennungsmotoren, die mit Biokraftstoffen laufen.

    "Wir haben kein Allheilmittel. Die Lösung des Energieproblems in der Zukunft ist so komplex, weil das Energieproblem so komplex ist. Wir werden einen Mix von verschiedensten Optionen brauchen, die sich gegenseitig ergänzen, die miteinander kombiniert werden müssen. Und die Intelligenz dieser Kombinationen wird den Unterschied machen."

    Aber vielleicht kommt ja auch alles ganz anders – und zwar so, wie es Wasserstoffkritiker Ulf Bossel vermutet:

    "Die Elektroautos kommen. Die fahren inzwischen 250 Kilometer mit einer Batterieladung, weil die Batterieentwicklung über Lithium-Ionen-Batterien enorme Fortschritte gemacht hat. Das sind die Fahrzeuge der Zukunft, die wir jetzt entwickeln müssen. Die Wasserstoffautos werden alle im Deutschen Museum landen."

    Die Wasserstoffbusse von Hamburg sind ein Erfolg, gerade bei den Fahrgästen. Doch sie gaukeln der Öffentlichkeit vor, die Technik sei praktisch konkurrenzfähig und marktreif. Ein genauerer Blick aber zeigt: Der Weg in die Wasserstoffwirtschaft ist noch lang – wenn sie denn überhaupt kommt.