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Saudi-Arabien
Kunstszene nach dem Tod von König Abdullah

Von Kersten Knipp |
    Vielleicht hat er sich ja doch noch als milder Monarch verabschiedet. Noch in dieser Woche, kurz bevor er starb, erhielt König Abdullah von Saudi-Arabien ein Gnadengesuch. Ensaf Haidar hatte sich an ihn gewandt, die Ehefrau des zu zehn Jahren Gefängnis, einer Geldbuße und 1.000 Stockschlägen verurteilten Bloggers Raif Badawi. Der König möge ihm die Strafe ersparen, sagte sie im Fernsehen der Deutschen Welle.
    "Er hat niemanden angegriffen. Er ist weder ein Mörder noch ein Vergewaltiger und trägt auch keine Waffen: Seine Waffe ist sein Stift. Ich möchte den König bitten, Raed sofort frei zu lassen."
    Der Fall Raif Badawi, der auf seiner Website "Saudische Liberale" unter anderem die strenge Religionspolizei kritisiert hatte, steht exemplarisch für die Unzufriedenheit vieler junger Bürger Saudi-Arabiens. Die strikte Trennung der Geschlechter, der strenge Moralkodex, die eingeschränkte Redefreiheit: All dies trifft das Lebensgefühl der jungen Generation immer weniger. Genau diese Anliegen hat Raif Baddawi öffentlich machte. Und dadurch den Zorn der Kleriker auf sich gezogen, sagt Ali H. Alyami, der in Washington das "Center for Democracy and Human Rights in Saudi Arabia" leitet.
    Beträchtliche Freiheiten unter König Abdullah
    In Saudi-Arabien ist der Koran die Verfassung, die Scharia das Gesetz. Und jeder, der das kritisiert, steht nach Auffassung der wahhabitischen Kleriker und des Regimes im Gegensatz zum Islam. Das ist natürlich lächerlich, denn mit dieser Kritik sagt man gar nichts gegen den Islam.
    Beträchtlicher Freiheiten erfreut sich unter König Abdullah dagegen die Kunst. Abgesehen von einigen Tabus - vor allem der direkten Kritik an Religion und Königshaus-, kann sie sich vielen Themen gefahrlos widmen. Umweltverschmutzung, die Zerstörung der Landschaft durch die Ölwirtschaft, eine nicht rein islamische Kultur - all dies lässt sich aufarbeiten. "Edge of Arabia", "Rand Arabiens", nennt etwa der saudische Künstler Ahmed Mater sein Projekt, dem sich eine Reihe weiterer Künstler angeschlossen haben. "Edge of Arabia", das ist der äußerste Zipfel der arabischen Welt, der Rand der geographisch ohnehin am Rand des Nahen Ostens gelegenen arabischen Halbinsel. Der östliche Rand Saudi-Arabiens sei einst das kulturelle Zentrum der gesamten arabischen Halbinsel gewesen, erläutert Mater - bis zur Entdeckung des Erdöls. Zu diesem Rand gehört auch die saudische Hafenstadt Dschidda. Ihre Heimatstadt sei für sie ein Symbol des Austauschs, erklärt die saudische Künstlerin Reem al Faisal.
    "In meiner Arbeit interessiere ich mich für Dschidda als Drehscheibe des Handels - für die Kaufleute aus dem Jemen, dem Sudan, aus Ägypten und vielen anderen Orten, die irgendwann hierherkam und seitdem hier leben. Ihr Erscheinungsbild ist typisch für Dschiddas Markt und Altstadt. Es ging mir darum, dieses alte Dschidda einzufangen."
    Menschenrechtsaktivisten und Blogger verurteilt
    Auf diesen Austausch konzentriert sich auch Ahmed Mater. In seiner Arbeit konzentriert er sich auf die alten Traditionen: den Handel, das Reisen, den Austausch der Ideen. All das gehört für ihn nämlich auch zum "Edge of Arabia". Denn wenn die Region aus nördlicher Perspektive auch als Randzone erscheint, präsentiert sie sich aus lokaler Sicht als Teil eines über den Golf von Aden engmaschigen, von Afrika bis nach Asien sich erstreckenden Netzwerks. Über ihn treten Menschen jenseits aller Religionen miteinander in Kontakt. Wenn man will, kann man das Bekenntnis zum "Edge of Arabia" eben doch politisch lesen.
    Auch Internet und soziale Medien eröffneten unter Abdullahs Herrschaft die private Kommunikation in nie gekanntem Maß. Ahmed Mater verweist auf die riesige Twittersphäre in seinem Land. Die jungen Saudis läsen und teilten sämtliche Anstöße und Ideen, die über die globalen Kommunikationswege in das Land eindringen. Teilen der alten Garde ist das allerdings nicht recht. Insbesondere in den vergangenen zwei Jahren wurden zahlreiche saudische Menschenrechtsaktivisten und Blogger zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit der Organisation "Reporter ohne Grenzen" belegt Saudi-Arabien unter 180 Ländern Rang 164. Doch der Druck steigt. Der neue Monarch wird Mühe haben, Reformen zu verweigern.