Das aufwendige Werbevideo für den "Six Kings Slam" wirkt wie ein Trailer für einen Hollywood-Blockbuster – und die Tennisstars spielen alle mit. Carlos Alcaraz als Cyborg. Jannik Sinner als Renaissancekünstler. Holger Rune als Wikinger. Daniil Medwedew als Bärenreiter. Rafael Nadal als Sandkämpfer. Novak Djokovic als Wolfsbändiger.
Am Mittwoch findet in der Hauptstadt Saudi-Arabiens, in einer neu gebauten Halle namens "The Venue", ein millionenschweres Show-Turnier statt. Das Event, das ein überdimensioniertes Preisgeld verspricht, bleibt aber umstritten. "Das interessiert niemanden", sagte Andy Murray, der im Sommer zurückgetretene Ex-Tennis-Profi aus Großbritannien, über den großen Zahltag für die Tennis-Prominenz.
Die Kasse klingelt für die Tennis-Stars
Organisiert wird der Zirkus von der "General Entertainment Authority", welche die Unterhaltungsindustrie im Königreich steuert und sich aus dem saudischen Staatsfonds PIF bedienen kann, der über ein Gesamtvolumen von schätzungsweise 650 Milliarden Euro verfügt.
Jeder der sechs Spieler wird Berichten zufolge mindestens 1,5 Millionen US-Dollar für seine Teilnahme erhalten, dem Gewinner winken gar sechs Millionen. Das ist etwa doppelt so viel wie der Weltranglistenerste Jannik Sinner für seinen Sieg bei den US Open erhalten hat. Immerhin eines der vier Grand-Slam-Turnier und damit der wichtigsten Turniere in der Saison. Auch Sinner ist jetzt in Riad am Start. Der Modus der Showveranstaltung von Mittwoch bis Freitag ist fragwürdig, die Besetzung erstklassig.
Der Tennissport ist das aktuellste Objekt der Begierde der Saudis
Nadal, der kürzlich sein Karriereende angekündigt hat, und Djokovic sind bereits für das Halbfinale gesetzt. Der Spanier wird damit eines seiner finalen Karrierespiele in Riad bestreiten, was der Veranstaltung natürlich weitere Aufmerksamkeit einbringt.
Der viermalige Grand-Slam-Champion Alcaraz, Sinner, der einstige US-Open-Sieger Daniil Medwedew und der Däne Holger Rune kämpfen um die weiteren Plätze der Vorschlussrunde. Alexander Zverev, der in der Vergangenheit auch schon in Saudi-Arabien aufschlug, ist nicht dabei. Bei Roger Federer ist weiterhin nicht bekannt, ob er als Zuschauer in Riad dabei sein wird.
Der Wüstenstaat pumpt seit Jahren aberwitzige Summen in den Sport. Fußball, Tennis, Golf, Boxen, perspektivisch Olympia – was im westlichen Weltsport funktioniert, findet längst auch in Saudi-Arabien statt, das eines der Drehkreuze der Sportwelt werden möchte. Und der Tennissport ist das aktuellste Objekt der Begierde.
Seit Februar besteht eine mehrjährige strategische Partnerschaft mit der ATP, der saudische Staatsfonds taucht unter anderem als Namenssponsor der Weltrangliste und als offizieller Partner bei großen Turnieren auf. In Dschidda finden schon jetzt die Next Gen Finals, der Jahresabschluss der besten Profis unter 21 Jahren, statt. Bald soll auch ein Turnier der Masters-Serie (1000 Weltranglistenpunkte) in Saudi-Arabien folgen.
Schachzug war nötig, um das Event in den Turnierkalender zu kriegen
Kritiker werfen dem Land vor, mithilfe von "Sportswashing" Verfehlungen wie Menschenrechtsverletzungen übertünchen zu wollen. Viele Stars wie Nadal, der als Botschafter für den saudischen Tennisverband fungiert, hält dies aber nicht davon ab, in dem Königreich viel Geld zu verdienen. Saudi-Arabien liege "in vielen Dingen weit zurück", sagte Nadal einst über sein Engagement, habe sich aber "der Welt geöffnet" und ein "großes Potenzial".
Nadals Teilnahme war dabei von so herausragender Bedeutung für die Veranstalter, dass sie den Kings Slam offenbar eigens für den Spanier verlegten. Der Wettkampf war ursprünglich im Frühjahr geplant und wurde nach einer erneuten Verletzung Nadals in den Oktober geschoben, berichtete die britische Tageszeitung Telegraph. Auch war es wohl kein Zufall, dass die Wahl auf diese Woche fiel.
