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Saudi-Arabien
Blick auf die schwierige Zukunft

Von Gregor Peter Schmitz |
    Saudi-Arabien ist für Beobachter schwer zu fassen. Ist das Königreich ein Schlaraffenland, dessen Ölreserven zu den größten der Welt gehören? Oder ist es doch eher ein Nordkorea in der Wüste, beherrscht von Autokraten, die zum Zeitvertreib Andersdenkende hinrichten lassen – und sich in gefährliche kriegerische Scharmützel mit Iran und Syrien verstricken?
    Auf derlei krude Extrembeschreibungen lassen sich Paul Aarts, Professor in Amsterdam, und die niederländische Journalistin Carolien Roelants in ihrem Buch "Saudi-Arabien - ein Königreich in Gefahr" zum Glück nicht ein. Das heißt aber nicht, dass sie die Gefahren, denen sich das Land ausgesetzt sieht, kleinreden. Sie führen sie aber auf hausgemachte Fehler zurück. So seien die saudischen Staatsausgaben munter weiter gewachsen, als die Öleinnahmen bereits fielen. Für die weitere Finanzierung dieses aufgeblähten Haushaltes, so rechnen die Autoren vor, wäre ein sagenhafter Ölpreis von bis zu 320 Dollar pro Fass im Jahr 2030 erforderlich. Im Moment liegt er bei 30 Dollar. Roelants und Aarts beschreiben die gewaltige saudische Verschwendungssucht.
    "Saudi-Arabiens jährlicher Energieverbrauch ist doppelt so hoch wie der der USA und rund viermal so hoch wie der in Deutschland, obwohl die deutsche Volkswirtschaft fünfmal so groß ist wie die saudische. Ein Viertel der saudischen Ölförderung wird daheim verbraucht. Und rund 9,5 Millionen Fässer werden jedes Jahr allein gebraucht, um Energie herzustellen. Dabei sagt Fatih Birol, Chefökonom der Internationalen Energie Agentur, wie verschwenderisch das sei: Öl für die Herstellung von Elektrizität zu nutzen, ist absolut unökonomisch – es wäre, als nutze man Chanel-Parfüm, um sein Auto anzutreiben.”
    Die Autoren schildern gekonnt den Reformdruck im Königreich. Etwa dass der Frackingboom in den USA die Saudis zunächst dazu verleitete, den Markt mit billigem Öl zu überschwemmen und nun den Drang zu Reformen verstärkt habe. Sie erinnern auch daran, dass es schon früher Reformansätze gegeben hat, um die extrem konservative saudische Gesellschaft aufzubrechen. Doch gerade im Bildungssektor seien diese wenig erfolgreich gewesen:
    "Es gibt viele Probleme mit dem saudischen Bildungssystem. Ein Sturm der Entrüstung brach los, als herauskam, dass fast alle Terroristen, die die Anschläge am 11. September 2001 verübten, aus Saudi-Arabien stammten. Die Schulbücher für Religionsklassen – die wichtigsten im Lehrplan – verbreiteten damals Hass gegen Ungläubige. Seitdem hat sich eine Menge getan, aber sogar heute haben junge Saudis keine realistische Einschätzung ihres eigenen Potenzials. Sie wählen Fächer aus, die ihnen keine Zukunftschancen bieten und immer noch wird viel zu viel Wert auf religiöse Studien gelegt. Die Vorbereitung auf die Wirtschaftswelt spielt so gut wie keine Rolle. Daher bevorzugen Unternehmen immer noch ausländische Arbeitnehmer, während viele junge Saudis keine Arbeit finden."
    Doch erschöpft sich das Buch nicht in Schreckensszenarien. Das Autoren-Duo schildert, wie sehr sich der aktuelle Krisendruck auswirkt. So wird etwa eine Teilprivatisierung der staatlichen Ölfirma Aramco erwogen. Und in Saudi-Arabien ist eine lebendige Zivilgesellschaft entstanden, mit Bloggern, die den verschwenderischen Lebensstil der Königsfamilie anprangern, und mit direktem Austausch vor allem unter jüngeren Saudis:
    "Jeden Monat werden rund 50 Millionen Tweets im Land versandt, obwohl es erst seit März 2012 eine arabische Benutzeroberfläche gibt. Facebook wächst in Saudi-Arabien schneller als in irgendeinem anderen Land in der Region und hat rund acht Millionen Nutzer bei einer Gesamtbevölkerung von nur 30 Millionen, einer der größten Anteile überhaupt weltweit. YouTube ist beinahe genauso populär: Saudis schauen 90 Millionen Videos pro Tag."
    Wie glaubwürdig jene wirtschaftlichen – und womöglich politischen – Reformpläne sind, können die Autoren natürlich noch nicht beantworten. Sie spielen am Ende ihres Buches aber eine Reihe von Szenarien durch: Etwa ein kaum Erfolg versprechendes Weiter so oder weitere Reformen, die für die herrschende Klasse aber stets die Gefahr bergen, darüber zu stürzen. Zu den beschriebenen Szenarien gehören aber auch die brutale Unterdrückung von Protesten, wie das saudische Königshaus sie in den 1990er-Jahren gegen islamistische Reformer praktizierte. Oder aber, am beängstigendsten, die Implosion des Landes:
    "Stellen Sie sich nur vor, das Königreich zerbräche und die Prinzen würden in großer Zahl ins Ausland fliehen. Das Land würde sich auflösen, etwa indem die westliche Region Hejaz ihre Unabhängigkeit erklärte. Die Ölfelder im Osten gerieten unter iranischen Einfluss und das Zentrum des Landes würde wohl zur Hochburg von Dschihadisten. Der Schock in der Region und dem Rest der Welt wäre enorm. Kein Herrscher in der Golfregion würde sich mehr sicher fühlen. Öleinnahmen würden an revolutionäre Bewegungen in anderen Teilen der arabischen Welt fließen und ein Regime nach dem anderen würde wackeln."
    Muss es so kommen? Keineswegs. Kann es so kommen? Durchaus. Die Anzeichen für Instabilität sind in Saudi-Arabien unübersehbar, so das ernüchternde Fazit dieses schlanken Buches, das in Fachkreisen auf sehr positives Echo gestoßen ist. Wer darauf vorbereitet sein will, sollte "Saudi-Arabien – Ein Königreich in Gefahr" lesen.
    Buchinfos:
    Paul Aarts, Carolien Roelants: "Saudi Arabia – A Kingdom in Peril”, Hurst London 2015