Die Vergabe der WM 2034 an Saudi-Arabien gilt so gut wie gesichert. Da die Endrunde 2030 größtenteils in Spanien, Portugal und Marokko stattfindet, außerdem aber noch drei Spiele in Uruguay, Paraguay und Argentinien, sind für die Ausrichtung der WM vier Jahre später nur Länder aus zwei Kontinentalverbänden vorgesehen: Asien und Ozeanien.
Die Überlegungen von Indonesien zu einer gemeinsamen Bewerbung für die WM 2034 mit Australien und weiteren Ländern sind schon wieder vom Tisch. Australien hatte nach dem Vorstoß Saudi-Arabiens betont, sich weiter mit einer möglichen Bewerbung befassen zu wollen. Die Asiatische Konföderation AFC unterstützt jedoch die Bewerbung des Königreichs. Die Frist des Weltverbandes FIFA läuft bis zum 31. Oktober. Saudi-Arabien könnte also Ende Oktober als einziger Bewerber übrig bleiben und das Turnier konkurrenzlos ohne Mitbewerber zugesprochen bekommen.
"Enormer politischer, aber auch prestigeträchtiger Erfolg"
"Für Saudi-Arabien wäre das ein enormer politischer, aber auch prestigeträchtiger Erfolg. Es war für Katar im letzten Jahr schon ein enormer Erfolg und wäre für Saudi-Arabien mit Sicherheit noch mal ein größerer, allein vor dem Hintergrund, dass Saudi-Arabien mit 35 Millionen Einwohner das größte Land auf der Arabischen Halbinsel ist", sagte Islamwissenschaftler Sebastian Sons im Deutschlandfunk.
Allerdings sei die Thematik auch vor dem Hintergrund brisant, dass Saudi-Arabien im Vergleich zu Katar noch deutlich mehr in der Kritik stehen werde, sagte Sons. "Diese Diskussion wird nicht abreißen", sagte er angesprochen auf die prekäre Situation der Menschenrechte in Saudi-Arabien.
Spielen Menschenrechte wirklich eine Rolle?
Weiter sagte Sons, dass die FIFA und die großen Sportverbände sich zukünftig die Frage stellen müssten, ob und inwieweit Menschenrechte in der Bewertung auch in der Vergabe von großen Sportveranstaltungen mehr und mehr eine Rolle spielen sollen, "oder ob es eben hauptsächlich um das Geld, um neue Märkte und auch um die Sicherung von Stimmen für die nächste Wahlen geht", sagte der Islamwissenschaftler.
Immer wieder wurde in der jüngsten Vergangenheit von Sportverbänden betont, dass die Situation der Menschenrechte in den Vergabeprozessen stärker berücksichtigt werde. "Und da muss man doch sehr, sehr deutlich sagen, in den letzten Jahren hat das kaum eine Rolle gespielt", sagte Sons.
"Nichtsdestotrotz bin ich der Meinung, dass das, was in der Golfregion passiert, differenziert betrachtet werden sollte, dass es nicht nur Schwarz oder Weiß gibt, sondern dass es Grautöne gibt, auch was die Situation der Menschenrechte angeht, auch was die Entwicklung der gesellschaftlichen Öffnung angeht, da tut sich gerade in Saudi-Arabien eine ganze Menge. Und dementsprechend erhoffe ich mir auch durch die Diskussion um die WM, die durchaus kritisch geführt werden soll, dass man da auch etwas genauer hinschaut", sagte Sons.
Der Wandel der saudischen Gesellschaft
"Man muss tatsächlich auch verstehen, dass ein Land wie Saudi-Arabien über den Sport versucht, auch andere Ziele zu erreichen, in allererster Linie auch, was die eigene Gesellschaft angeht. Die saudische Gesellschaft ist sehr stark im Wandel in den letzten Jahren. Das sieht man auch daran, dass immer mehr Menschen junge Menschen Sport treiben. Und dementsprechend sind diese Investitionen, die wir in den Sport sehen, auch ein Element dieser Politik der jungen Bevölkerung zu zeigen, dass sich etwas im Land tut, dass man auch einen gewissen Patriotismus, auch ein Nationalismus schüren möchte bei der jungen Bevölkerung über diese Sportaktivitäten. Und es soll auch darum gehen, zum Beispiel den Breitensport zu fördern. Es soll darum gehen, dass mehr junge Menschen mehr Frauen Sporttreiben", sagte Sons.
Denn Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht oder Diabetes würden mittlerweile immer mehr zu einem großen Problem in Saudi-Arabien, sagte Sons. Aber auch die Diversifizierung der Wirtschaft in Saudi-Arabien sein ein großes Ziel der saudischen Führung. "Das heißt wer Sport treibt, ist fitter. Und wer fitter ist, ist auch wirtschaftlich produktiver." Saudi-Arabien wolle die Abhängigkeit vom Öl drastisch reduzieren.
Westen hat an Glaubwürdigkeit verloren
Dabei gebe es mittlerweile ein großes Selbstbewussstein der Saudis im Vergleich zu den westlichen Staaten und wenig Bereitschaft sich unterzuordnen und anzupassen. "Man muss tatsächlich ganz klar konstatieren, dass der Westen auch als Modell in der Region in Ländern wie Saudi-Arabien in den letzten Jahren massiv an Glaubwürdigkeit verloren hat, das uns immer stärker Doppelmoral vorgeworfen wird", sagte Sons.
Er riet dazu, für die deutsche Regierung, aber auch für die deutschen Sportverbände, ohne Voruteile und mit Offenheit und Bereitschaft auf die Saudis zuzugehen. "Auf der einen Seite zu wissen, dass man ein Land wie Saudi-Arabien braucht, aus Sicherheitserwägungen, aus wirtschaftlichen, aus energiepolitischen Erwägungen und dementsprechend man ein solches Land nicht mehr ignorieren kann, ist wichtig auf der anderen Seite aber eben auch zu schauen was kann man mit diesem Land gemeinsam machen? Und hier bietet Sport tatsächlich eine Möglichkeit wir haben in Saudi-Arabien 70 Prozent der Menschen, die unter 30 sind, die alle sehr sportbegeistert, sehr fußballbegeistert sind. Wir haben im Gegensatz zu Katar wirklich eine Sport- und Fußballtradition in diesem Land, und das kann man auch nutzen. Da kann man auch versuchen, Brücken zu bauen, und versuchen, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen über den Sport", sagte Sons.
In Saudi-Arabien sei das Modell des Westens nicht mehr sonderlich angesehen und ein bisschen im Niedergang befindlich, sagte Sons. Dies sei aber kein Grund aufzugeben. Saudi-Arabien könne nicht nur mit China, Russland oder Indien zusammenarbeiten und sei in bestimmten Bereichen auch auf Europa, die USA und Deutschland angewiesen. "Hier gilt es zu erkunden und auch zu identifizieren, in welchen Nischen können wir denn etwas anbieten, was andere wie zum Beispiel China, nicht in der Form anbieten können? Und da bietet sich einiges, was das Vereinswesen und den Breitensport in Deutschland angeht, als großes Vorbild."