München-Obersendling, der ehemalige Siemens Campus: Aus einem schäbigen Industriegelände ist hier in den letzten Jahren ein schickes Wohn-Ensemble entstanden: Urbane Architektur mit hübschen Fassaden, ein Einkaufszentrum, eine S-Bahn-Anbindung in die nur 15 Minuten entfernte Innenstadt. Vereinzelt stehen noch leer gelassene, fünfstöckige Bürobauten im Abseits.
"Das ist eine bewußte Förderung der Kultur"
Auf Hebebühnen machen sich zwei Dutzend Künstler aus aller Welt an neun Fassaden von leer stehenden Bürokomplexen ans Werk: Eine Woche lang steigt hier das Event "Scale WallArt Munich", urbane Kunst an Brandschutzmauern von Gebäuden einer der ganz großen Immobiliengesellschaften, die sich ein Faible für Kunst im öffentlichen Raum gönnt: Das PAT ART LAB. Ralf Lanzrath zieht hier die Strippen. "Wir sind ein Projekt der Patrizia Immobilien AG, wir haben sehr viele Gebäude in ganz Europa und haben uns in dem Fall hier in München überlegt, dass wir diese wundervollen Wände vielleicht noch von Künstlern gestalten lassen können."
Andi Hörmann: "Aber ich glaube erst mal nicht, dass die Patrizia AG das selbstlos macht. Mit Sicherheit ist da eine Intention dahinter." Ralf Lanzrath: "Das ist schon bewusst eine Förderung der Kultur und der Kunst, die wir hier anstreben."
"Die Hand, die einen füttert ..."
Hörmann: Glaube ich das einer Aktiengesellschaft, einem Immobilieninvestor mit einem Jahresumsatz von mehr als 800 Millionen Euro?" Sebastian Pohl vom gemeinnützigen Verein "Positive Propaganda" ist nicht involviert in dieses Projekt und sieht das Event "Scale WallArt Munich" überaus kritisch: "Ich weiß nicht, was da passiert. Aber ich gehe natürlich davon aus, dass eine Patrizia AG, dass die nicht idealistisch und gemeinnützig aufgestellt ist, sondern wie so oft in diesem riesengroßen Finanz-Casino: Jeder schaut, dass er seine Schäfchen, seine Schafe, seine Schweine ins Trockene bringt. Vielleicht wird es ja einen Künstler geben, der so frech sein wird und das auch in seiner Arbeit anspricht. Aber meistens gilt ja immer noch das Prinzip: Die Hand, die einen füttert, die beißt man nicht."
"Mein Name ist Matthias Köhler, ich bin 49 Jahre alt, eher bekannt unter dem Namen Loomit und seit 36 Jahren Graffiti-Sprüher, Street-Art-Artist und bin Teilnehmer an der Scale 2017 hier in München." Andi Hörmann: "Ganz einfach die Frage: Warum machst du mit?" Loomit: "Weil ich eingeladen worden bin."
"Wir bewundern auch Kirchenmaler"
Andi Hörmann: "Credibility, Glaubwürdigkeit - Verliert man nicht als Künstler an Glaubwürdigkeit, wenn man für eine Aktiengesellschaft Kunst macht?"
Loomit: "Vor wem müsste ich mich da rechtfertigen? Wenn man so ein Festival organisieren will, dann muss man natürlich schon Kompromisse eingehen, rein vom Künstlerischen und vom Ästhetischen ist es natürlich für uns schon eine interessante Sache, auch wenn ich weiß, dass natürlich eine Aktiengesellschaft dahinter steht. Aber wir bewundern wahrscheinlich auch Kirchenmaler, die auch für die Kirche jahrhundertelang gemalt haben, die wir dann vielleicht heute auch kritisch sehen. Die haben damals die Kultur ermöglicht."
An Hausfassaden zwischen 90 und 150 Quadratmetern dürfen sich die namhaften Künstler aus aller Welt austoben: Okuda San Miguel aus Spanien malt in Geometrie aufgelöste nackte Frauen - verschleiert. Der in Miami geborene und in Berlin lebende Axel Void skizziert leblos wirkende Körper - vermummt. Und die brasilianischen Street-Art-Stars Osgemeos sprühen einen farbenfrohen Graffiti-Künstler auf Bahngleisen an die Wand. Mit Loomit und DAIM sind dann auch zwei lebende Legenden aus der deutschen Szene am Start.
DAIM: "Hi, ich bin Mirko Reiser, Künstlername DAIM, aus Hamburg. Verschachtelt, viele Ebenen, aufbrechende Buchstaben. Also so, dass das Ganze schon sehr dreidimensional, explosionsartig daher kommt."
Ralf Lanzrath: "Das ist schon interessant, das hier zu sehen, im Vergleich mit den anderen Künstlern, mit den anderen Werken, ganz andere Stile, andere Farben, andere Motive. Das finden wir spannend, das treibt, das ist Stadt."
In der Szene nennt man das "Sellout"
Andi Hörmann: Und letztlich ist es wieder mal Banksy, der hier das Missverhältnis aufdeckt, als ich wissen möchte, ob sich Ralf Lanzrath den subversiven und überaus erfolgreichen Street-Art-Künstler auch hier vorstellen könnte. Lanzrath: "Wäre natürlich cool. Wir wären verrückt zu sagen: Ich hätte nicht gerne Banksy hier. Überlegen Sie mal, was da in den Medien los wäre."
Alles klar, Marketing! Und schon ist der Lack ab vom pittoresken Glanz der "Urban Art" im Kontext einer Immobiliengesellschaft - in der Szene nennt man das "Sellout". Auch wenn die Erlöse einer späteren Vermarktung dieses Projekts der Patrizia-KinderHaus-Stiftung zugute kommen, wird die "Urban Art" hier eben auch ein wenig zum Ausverkauf. Daniel Man sagt: "Das war tatsächlich in den 80er Jahren schon so, dass man gesagt hat: Wie, du malst einen Auftrag? Das ist Sellout. Und dann hat man dich ausgebuht."