Die Grundregel der Spielergewerkschaft ATP schreibt nämlich vor, dass Profis aus den Top 30 der Weltrangliste nicht in Wochen bei Show-Wettkämpfen antreten dürfen, in denen auf der ATP-Tour Turniere der 500- oder 1000-Punkte-Kategorie stattfinden. Das ist in der Kalenderwoche Mitte Oktober der Fall.
Aber es gibt noch eine weitere Regel, die in Saudi-Arabien beachtet werden musste: Wenn Spieler bei Show-Wettkämpfen teilnehmen, die länger als drei Tage dauern, wird ihnen auf der ATP-Tour ein Sonderstatus entzogen, mit dem die besten Spieler am Saisonende Zugriff auf Sonderzahlungen haben – weshalb der "Six Kings Slam" kurzerhand einen Pausetag am Freitag eingeführt hat. Das sei "ein Schachzug, um die Regeln zu umgehen", sagte Dietloff von Arnim, Präsident des Deutschen Tennis Bundes.
Kritik an Alcaraz' Klagen über die Belastung
Interessant ist der Starauflauf in Riad auch im Angesicht der schwelenden Belastungsdiskussion im Profitennis. Alcaraz, der zuletzt lautstark über den zu vollen Kalender klagte, ist nun wie zuletzt schon in Berlin beim Laver Cup auch in Saudi-Arabien am Start.
"Ich gehöre zu den Spielern, für die es zu viele Pflichtturniere im Jahr sind. Und wahrscheinlich werden es in den nächsten Jahren noch mehr. Das wird uns umbringen", hatte Alcaraz noch im September geklagt. DTB-Präsident von Arnim hält den Start von Stars wie Alcaraz, angesichts der getätigten Aussagen, zumindest für fragwürdig. "Wenn sich jemand über die große Belastung beklagt und dann ein Show-Turnier spielt, dann ist das schon ein bisschen komisch."
Das Reglement der ATP ist auch in diesem Punkt recht eindeutig: Top-50-Spieler müssen an zwölf Turnieren teilnehmen. An acht der 1000er-Masters-Serie sowie an den vier Grand Slams (Australian Open, French Open, Wimbledon, US Open) - wenn dies nicht durch eine Verletzung verhindert wird. Wer das nicht macht, bekommt null Punkte für die Weltrangliste.
Zudem müssen die Profis mindestens sechs weitere Turniere nach freier Wahl spielen. Insgesamt kommen die Spieler damit auf 18 Wettkämpfe in einem Jahr, erst dann erhalten sie auch Punkte in der Weltrangliste. Alle weiteren Turnierteilnahmen darüber hinaus sind freiwillig.
Saudi-Arabien will die Wirtschaft diversifizieren
Weltranglistenpunkte gibt es im "Six Kings Slam" freilich nicht zu gewinnen. Aber sehr viel Geld. Einen sportlich deutlich höheren Wert haben die WTA-Finals der acht besten Spielerinnen, die Anfang November erstmals in Riad stattfinden. Die Tennis-Ikonen Chris Evert und Martina Navratilova hatten vor der Vergabe in einem gemeinsamen Brief an WTA-Boss Steve Simon ihren Zorn zum Ausdruck gebracht: WTA-Finals in Saudi-Arabien, das wegen Menschenrechtsverletzungen viel kritisiert wird, wären "unvereinbar mit dem Spirit und dem Auftrag des Damen-Tennis und der WTA".
Die WTA argumentierte, dass das Geld aus Saudi-Arabien die Bemühungen für ein Equal Pay – die gleiche Bezahlung für Männern wie Frauen – auch abseits der Grand-Slam-Turniere deutlich erleichtern würde.
Offizielles Ziele Saudi-Arabiens, welche im Staatsplan "Vision 2030" festgehalten sind, sind die Diversifizierung der Wirtschaft, weniger Abhängigkeit vom Öl, eine Öffnung des Landes auch für Touristen und attraktive Angebote für die eigene Bevölkerung. Über den Vorwurf des Sportswashing könnte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, der faktische Herrscher des Königreichs, nur müde lächeln. "Wenn Sportswashing mein Bruttoinlandsprodukt um ein Prozent erhöht, dann werde ich weiter Sportswashing betreiben", sagte er in einem englischsprachigen Interview mit dem US-Sender Fox News im September 2023.